6.

[131] Zum letzten Male senke ich die Blicke

Zum Gruss vor einer schleierlosen Frau.

Zum letzten Male blinkt der Himmel blau;

Und um Verlornes schlingt sich Wind und Wicke.


Ich spür zwei sanfte Lippen im Genicke –

Sie schneiden heute wie mit Messern rauh.

Die Stadt im Tal erscheint im Abendtau,

Und leis am Abhang läuten Geis und Zicke.


Nun wallt die rote Dämmerung hernieder.

Die Stadt verliert die Türme in der Nacht.

In Blatt und Wolke lösen sich die Glieder.


Ich schliess die Augen, die so lang gewacht.

Ein Hund bellt an Staketen, weiss von Flieder.

Ein Stern ist über meiner Stirn entfacht.[131]

Quelle:
Klabund: Das heiße Herz. Berlin 1922, S. 131-132.
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