Vierte Vorstellung.

[124] Noch war der ganze Saal in Entzücken verloren, der Schwanist spielte die Melodie: »Das Grab ist tief und stille.« Da schlich Professor Schwimmgürtel in Begleitung seines Kandidaten sich leise und langsam hinter den Schwanisten, indem er seinen Stock wie eine Picke trug; und nun, als der Zug hinter dem Schwanisten angekommen, flüsterte er dem Kandidaten, indem er ganz leise mit dem Stocke die hintere Rolle der Flügelischen Perücke aufhob, ins Ohr: »Sehen Sie den Betrüger! sehen Sie da die Walze!« – und puff! hing Flügels Perücke an des Professors Stock und spielte fort. Es entstand ein allgemeines Getümmel im Saale, der Professor trug die spielende Perücke in Begleitung des Kandidaten triumphierend im Saale umher; Flügel aber stand, recht ein Jonas im Walfisch, gebückt und totenbleich da, die Gänsegurgel noch immer fest am Munde[124] haltend. Der Professor, nachdem er die Perücke rings präsentiert, sie auch zu spielen aufgehört hatte, rief ein löbliches Polizeiamt, dessen Präses zum Glück ein Perückenmacher, oder, wie er sich lieber nennen ließ, ein Haarkünstler war, zum Zeugen auf und begann die Sektion, die der Kandidat eilend nachschrieb.

Der Professor zerlegte nämlich unter vielen gelehrten Anmerkungen und Zitationen die Maschine, die nichts anders als ein unter einer Perücke verborgenes Glocken- und Flötenspiel war. In den Rollen und Buckeln der Perücke waren Glöckchen und Pfeischen verborgen, der Haarbeutel aber war ein Blasebalg. Die Gänsegurgel wurde bloß pro forma von Hans Flügel in den Mund gesteckt.

Das Erstaunen war allgemein; Flügel war unter der Menge entwischt oder ohne die Perücke gänzlich unkenntlich.

Einige lachten, andere schrien laut über diese Betrügerei, und die, welche noch kürzlich in stummem Entzücken dastanden und durch die Töne in Tränen zerflossen, hießen das ganze Spiel nun eine Vogelscheuche, ein schlechtes Geroll, das sie alsbald für das erkannt hätten, was es wirklich gewesen, und unter diese gehörte auch der weiße Mann.

Derselbe suchte den Schwanisten mit übereinandergebissenen Zähnen auf: denn nun ward er schon zum drittenmal der Hoffnung beraubt, als Deklamator auftreten zu können.

Die Postkutsche des Professors stand schon vor dem Walfisch bereit; der Professor warf sich nach der Sektion mit dem Kandidaten und der sezierten Perücke darein und fuhr schmollend von dannen.

Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 1, Berlin 1914, S. 124-125.
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