Fünftes Kapitel

[55] Günther wollte wirtschaften. Er ging auf das Feld hinaus. Es wurde gemäht. Brusttief regten sich die Leute in den Halmen, wie in knisternder, gelber Seide. Ziepe stand dabei und schimpfte: »Du kleines, schwarzes Aas, heißt das Setzen? Du brauchst nur mit deiner Rotznase anzustoßen, dann purzelt die Bude um.« Günther war sehr würdig und leutselig. »Hier ist ungleich gemäht«, bemerkte er. »Haben die Leute auch zu trinken? Ich will, daß nichts versäumt wird.« Er schritt an den Garben entlang, durch die Atmosphäre der heißen Ähren und heißen Menschen. Von einer Garbennehmerin, die hübsche Augen hatte, ließ er sich die Ackerwinden geben, die das Mädchen auf dem Strohhut hatte. Als er jedoch weiter dem Ellernbruch zuging, war er unzufrieden. Das müßte anders sein. Er müßte anders auf seine Leute wirken. Diese gleichgültigen Augen wollte er nicht. Teufel! Wenn man auf seine eigenen Arbeiter nicht wirkt, wo will man denn Effekt machen!

Im Ellernbruch fand Günther eine lange, bunte Gestalt im Grase liegen. Wie kam all das hierher? Der blau und weiß gestreifte Sommerflanell, das blauseidene Hemd, der rot und blau gestreifte Gürtel?

»Hans Berkow«, sagte Günther.

»Morjen, Tarniff«, meinte Berkow und gähnte. »Wie geht's?«

»Was machst du hier?«

»Siesta. Nimm doch Platz.«

Günther setzte sich auf das Moos. Was der Anblick von Hans Berkow nicht alles an Berliner Luft mitbrachte! »Studien«, berichtete Hans. »Ich wollte euer brutales Licht studieren, dicke Bauernmädchen.[56] Das ewige Malen von Berlinerinnen macht den Pinsel flau.«

»Wo wohnst du? Warum bist du nicht bei uns?«

»Es ist nicht angenehm, der unvermeidliche Berkow zu sein. In Berlin ist er – in Kaltin wieder.« Das Gesicht hatte so regelmäßige Züge, daß es zuerst leer und starr erschien. Rotes Haar in kurzen Locken bedeckte wie eine Kappe den Kopf. Die enzianblauen Augen mit den roten Wimpern aber waren es, die dem Gesicht seine überraschende Schönheit gaben. »Ich wohne in einem Waldkruge. Schöne Bäume. Auch die Familie Mankow ist malerisch. Die Tochter Eva – eine gute Studie in Rot.«

»Dort kannst du nicht bleiben«, meinte Günther.

»Ja – wenn du was für mich tun willst –« Hans blinzelte mit den roten Wimpern nachdenklich zur Sonne auf. »Du hast da so 'n altes Schloß. Süperb vermoost. Wenn du mir gestatten würdest, dort –«

»Aber natürlich.«

»Danke.«

Eine Weile schwiegen beide. »Die schöne Mareile ist heute bei euch angelangt«, begann Hans wieder. »Du bist gut unterrichtet«, meinte Günther. »Bist du deshalb hier?«

»Ja – auch.« Berkow wälzte sich, wie im Bette, auf die andere Seite herum. »Ja – Mareile ist gut – nicht?« sagte er langsam. »Wenn sie sich ein wenig zurückbiegt –, dann die Linie den Busen hinauf zum Halsansatz –, das vergißt sich nicht so leicht. Und die Arme –, als wäre sie im Peplon geboren.«


»Du bist im Zuge«, bemerkte Günther. Berkow zog die Augenbrauen hinauf. »Was willst du! Wenn der[57] Gedanke an ein Weib uns zu beißen anfängt, wie der bekannte spartanische Fuchs aus der Geschichtsstunde – na – dann muß was geschehen ... Wenn ein Weib eine unbequeme große Rolle in unseren Vorstellungen zu spielen beginnt, ja – dann müssen wir es eben besitzen, um es loszuwerden. Kann ich auf dich rechnen?«

»Gewiß, gewiß, mein Alter«, erwiderte Günther. »Soweit bei Mareile von Rechnen die Rede ist ... Sie ist unberechenbar.«

»Ach Gott! Die Mädchen haben ja doch alle denselben Generalnenner!« meinte Berkow. Günther lachte gezwungen. Der Gedanke an ein schönes Weib in Verbindung mit einem anderen als ihm selbst, war Günther stets zuwider gewesen.

Quelle:
Eduard von Keyserling: Gesammelte Erzählungen in vier Bänden, Band 1, Berlin 1922, S. 55-58.
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