Vierte Vorstellung.

[34] Noch war der ganze Auflauf beisammen; die Fenster und die Dächer der Häuser bis auf die Giebel mit Menschen besetzt, nicht sowohl wegen des Tumults, welchen Holder verursachte, sondern um den König und die Königin ankommen zu sehen.

Der Senat des Orts stand, um die Misthaufen zu verbergen, in weiten Mänteln die Straßen entlang, auch war die Schuljugend mit grünen Tannenzweigen aufgestellt, als plötzlich Haselhuhn und der Chemikus auf Holders altem Judengaule, der noch rings mit Blumenkränzen umhängt war, zum[34] Tor hereingesprengt kamen, unter beständigem Schreien Haselhuhns: »Haltet den verrückten Gaul!« Dem Gaul waren die ganze Croupe hinab die Haare abgebrannt, und aus dem Schwanze stieg ein stinkender Qualm auf.

Nachdem er jedesmal ein paar Schritte rückwärts gegangen, während er mit dem Hufe am Hintern zu kratzen suchte, sprang er mit einem steifen Seitensprung vorwärts, die vier Füße in geraden Linien ausgestreckt, so daß jeder mit dem Körper einen rechten Winkel bildete.

Haselhuhn konnte wegen seiner Feistigkeit und der ungewöhnlichen Höhe des Judengauls nicht herabspringen. Es saß derselbe wie ein Nußbicker oder ein auf den Kopf gestellter feister Hirschkäfer fest auf, indem er vergebens den herabhängenden Zaum unter beständigem Schreien: »Der Gaul ist verrückt! neupoetisch und toll!« zu fassen suchte. Der lange magere Chemikus aber, welcher hinter ihm auf der Croupe saß, hatte mit seinen langen dürren Füßen unter dem Bauche des Gauls ordentlich einen Knopf gemacht, er hatte sie krampfhaft ineinander verschränkt und sich also (wie man von den Kinnladen zu sagen pflegt) konvulsivisch mit den Füßen verbissen.

Vergebens strebte er in den Momenten, wo das Gerippe langsam rückwärts ging, seinen langen Stock in die Erde einzurammeln, um vermittelst eines Ankers den verschlagenen Gaul anzuhalten. Das Geschrei war allgemein. Statt das Pferd zu fassen, machten es die Bauern durch Schlagen, Schreien und Werfen noch wilder, so daß es sich nun pfeilschnell in einem beständigen Kreise herumdrehte, indem es mit dem Maule den Schweif zu ergreifen suchte.

Sein Tollsein, sein Ergreifen des Schwanzes aber wurde mir bald erklärlich, als ich Stücke einer Flasche, worin Vitriolsäure sich befunden hatte, dem Chemikus aus der Rocktasche fallen sah.

Ich machte die Studenten aufmerksam darauf, diese schrien boshaft genug: »Feuerjoh! der hölzerne Gaul brennt und bringt Brand und Verderben dieser Stadt wie der in Troja!« Da sprangen die Bauern mit Wasserkufen herbei und begossen den Judengaul samt der reitenden Gesellschaft.

Der Judengaul hielt alsbald stille und bot sich recht zur Taufe hin: denn das Wasser schien ihm gar wohl zu tun. Ich aber eilte mit dem Chirurgus des Orts schnell den Schiffbrüchigen zu Hilfe, und durch künstliche Wendungen brachten, wir die verschränkten Beine des Chemikus wieder auseinander und drehten den feisten Haselhuhn aus dem Sattel.[35]

Ins Zimmer gebracht, erzählten sie uns mit verhaltenen Tränen ihr Schicksal. Sie hatten nämlich Holders ledigen Gaul aufgefangen, um abwechslungsweise zu reiten; da begab es sich nun, daß Haselhuhn, als er eine Zeitlang geritten, wegen seines Gewichts nicht mehr herabsteigen konnte, der Chemikus aber auch nicht allein vermochte, ihn herabzuheben, sich also bequemen mußte, hinter ihm auf der Croupe Platz, zu nehmen. Zum Unglück aber schlug derselbe im Aufsteigen mit seinem Stocke auf eine Flasche rauchender Vitriolsäure, so er bei sich trug, die zersprang, und all die ätzende Säure lief dem Pferde an Croupe und Schwanz hinab. Durch den Schmerz ganz wütend gemacht, rieß der alte Gaul alsbald aus und sprang mit ihnen in die Tore der Stadt.


Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 1, Berlin 1914, S. 34-36.
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