Achte Vorstellung.

[102] Ich entschlief; da kam es mir bald im Traume vor, als stünde das Mädchen inmitten der Gräber; die metallenen Platten, welche die Gräber bedeckten, schienen zurückgeschlagen. Ein heller Kranz von Lilien und Rosen ging um die schwarzen Haare der Jungfrau, und heilige Verklärung umströmte ihr Angesicht.

Ernst und langsam trat sie gegen die verschlossenen Tore des Kirchhofs, und ihre Stimme vernahm ich, die sprach:[102]


»Komm, Bräut'gam! kommt, ihr Gäste!

Schon steht im Hochzeitkleid

Die bleiche Braut bereit,

Erwartend euch zum Feste.


Herbei! herbei! zum Tanz

Die bleiche Braut zu führen, –

Seht! ihre Haare zieren

So Ros' als Lilienglanz.


So Mond und Sterne kränzen

Lichtvoll das dunkle Tal,

Lampen im Hochzeitsaal,

Die Leichensteine glänzen.


Und weil nach Tanz und Lauf

Der Ruh' wir nötig hätten, –

Schloß ich zu Schlummerstätten

Die stillen Gräber auf.


Seht! eure Betten kränzet

Der Rosen stolze Art,

Doch eine Lilie zart

Am Bett der Braut erglänzet.


Die Hochzeit ist bereit,

Komm, Bräut'gam! kommt, ihr Gäste!

Es öffnen sich zum Feste

Die schwarzen Tore weit.«


Da war es auch, als tönten erst aus der Ferne lustige Tänze; die flogen, wie vom Winde über das Gebirg getragen, daher. Die schlanken Pappeln des Kirchhofes wiegten sich wie Tanzende, und in langen Leichengewanden schwebte ein Zug bleicher Gestalten über die Gräber; eine aber, die an ihrer Spitze, reichte der Jungfrau die Hände zum Tanz.

Über Blumen und Gräber tanzten die Gestalten im leichten Flug, immer höher und höher schwebten sie, je höher die Töne stiegen; dann aber fielen die Töne und mit ihnen die Gestalten immer mehr und mehr, bis sie endlich in die offenen Grüfte mit tiefem Ton versanken.

Da schlugen die metallenen Deckel der Gräber mit dumpfem Glockenklang ob ihnen zusammen, und rings war nun Totenstille.

Ich erwachte, trat an das Fenster. Ruhig blickte der Mond durch das grüne Tal. Ich trat durch die Kapelle in den Kirchhof, ging gegen das Haus zu, bemerkte Licht und trat ein.[103]

Eine Lampe warf matten Schein durch das Schlafgemach. Da lag das Mädchen bleich und tot auf ihrem Lager, eine Bibel war ihr in die frommen Hände gelegt, zu ihren Füßen aber kniete der alte Vater betend; die Mutter schlief noch ruhig atmend.

Der Mann ließ sich durch mein Erscheinen nicht stören, er betete ruhig fort.

Leis trat ich nach einigen Minuten wieder hinaus und blickte in das Tal hin.

Das Posthorn erklang über die Berge, es spielte die Melodie: »Es war des Sultans Töchterlein«.

Ich eilte durch das Tal und erreichte den Wagen.

Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 1, Berlin 1914, S. 102-104.
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