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[371] Die Sanduhr rinnt. Das Licht verbrennt.

Man färbt sich den Bart mit Listen.

So richt ich denn mein Testament

Wie alle guten Christen.


Wo ist mein fester Blick? Ich bin

Ein Säufer und taumle und stiere.

Ich vermache mein Doppel- und Stoppelkinn

Meinem Hofbarbiere.


Hier dieses Herz: es zuckte und hing

An allem Erlauchten und Edeln.

Es mag ein fünfzehnjähriges Ding

Die Fliegen sich damit wedeln.


Hier diese Hand: einst Hieb und Stich

Beim Becher und beim Degen -

Sie mag versteint und verknöchert sich

An eines Bischofs Wange legen.


Mein Liebeswerkzeug sei vermacht

Der lieben süßen Margot.

Sie betet es an um Mitternacht

Im fürchterlichsten Argot.[371]


Und meinen Haß: ich schenke ihn

An jedermann und alle.

Sie sollen ihn sich auf Flaschen ziehn

Als Gift und grüne Galle.


Mein Wappen und mein Rittertum

Einem unehlichen Kinde:

Es schrei meine Ehre und meinen Ruhm

In alle Budiken und Winde.


Gegeben Gefängnis Meung sur Loire,

Verlaust, wie ein Tier hinter Stäben,

Von einem, der einst ein Dichter war

In diesem und jenem Leben.


Quelle:
Klabund: Der himmlische Vagant. Köln 1968, S. 371-372.
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