Sechster Auftritt

[63] Kaspar. Bald darauf Max. Späterhin Erscheinungen, die jedoch sämtlich den Zauberkreis nicht berühren. Zuletzt Samiel.


KASPAR richtet sich langsam und erschöpft auf und trocknet sich den Schweiß von der Stirn. Der Totenkopf mit dem Hirschfänger ist verschwunden, an dessen Stelle kommt ein kleiner Herd mit glimmenden Kohlen, dabei einige Reisbunde, aus der Tiefe. Als er sie erblickt. Trefflich bedient! Er tut einen Zug aus der Jagdflasche. Gesegn' es, Samiel! Trinkt. – Er hat mir warm gemacht! – Aber wo bleibt Max? – Sollte er wortbrüchig werden. Samiel, hilf! Er geht nicht ohne Beängstigung im Kreise hin und her; die Kohlen drohen zu verlöschen; er kniet zu ihnen nieder, legt Reis auf und bläst an. Die Eule und andere Vögel heben dabei die Flügel, als wollten sie anfachen. Das Feuer raucht und knistert.

MAX wird auf einer Felsenspitze, dem Wasserfall gegenüber, sichtbar und beugt sich in die Schlucht herab.

Ha! – Furchtbar gähnt

Der düstre Abgrund, welch ein Graun!

Das Auge wähnt

In einen Höllenpfuhl zu schaun! –

Wie dort sich Wetterwolken ballen,

Der Mond verliert von seinem Schein!

Gespenst'ge Nebelbilder wallen,

Belebt ist das Gestein![63]

Und hier – husch, husch!

Fliegt Nachtgevögel auf im Busch!

Rotgraue narb'ge Zweige strecken

Nach mir die Riesenfaust!

Nein! ob das Herz auch graust,

Ich muß! Ich trotze allen Schrecken!


Er klettert einige Schritte herab.


KASPAR richtet sich auf und erblickt ihn. Dank, Samiel! die Frist ist gewonnen! Zu Max. Kommst du endlich, Kamerad? Ist das auch recht, mich so allein zu lassen? Siehst du nicht, wie mir's sauer wird! Er hat das Feuer mit dem Adlerflügel angefacht und erhebt diesen im Gespräch gegen Max.

MAX nach dem Adlerflügel starrend.

Ich schoß den Adler aus hoher Luft;

Ich kann nicht rückwärts – mein Schicksal ruft! –


Er klettert einige Schritte, bleibt dann wieder stehen und blickt starr nach dem gegenüberliegenden Felsen. Der Geist seiner Mutter erscheint im Felsen.


Weh mir!

KASPAR.

So komm doch, die Zeit eilt!

MAX. Ich kann nicht hinab!

KASPAR. Hasenherz! Klimmst ja sonst wie eine Gemse!

MAX.

Sieh dorthin! Sieh!


Er deutet nach dem Felsen, man erblickt eine weißverschleierte Gestalt, die die Hand erhebt.


Was dort sich weist,

Ist meiner Mutter Geist!

So lag sie im Sarg, so ruht sie im Grab! –

Sie fleht mit warnendem Blick!

Sie winkt mir zurück!

KASPAR für sich. Hilf, Samiel! Laut. Alberne Fratzen! – Hahaha! Sieh noch einmal hin, damit du die Folgen deiner feigen Torheit erkennest.


Die verschleierte Gestalt ist verschwunden, man erblickt Agathens Gestalt mit aufgelösten Locken und wunderlich mit Laub und Stroh aufgeputzt. Sie gleicht völlig einer Wahnsinnigen und scheint im Begriff, sich in den Wasserfall herabzustürzen.[64]


MAX. Agathe! Sie springt in den Fluß! Hinab! Hinab! ich muß!


Die Gestalt verschwindet, Max klimmt vollends herab, der Mond fängt an sich zu verfinstern.


KASPAR höhnisch für sich. Ich denke wohl auch!

MAX heftig zu Kaspar. Hier bin ich! Was hab' ich zu tun?

KASPAR wirft ihm die Jagdflasche zu, die Max weglegt. Zuerst trink! die Nachtluft ist kühl und feucht. Willst du selbst gießen?

MAX. Nein! das ist wider die Abrede.

KASPAR. Nicht? So bleib außer dem Kreise, sonst kostet's dein Leben!

MAX. Was hab' ich zu tun, Hexenmeister?

KASPAR. Fasse Mut! Was du auch hören und sehen magst, verhalte dich ruhig. Mit eigenem heimlichen Grauen. Käme vielleicht ein Unbekannter, uns zu helfen, was kümmert's dich? Kommt was andres, was tut's? So etwas sieht ein Gescheiter gar nicht!

MAX. Oh, wie wird das enden!

KASPAR. Umsonst ist der Tod! Nicht ohne Widerstand schenken verborgene Naturen den Sterblichen ihre Schätze. Nur wenn du mich selbst zittern siehst, dann komm mir zu Hilfe und rufe, was ich rufen werde, sonst sind wir beide verloren.


Max macht eine Bewegung des Einwurfs.


KASPAR. Still! Die Augenblicke sind kostbar! Der Mond ist bis auf einen schmalen Streif verfinstert. Kaspar nimmt die Gießkelle. Merk' auf, was ich hineinwerfen werde, damit du die Kunst lernst. Er nimmt die Ingredienzien aus der Jagdtasche und wirft sie nach und nach hinein. Hier erst das Blei. – Etwas gestoßenes Glas von zerbrochenen Kirchenfenstern; das findet sich! – Etwas Quecksilber! – Drei Kugeln, die schon einmal getroffen! – Das rechte Auge eines Wiedehopfs! – Das linke eines Luchses! Probatum est! – Und nun den Kugelsegen! In drei Pausen sich gegen die Erde neigend.

Schütze, der im Dunkeln wacht!

Samiel! Samiel! hab' acht!

Steh mir bei in dieser Nacht,[65]

Bis der Zauber ist vollbracht!

Salbe mir so Kraut, als Blei,

Segn' es sieben, neun und drei,

Daß die Kugel tüchtig sei!

Samiel! Samiel! herbei!


Die Masse in der Gießkelle fängt an zu gären und zu zischen und gibt einen grünlichweißen Schein. Eine Wolke läuft über den Mondstreif, daß die ganze Gegend nur noch von dem Herdfeuer, den Augen der Eule und dem faulen Holz des Baums beleuchtet ist.


KASPAR gießt, läßt die Kugel aus der Form fallen und ruft: Eins!

DAS ECHO wiederholt. Eins!


Waldvögel kommen herunter, setzen sich um den Kreis, hüpfen und flattern.


KASPAR gießt und zählt. Zwei!

ECHO. Zwei!


Ein schwarzer Eber raschelt durchs Gebüsch und jagt wild vorüber.


KASPAR stutzt und zählt. Drei!

ECHO. Drei!


Ein Sturm erhebt sich, beugt und bricht Wipfel der Bäume, jagt Funken vom Feuer usw.


KASPAR zählt ängstlich. Vier!

ECHO. Vier!


Man hört Rasseln, Peitschengeknall und Pferdegetrappel; vier feurige funkenwerfende Räder rollen vorüber, ohne daß man wegen der Schnelligkeit ihre eigentliche Gestalt oder den Wagen gewahr werden kann.


KASPAR immer ängstlicher, zählt. Fünf!

ECHO. Fünf!


Hundegebell und Wiehern in der Luft; Nebelgestalten von Jägern zu Fuß und zu Roß, Hirschen und Hunden ziehen auf der Höhe vorüber.


CHOR unsichtbar.

Durch Berg und Tal, durch Schlund und Schacht,

Durch Tau und Wolken, Sturm und Nacht!

Durch Höhle, Sumpf und Erdenkluft,

Durch Feuer, Erde, See und Luft,

Joho! Wauwau! ho! ho! ho! ho! ho! hol ho! ho![66]

KASPAR.

Wehe! Das wilde Heer! Sechs! Wehe!

ECHO.

Sechs! Wehe!


Der ganze Himmel wird schwarze Nacht, die vorher miteinander kämpfenden Gewitter treffen zusammen und entladen sich mit furchtbaren Blitzen und Donnern; Platzregen fällt; dunkelblaue Flammen schlagen aus der Erde; Irrlichter zeigen sich auf den Bergen; Bäume werden prasselnd aus den Wurzeln gerissen; der Wasserfall schäumt und tobt; Felsenstücke stürzen herab; von allen Seiten Wettergeläut; die Erde scheint zu schwanken.


KASPAR zuckend und schreiend. Samiel! – Samiel! Er wird zu Boden geworfen. Hilf! – Sieben! Max gleichfalls vom Sturm hin und her geschleudert springt aus dem Kreis, faßt einen Ast des verdorrten Baumes und schreit: Samiel!


In demselben Augenblicke fängt das Ungewitter an, sich zu beruhigen, an der Stelle des verdorrten Baumes steht der schwarze Jäger, nach Maxens Hand fassend.


SAMIEL mit furchtbarer Stimme. Hier bin ich!


Max schlägt ein Kreuz und stürzt zu Boden.


Es schlägt eins. Plötzliche Stille. Samiel ist verschwunden, Kaspar liegt noch mit dem Gesicht zu Boden, Max richtet sich konvulsivisch auf.


Nr. 11. Entre-Akt


Quelle:
Carl Maria von Weber: Der Freischütz. Leipzig [o.J.], S. 63-67.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Prinzessin Brambilla

Prinzessin Brambilla

Inspiriert von den Kupferstichen von Jacques Callot schreibt E. T. A. Hoffmann die Geschichte des wenig talentierten Schauspielers Giglio der die seltsame Prinzessin Brambilla zu lieben glaubt.

110 Seiten, 4.40 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon