Erster Auftritt

[176] Theobald und Gottfried Friedeborn führen das Käthchen von einem Felsen herab.


THEOBALD. Nimm dich in acht, mein liebes Käthchen; der Gebirgspfad, siehst du, hat eine Spalte. Setze deinen Fuß hier auf diesen Stein, der ein wenig mit Moos bewachsen ist; wenn ich wüßte, wo eine Rose wäre, so wollte ich es dir sagen. – So!

GOTTFRIED. Doch hast wohl Gott, Käthchen, nichts von der Reise anvertraut, die du heut zu tun willens warst? – Ich glaubte, an dem Kreuzweg, wo das Marienbild steht, würden zwei Engel kommen, Jünglinge, von hoher Gestalt, mit schneeweißen Fittichen an den Schultern, und sagen: Ade, Theobald! Ade, Gottfried! Kehrt zurück, von wo ihr gekommen seid; wir werden das Käthchen jetzt auf seinem Wege zu Gott weiter führen. – Doch es war nichts; wir mußten dich ganz bis ans Kloster herbringen.

THEOBALD. Die Eichen sind so still, die auf den Bergen verstreut sind: man hört den Specht, der daran pickt. Ich glaube, sie wissen, daß Käthchen angekommen ist, und lauschen auf das, was sie denkt. Wenn ich mich doch in die Welt auflösen könnte, um es zu erfahren. Harfenklang muß nicht lieblicher sein, als ihr Gefühl; es würde Israel hinweggelockt[176] von David und seinen Zungen neue Psalter gelehrt haben. – Mein liebes Käthchen?

KÄTHCHEN. Mein lieber Vater!

THEOBALD. Sprich ein Wort.

KÄTHCHEN. Sind wir am Ziele?

THEOBALD. Wir sind's. Dort in jenem freundlichen Gebäude, das mit seinen Türmen zwischen die Felsen geklemmt ist, sind die stillen Zellen der frommen Augustinermönche; und hier, der geheiligte Ort, wo sie beten.

KÄTHCHEN. Ich fühle mich matt.

THEOBALD. Wir wollen uns setzen. Komm, gib mir deine Hand, daß ich dich stütze. Hier vor diesem Gitter ist eine Ruhebank, mit kurzem und dichtem Gras bewachsen: schau her, das angenehmste Plätzchen, das ich jemals sah.


Sie setzen sich.


GOTTFRIED. Wie befindest du dich?

KÄTHCHEN. Sehr wohl.

THEOBALD. Du scheinst doch blaß, und deine Stirne ist voll Schweiß?


Pause.


GOTTFRIED. Sonst warst du so rüstig, konntest meilenweit wandern, durch Wald und Feld, und brauchtest nichts, als einen Stein, und das Bündel, das du auf der Schulter trugst, zum Pfühl, um dich wiederherzustellen; und heut bist du so erschöpft, daß es scheint, als ob alle Betten, in welchen die Kaiserin ruht, dich nicht wieder auf die Beine bringen würden.

THEOBALD. Willst du mit etwas erquickt sein.

GOTTFRIED. Soll ich gehen und dir einen Trunk Wasser schöpfen?

THEOBALD. Oder suchen wo dir eine Frucht blüht?

GOTTFRIED. Sprich, mein liebes Käthchen!

KÄTHCHEN. Ich danke dir, lieber Vater.

THEOBALD. Du dankst uns.[177]

GOTTFRIED. Du verschmähst alles.

THEOBALD. Du begehrst nichts, als daß ich ein Ende mache: hingehe und dem Prior Hatto, – meinem alten Freund, sage: der alte Theobald sei da, der sein einzig liebes Kind begraben wolle.

KÄTHCHEN. Mein lieber Vater!

THEOBALD. Nun gut. Es soll geschehn. Doch bevor wir die entscheidenden Schritte tun, die nicht mehr zurückzunehmen sind, will ich dir noch etwas sagen. Ich will dir sagen, was Gottfried und mir eingefallen ist, auf dem Wege hierher, und was, wie uns scheint, ins Werk zu richten notwendig ist, bevor wir den Prior in dieser Sache sprechen. – Willst du es wissen?

KÄTHCHEN. Rede!

THEOBALD. Nun wohlan, so merk auf, und prüfe dein Herz wohl! – Du willst in das Kloster der Ursulinerinnen gehen, das tief im einsamen kieferreichen Gebirge seinen Sitz hat. Die Welt, der liebliche Schauplatz des Lebens, reizt dich nicht mehr; Gottes Antlitz, in Abgezogenheit und Frömmigkeit angeschaut, soll dir Vater, Hochzeit, Kind, und der Kuß kleiner blühender Enkel sein.

KÄTHCHEN. Ja, mein lieber Vater.

THEOBALD nach einer kurzen Pause. Wie wär's, wenn du auf ein paar Wochen, da die Witterung noch schön ist, zu dem Gemäuer zurückkehrtest, und dir die Sache ein wenig überlegtest?

KÄTHCHEN. Wie?

THEOBALD. Wenn du wieder hingingst, mein ich, nach der Strahlburg, unter den Holunderstrauch, wo sich der Zeisig das Nest gebaut hat, am Hang des Felsens, du weißt, von wo das Schloß, im Sonnenstrahl funkelnd, über die Gauen des Landes herniederschaut?

KÄTHCHEN. Nein, mein lieber Vater!

THEOBALD. Warum nicht?

KÄTHCHEN. Der Graf, mein Herr, hat es mir verboten.

THEOBALD. Er hat es dir verboten. Gut. Und was er dir verboten[178] hat, das darfst du nicht tun. Doch wie, wenn ich hinginge und ihn bäte, daß er es erlaubte?

KÄTHCHEN. Wie? Was sagst du?

THEOBALD. Wenn ich ihn ersuchte, dir das Plätzchen, wo dir so wohl ist, zu gönnen, und mir die Freiheit würde, dich daselbst mit dem, was du zur Notdurft brauchst, freundlich auszustatten?

KÄTHCHEN. Nein, mein lieber Vater.

THEOBALD. Warum nicht?

KÄTHCHEN beklemmt. Das würdest du nicht tun; und wenn du es tätest, so würde es der Graf nicht erlauben; und wenn der Graf es erlaubte, so würd ich doch von seiner Erlaubnis keinen Gebrauch machen.

THEOBALD. Käthchen! Mein liebes Käthchen! Ich will es tun. Ich will mich so vor ihm niederlegen, wie ich es jetzt vor dir tue, und sprechen: mein hoher Herr! erlaubt, daß das Käthchen unter dem Himmel, der über Eure Burg gespannt ist, wohne; reitet Ihr aus, so vergönnt, daß sie Euch von fern, auf einen Pfeilschuß, folge, und räumt ihr, wenn die Nacht kömmt, ein Plätzchen auf dem Stroh ein, das Euren stolzen Rossen untergeschüttet wird. Es ist besser, als daß sie vor Gram vergehe.

KÄTHCHEN indem sie sich gleichfalls vor ihm niederlegt. Gott im höchsten Himmel; du vernichtest mich! Du legst mir deine Worte kreuzweis, wie Messer, in die Brust! Ich will jetzt nicht mehr ins Kloster gehen, nach Heilbronn will ich mit dir zurückkehren, ich will den Grafen vergessen, und, wen du willst, heiraten; müßt auch ein Grab mir, von acht Ellen Tiefe, das Brautbett sein.

THEOBALD der aufgestanden ist und sie aufhebt. Bist du mir bös, Käthchen?

KÄTHCHEN. Nein, nein! Was fällt dir ein?

THEOBALD. Ich will dich ins Kloster bringen!

KÄTHCHEN. Nimmer und nimmermehr! Weder auf die Strahlburg, noch ins Kloster! – Schaff mir nur jetzt, bei dem Prior, ein Nachtlager, daß ich mein Haupt niederlege, und mich[179] erhole; mit Tagesanbruch, wenn es sein kann, gehen wir zurück. Sie weint.

GOTTFRIED. Was hast du gemacht, Alter?

THEOBALD. Ach! Ich habe sie gekränkt!

GOTTFRIED klingelt. Prior Hatto ist zu Hause?

PFÖRTNER öffnet. Gelobt sei Jesus Christus!

THEOBALD. In Ewigkeit, Amen!

GOTTFRIED. Vielleicht besinnt sie sich!

THEOBALD. Komm, meine Tochter!


Alle ab.


Szene: Eine Herberge.


Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 1978, S. 176-180.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Das Käthchen von Heilbronn oder die Feuerprobe
Das Käthchen von Heilbronn: oder die Feuerprobe. Studienausgabe
Das Käthchen von Heilbronn oder die Feuerprobe: Reclam XL - Text und Kontext
Prinz Friedrich von Homburg / Der zerbrochene Krug / Das Käthchen von Heilbronn oder die Feuerprobe.
Das Käthchen von Heilbronn oder Die Feuerprobe: Ein großes historisches Ritterschauspiel. Berlin 1810 (Suhrkamp BasisBibliothek)
Hamburger Lesehefte, Nr.56, Das Käthchen von Heilbronn oder Die Feuerprobe

Buchempfehlung

Gellert, Christian Fürchtegott

Geistliche Oden und Lieder

Geistliche Oden und Lieder

Diese »Oden für das Herz« mögen erbaulich auf den Leser wirken und den »Geschmack an der Religion mehren« und die »Herzen in fromme Empfindung« versetzen, wünscht sich der Autor. Gellerts lyrisches Hauptwerk war 1757 ein beachtlicher Publikumserfolg.

88 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon