Achtes Kapitel

Von der Erziehung der Deutschen

[395] Fr. Was mag die Vorsehung wohl damit, mein Sohn, daß sie die Deutschen so grimmig durch Napoleon, den Korsen, aus ihrer Ruhe aufgeschreckt hat, bezweckt haben?

Antw. Das weiß ich nicht.

Fr. Das weißt du nicht?

Antw. Nein, mein Vater.

Fr. Ich auch nicht. Ich schieße nur, mit meinem Urteil, ins Blaue hinein. Treffe ich, so ist es gut; wo nicht, so ist an dem Schuß nichts verloren. – Tadelst du dies Unternehmen?

Antw. Keineswegs, mein Vater.

Fr. Vielleicht meinst du, die Deutschen befanden sich schon, wie die Sachen stehn, auf dem Gipfel aller Tugend, alles Heils und alles Ruhms?

Antw. Keineswegs, mein Vater.

Fr. Oder waren wenigstens auf gutem Wege, ihn zu erreichen?

Antw. Nein, mein Vater; das auch nicht.

Fr. Von welcher Unart habe ich dir zuweilen gesprochen?

Antw. Von einer Unart?

Fr. Ja; die dem lebenden Geschlecht anklebt.

Antw. Der Verstand der Deutschen, hast du mir gesagt, habe, durch einige scharfsinnigen Lehrer, einen Überreiz bekommen; sie reflektierten, wo sie empfinden oder handeln sollten, meinten, alles durch ihren Witz bewerkstelligen zu können, und gäben nichts mehr auf die alte, geheimnisvolle Kraft der Herzen.

Fr. Findest du nicht, daß die Unart, die du mir beschreibst, zum Teil auch auf deinem Vater ruht, indem er dich katechisiert?

Antw. Ja, mein lieber Vater.

Fr. Woran hingen sie, mit unmäßiger und unedler Liebe?

Antw. An Geld und Gut, trieben Handel und Wandel[395] damit, daß ihnen der Schweiß, ordentlich des Mitleidens würdig, von der Stirn triefte, und meinten, ein ruhiges, gemächliches und sorgenfreies Leben sei alles, was sich in der Welt erringen ließe.

Fr. Warum also mag das Elend wohl, das in der Zeit ist, über sie gekommen, ihre Hütten zerstört und ihre Felder verheert worden sein?

Antw. Um ihnen diese Güter völlig verächtlich zu machen, und sie anzuregen, nach den höheren und höchsten, die Gott den Menschen beschert hat, hinanzustreben.

Fr. Und welches sind die höchsten Güter der Men schen?

Antw. Gott, Vaterland, Kaiser, Freiheit, Liebe und Treue, Schönheit, Wissenschaft und Kunst.

Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band3, Berlin und Weimar 1978, S. 395-396.
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