Sechste Vorstellung.

[111] Nun fing er an, mir sein Steinkabinett, seine schwache Seite, aufzuschließen, und mir einen Stein nach dem andern mit seinem Namen zu nennen und dessen Qualitäten zu erklären, worüber ich aber bis zum Sterben Langeweile empfand, inmaßen ich die Steine, Pflanzen und Tiere des Erdbodens wohl gerne ansehe und ihrer im stillen gedenke, aber jede Auslegung und Rede darüber nicht ertragen kann.

Zum guten Glücke wurden wir durch einen Jungen unterbrochen, den mein Vetter erst kürzlich zum Bedienten angenommen hatte, und den ich an seinem weiten Grenadiersrocke trotz eines künstlichen Schnurrbartes und eines falschen Zopfes alsbald für meinen Laternenputzer Felix erkannte.

Der Junge trat mit einem Hunde herein, der sogleich seinen Lauf nach dem Katzenverschlage nahm. Dies bemerkte mein Vetter und endigte seine mineralogische Vorlesung; denn bereits hatte der Hund eine der Katzen am Schwanze gefaßt und wollte sie durch das Gitter des Verschlages herausziehen.

Mein Vetter lud gemächlich seine Kleistische Flasche, um dem Hund einen derben Schlag zu versetzen: denn auf eine andere Art wußte er sich nie zu schlagen oder zu wehren; aber, wehe! auf einmal brach eine der hölzernen Stangen des Verschlages, und zischend, mit feurigen Augen fuhren die zwölf Katzen wie wütend heraus auf uns zu.

»Wehrt euch mit diesen Steinen«, schrie Felix und nahm einen Stein nach dem andern aus dem Kabinette meines Vetters und schmiß ihn den Katzen nach.

»Weh, meine Mineraliensammlung!« schrie mein Vetter und wollte den Jungen beim Haarzopfe fassen, als derselbe Haarzopf in seinen Händen zurückblieb und der Junge, etwas vom Meere in den Bart brummend, die Treppen hinabsetzte.

Die Katzen waren alle schon durch eine zerbrochene Fensterscheibe[111] gedrungen und liefen über des Nachbars Dach auf dem Wetterableiter wie ein Blitz hin.

Auf dies machte ich meinen Vetter aufmerksam, und so niedergeschlagen der war, so tröstete ihn diese Erscheinung doch einigermaßen. Er erklärte sich den Lauf der Katzen so, indem er annahm, daß durch das Reiben der Katzenfelle an der Glasscheibe, die sie mit Gewalt passierten, sich auf dem Felle Elektrizität in Menge müsse entwickelt haben, welche Elektrizität die Katzen gezwungen hätte, nach dem Blitzableiter ihren Lauf zu nehmen.

»Die Erscheinung ist in der Tat merkwürdig«, sprach mein Vetter, indem er geruhig die Steine wieder in ihre Fächer legte, »und erklärt einigermaßen, warum die Katzen sich so gerne auf Dächern aufhalten.«


Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 1, Berlin 1914, S. 111-112.
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