Prolog

Diese Buchstaben zeichne ich zur Erinnerung auf, diese Worte schreibe ich zum Gedächtnis, diese Gedanken denke ich zum Nach-denken, diese Handlungen male ich zum Danach-handeln.

Mein Name ist Johannes Goritz, geboren bin ich in Luxemburg im Deutschen Reich. Meines Standes bin ich Supplikenreferent. Mein Haus am Forum Trajanum in Rom steht allen Menschen von Kultur und Bildung offen. Vorzüglich die Deutschen, welche nach Rom kommen, pflegen mir die Ehre ihres Besuches zu erweisen. So hatte ich die Freude, Reuchlin, Copernicus, Erasmus, Ulrich von Hutten und jenen nachgerade berühmt oder berüchtigt gewordenen Mönch Martin Luther in meiner Häuslichkeit willkommen zu heißen und zu bewirten. Letzterer war, wenn ich mich recht erinnere, ein starker Esser vor dem Herrn, einem üppigen Kapaun oder feisten Schweinebraten barbarisch zugetan. Wie überhaupt Mönchisches und Barbarisches, Deutsches und Skythisches sich bei ihm wunderlich vermengten[7] und so eine Erklärung geben für die übertriebene Ablehnung der Zustände im »Sündenbabel« Rom. Die Erde drehte sich damals schneller um ihre Achse. Die Menschen verloren leicht die Balance. Kometen zogen ihre Schweife über den nächtlichen Horizont. Der Saturn zeigte sein böses Licht. Vesuv und Stromboli spien Feuer. Der Kriegsgreuel, der Revolutions- und Religionskämpfe war kein Ende und der Humanität kein Anfang, obwohl jedermann von Humanismus sprach. Wie sollte ausgerechnet Rom in diesem Chaos unverrückbar sein moralisches Gleichgewicht behalten? War es ein Wunder, daß Sankt Petri Felsen zu wanken begann und die heilige Kirche in ihren Grundfesten erschüttert wurde?

Mit eigener Hand habe ich dieses Diarium der römischen Begebenheiten zur Zeit der Borgia in lateinischer Sprache niedergeschrieben, in der freien Zeit, die mir meine ausgedehnten Amtsgeschäfte ließen. Als einziges Besitztum habe ich dieses Manuskript aus der Plünderung Roms a. d. 1527 gerettet, jenes Jahres unseliger Erinnerung, in dem ich all mein Hab und Gut verlor[8] bis auf die Kraft meines Herzens und die Unversehrtheit meines Verstandes. Das Schicksal führte mich in die nächste Nähe jenes denkwürdigen Giganten, Alexander Borgia genannt. Ich hatte oft die Gelegenheit, seine überaus schöne und anmutige Tochter Lucrezia sowie Seine Hoheit, den Herzog der Romagna, Cesare Borgia, persönlich und im vertrautesten Kreise zu sprechen und mir meine eigene Meinung über drei Menschen zu bilden, die zugleich hold und unhold waren und in deren Seelen sich die größten Gegensätze vereinigten.

Wohl jeder, der beispielsweise Cesare Borgia nur nach seinen Taten und den Pamphleten seiner Feinde, deren er unzählige besaß, beurteilt, macht sich ein völlig falsches Bild seiner äußeren Erscheinung und seines »öffentlichen Charakters«. Cesare Borgia war immer ein Mann von besonderer Höflichkeit, Zurückhaltung und seltener Bescheidenheit, kurz, das Idealbild dessen, was man einen Virtuoso und Cortegiano nennt. Seine Taten und Pläne stehen auf einem anderen Blatt. Sein persönlicher Charme, ja seine Sanftmut vertrug sich durchaus[9] mit einer sachlichen Härte und Grausamkeit. Ohne je lieben zu können, war er stets liebenswürdig, und ich weiß noch, wie entzückt mir Machiavell von seiner Begegnung mit ihm erzählte, die ihm die Idee seines Traktates über den »Fürsten« einflößte. Und dies zu einer Zeit, als Cesare Borgia nur noch eine Ruine seiner selbst war, denn die Franzosenkrankheit hatte ihm furchtbar zugesetzt. Auch über Alexander VI., den gewaltigen Schöpfer der Dynastie Borgia –, denn um eine solche handelt es sich – sind völlig unrichtige Legenden im Umlaufe, soweit sie seine sichtbare Erscheinung betreffen (jede geschichtliche Persönlichkeit hat viele Gestalten: und oft täuscht eine Facette, die aufleuchtet, über das Gesamtbild hinweg). In ihm tobte wohl ein Teufel – aber er wurde nie äußerlich erkennbar. Alexander Borgia war einer der schönsten Menschen seiner Zeit, kraftvoll bis in sein spätestes Alter, voll heiterer harmonischer Gemütsart und allen Dämonen der Finsternis abhold. Er liebte seine Kinder abgöttisch und war einzig bedacht, die Macht der Borgia[10] voll Umsicht und ohne jede Rücksicht auf moralische Vorurteile zu mehren. Er tat alles, was er tat, im Angesicht der Leute, verheimlichte nichts, und ich habe nie einen Menschen gesehen, der so wie er das Urteil der Welt verachtete. Es liegt mir fern, eine Apologie der Borgia zu schreiben, ich wäge die Waage der Gerechtigkeit in meiner Hand: mag Gott die Gewichte verteilen, es ist nicht meines Amtes, das Urteil zu sprechen: ich bin Supplikenreferent: ich – referiere.[11]

Quelle:
Klabund: Borgia. Wien 1931, S. 7-12.
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