[37] Das Theater ward in einer verschlossenen Scheune errichtet; die Sitze waren so gut als möglich zubereitet, und vom obern[37] Boden herab lief durch ein Mausloch ein Seil, an welchem eine Art von Kronleuchter befestigt war.
Das gebildete Publikum hatte sich schon der ersten Sitze bemeistert. Die Studenten, die gar lange beim Trinken verweilten, waren im Hintergrunde versammelt.
»Es ist herrlich!« sprach ein Amtmann aus dem gebildeten Publikum, »die Dekorationen sind ganz neu gemalt, ich ließ sie mir alle vorweisen, und so hab' ich freilich die Sache schon gesehen; aber meiner Frau zulieb mußte ich noch einmal herein, die ist so sehr begierig auf das Füttern der Vögel.«
»Ich muß gestehen,« sprach sein Nebenmann, der Wachshutfabrikant, »dies ist auch einzig, gar lieblich, naiv und natürlich.«
»Hören Sie,« versetzte der Gerichtsassessor, »ich sah dies Stück nur einmal; aber es ist eine einzige Lust, wie darinnen die Sonne aufgeht, so natürlich, ich glaube, man könnte mit einem Brennglas im Theater die Tabakspfeife anzünden.«
»Ich muß gestehen,« versetzte der Apotheker, »ein Lustspiel wäre mir doch lieber; das Lustspiel besuch' ich immer und zwing' mich recht ordentlich zum Lachen; denn Sie können nicht glauben, welch eine große Erleichterung dies meiner Brust, die immer voll Schleim ist, verschafft.«
»Da haben Sie vollkommen recht,« sprach die neben ihm sitzende Amtmännin, »so ein Trauerspiel kann oft entsetzlich schaden; es macht gar zu wehmütig, darum bat ich meinen Mann, mich bei den traurigsten Stellen nur allemal schnell an der Sohle zu kitzeln.«
»Ich muß zu meiner Schande bekennen,« sprach ein junger Mensch auf einem der vordern Sitze, »mir ist das Stück gänzlich unbekannt.«
»Junger Mann!« erwiderte ihm ein Plattiste, »da sind Sie noch weit zurück! So etwas kennen zu lernen, gehört zur ersten Bildung. Ich will mich Ihrer annehmen, junger Freund! Halten Sie sich nur genau an mich! Sooft ein Hauptcoup, eine treffende Stelle, ein echt moralischer Zug von Freigebigkeit, Edelmut, ein seiner Witz, eine Rührung, eine Verwicklung vorkommt, werd' ich klatschen; dann klatschen Sie mir nach. Sie könnten klatschen, wo kein Gebildeter, wo kein Kunstkenner klatscht, und dies könnte leicht Ihrem künftigen Fortkommen schaden.«
»Angefangen! angefangen!« schrie ein welker Kerl von Leder aus dem gebildeten Publiko, der wie die Scheide eines Hofratsdegens aussah, »diese lange Spannung ist mir unerträglich!«[38]
»Sie haben recht,« versetzte sein Nebenmann, der Scharfrichter des Orts, der sich zum gebildeten Publiko vorgedrungen, »ich bin recht begierig auf den Galgen.«
»Und ich«, versetzte sein Gevatter, der Schneider, »kann fast nicht erwarten, bis ich meinen Lehrburschen singen höre. Der Kerl hat eine recht helle Stimme, deswegen hat ihn der Herr Schauspieldirektor bestellt, um das Lied vom Galgenvogel zu singen!«
»Ha! ha! ha! Ihr seid weit zurück!« sprach der Mann von Leder, »die Kora wird nicht gehenkt; grasse Idee!«
»Sie wird, sie muß gehenkt werden,« schrien vier Studenten, »auch soll das Spiel alsbald beginnen.« –
Der Vorhang rollte auf, der Schauspieldirektor trat hervor, machte dreimal eine Verbeugung und sprach:
»Wegen plötzlich eingetretener Unpäßlichkeit unsrer ersten Schauspielerin, Madame Miranda, werden wir statt des angekündigten Schönaichschen Stücks die Ehre haben aufzuführen: Der Totengräber von Feldberg, ein Trauerspiel in zwei Akten.«