Sechster Auftritt

[185] Das Käthchen mit einem Brief. Die Vorigen.


DER GRAF VOM STRAHL.

Schmeiß sie hinaus. Ich will nichts von ihr wissen.

GOTTSCHALK.

Was! Hört ich recht –?

KÄTHCHEN.

Wo ist der Graf vom Strahl?

DER GRAF VOM STRAHL.

Schmeiß sie hinaus! Ich will nichts von ihr wissen!

GOTTSCHALK nimmt sie bei der Hand.

Wie, gnädiger Herr, vergönnt –!

KÄTHCHEN reicht ihm den Brief.

Hier! nehmt, Herr Graf!

DER GRAF VOM STRAHL sich plötzlich zu ihr wendend.

Was willst du hier? Was hast du hier zu suchen?

KÄTHCHEN erschrocken.

Nichts! – Gott behüte! Diesen Brief hier bitt ich –[185]

DER GRAF VOM STRAHL.

Ich will ihn nicht! – Was ist dies für ein Brief?

Wo kommt er her? Und was enthält er mir?

KÄTHCHEN.

Der Brief hier ist –

DER GRAF VOM STRAHL.

Ich will davon nichts wissen!

Fort! Gib ihn unten in dem Vorsaal ab.

KÄTHCHEN.

Mein hoher Herr! Laßt bitt ich, Euch bedeuten –

DER GRAF VOM STRAHL wild.

Die Dirne, die landstreichend unverschämte!

Ich will nichts von ihr wissen! Hinweg, sag ich!

Zurück nach Heilbronn, wo du hingehörst!

KÄTHCHEN.

Herr meines Lebens! Gleich verlaß ich Euch!

Den Brief nur hier, der Euch sehr wichtig ist,

Erniedrigt Euch, von meiner Hand zu nehmen.

DER GRAF VOM STRAHL.

Ich aber will ihn nicht! Ich mag ihn nicht!

Fort! Augenblicks! Hinweg!

KÄTHCHEN.

Mein hoher Herr!

DER GRAF VOM STRAHL wendet sich.

Die Peitsche her! An welchem Nagel hängt sie?

Ich will doch sehn, ob ich, vor losen Mädchen,

In meinem Haus nicht Ruh mir kann verschaffen.


Er nimmt die Peitsche von der Wand.


GOTTSCHALK.

O gnäd'ger Herr! Was macht Ihr? Was beginnt Ihr?

Warum auch wollt Ihr, den nicht sie verfaßt,

Den Brief, nicht freundlich aus der Hand ihr nehmen?

DER GRAF VOM STRAHL.

Schweig, alter Esel, du, sag ich.

KÄTHCHEN zu Gottschalk.

Laß, laß!

DER GRAF VOM STRAHL.

In Thurneck bin ich hier, weiß, was ich tue;

Ich will den Brief aus ihrer Hand nicht nehmen!

– Willst du jetzt gehn?

KÄTHCHEN rasch.

Ja, mein verehrter Herr![186]

DER GRAF VOM STRAHL.

Wohlan!

GOTTSCHALK halblaut zu Käthchen, da sie zittert.

Sei ruhig. Fürchte nichts.

DER GRAF VOM STRAHL.

So fern dich! –

Am Eingang steht ein Knecht, dem gib den Brief,

Und kehr des Weges heim, von wo du kamst.

KÄTHCHEN.

Gut, gut. Du wirst mich dir gehorsam finden.

Peitsch mich nur nicht, bis ich mit Gottschalk sprach. –


Sie kehrt sich zu Gottschalk um.


Nimm du den Brief.

GOTTSCHALK.

Gib her, mein liebes Kind.

Was ist dies für ein Brief? Und was enthält er?

KÄTHCHEN.

Der Brief hier ist vom Graf vom Stein, verstehst du?

Ein Anschlag, der noch heut vollführt soll werden,

Auf Thurneck, diese Burg, darin enthalten,

Und auf das schöne Fräulein Kunigunde,

Des Grafen, meines hohen Herren, Braut.

GOTTSCHALK.

Ein Anschlag auf die Burg? Es ist nicht möglich!

Und vom Graf Stein? – Wie kamst du zu dem Brief?

KÄTHCHEN.

Der Brief ward Prior Hatto übergeben,

Als ich mit Vater just, durch Gottes Fügung,

In dessen stiller Klause mich befand.

Der Prior, der verstand den Inhalt nicht,

Und wollt ihn schon dem Boten wiedergeben;

Ich aber riß den Brief ihm aus der Hand,

Und eilte gleich nach Thurneck her, euch alles

Zu melden, in die Harnische zu jagen;

Denn heut, Schlag zwölf um Mitternacht, soll schon

Der mörderische Frevel sich vollstrecken.

GOTTSCHALK.

Wie kam der Prior Hatto zu dem Brief?

KÄTHCHEN.

Lieber, das weiß ich nicht; es ist gleichviel.

Er ist, du siehst, an irgendwen geschrieben,

Der hier im Schloß zu Thurneck wohnhaft ist;

Was er dem Prior soll, begreift man nicht.[187]

Doch daß es mit dem Anschlag richtig ist,

Das hab ich selbst gesehn; denn kurz und gut,

Der Graf zieht auf die Thurneck schon heran:

Ich bin ihm, auf dem Pfad hieher, begegnet.

GOTTSCHALK.

Du siehst Gespenster, Töchterchen!

KÄTHCHEN.

Gespenster! –

Ich sage, nein! So wahr ich Käthchen bin!

Der Graf liegt draußen vor der Burg, und wer

Ein Pferd besteigen will, und um sich schauen,

Der kann den ganzen weiten Wald ringsum

Erfüllt von seinen Reisigen erblicken!

GOTTSCHALK.

– Nehmt doch den Brief, Herr Graf, und seht selbst zu.

Ich weiß nicht, was ich davon denken soll.

DER GRAF VOM STRAHL legt die Peitsche weg, nimmt den Brief und entfaltet ihn.

»Um zwölf Uhr, wenn das Glöckchen schlägt, bin ich

Vor Thurneck. Laß die Tore offen sein.

Sobald die Flamme zuckt, zieh ich hinein.

Auf niemand münz ich es, als Kunigunden,

Und ihren Bräutigam, den Graf vom Strahl:

Tu mir zu wissen, Alter, wo sie wohnen.«

GOTTSCHALK.

Ein Höllenfrevel! – Und die Unterschrift?

DER GRAF VOM STRAHL.

Das sind drei Kreuze.


Pause.


Wie stark fandst du den Kriegstroß, Katharina?

KÄTHCHEN.

Auf sechzig Mann, mein hoher Herr, bis siebzig.

DER GRAF VOM STRAHL.

Sahst du ihn selbst den Graf vom Stein?

KÄTHCHEN.

Ihn nicht.

DER GRAF VOM STRAHL.

Wer führte seine Mannschaft an?

KÄTHCHEN.

Zwei Ritter,

Mein hochverehrter Herr, die ich nicht kannte.[188]

DER GRAF VOM STRAHL.

Und jetzt, sagst du, sie lägen vor der Burg?

KÄTHCHEN.

Ja, mein verehrter Herr.

DER GRAF VOM STRAHL.

Wie weit von hier?

KÄTHCHEN.

Auf ein dreitausend Schritt, verstreut im Walde.

DER GRAF VOM STRAHL.

Rechts, auf der Straße?

KÄTHCHEN.

Links, im Föhrengrunde,

Wo überm Sturzbach sich die Brücke baut.


Pause.


GOTTSCHALK.

Ein Anschlag, greuelhaft, und unerhört!

DER GRAF VOM STRAHL steckt den Brief ein.

Ruf mir sogleich die Herrn von Thurneck her!

– Wie hoch ist's an der Zeit?

GOTTSCHALK.

Glock halb auf zwölf.

DER GRAF VOM STRAHL.

So ist kein Augenblick mehr zu verlieren.


Er setzt sich den Helm auf.


GOTTSCHALK.

Gleich, gleich; ich gehe schon! – Komm, liebes Käthchen,

Daß ich dir das erschöpfte Herz erquicke! –

Wie großen Dank, bei Gott, sind wir dir schuldig?

So in der Nacht, durch Wald und Feld und Tal –

DER GRAF VOM STRAHL.

Hast du mir sonst noch, Jungfrau, was zu sagen?

KÄTHCHEN.

Nein, mein verehrter Herr.

DER GRAF VOM STRAHL.

– Was suchst du da?

KÄTHCHEN sich in den Busen fassend.

Den Einschlag, der vielleicht dir wichtig ist.

Ich glaub, ich hab –? Ich glaub, er ist –?


Sie sieht sich um.


DER GRAF VOM STRAHL.

Der Einschlag?

KÄTHCHEN.

Nein, hier.


Sie nimmt das Couvert und gibt es dem Grafen.


DER GRAF VOM STRAHL.

Gib her!


Er betrachtet das Papier.
[189]

Dein Antlitz speit ja Flammen! –

Du nimmst dir gleich ein Tuch um, Katharina,

Und trinkst nicht ehr, bis du dich abgekühlt.

– Du aber hast keins?

KÄTHCHEN.

Nein –

DER GRAF VOM STRAHL macht sich die Schärpe los – wendet sich plötzlich, und wirft sie auf den Tisch.

So nimm die Schürze.


Nimmt die Handschuh und zieht sie sich an.


Wenn du zum Vater wieder heim willst kehren,

Werd ich, wie sich's von selbst versteht –


Er hält inne.


KÄTHCHEN.

Was wirst du?

DER GRAF VOM STRAHL erblickt die Peitsche.

Was macht die Peitsche hier?

GOTTSCHALK.

Ihr selbst ja nahmt sie –!

DER GRAF VOM STRAHL ergrimmt.

Hab ich hier Hunde, die zu schmeißen sind?


Er wirft die Peitsche, daß die Scherben niederklirren, durchs Fenster; hierauf zu Käthchen.


Pferd' dir, mein liebes Kind, und Wagen geben,

Die sicher nach Heilbronn dich heimgeleiten.

– Wann denkst du heim?

KÄTHCHEN zitternd.

Gleich, mein verehrter Herr.

DER GRAF VOM STRAHL streichelt ihre Wangen.

Gleich nicht! Du kannst im Wirtshaus übernachten.


Er weint.


– Was glotzt er da? Geh, nimm die Scherben auf!


Gottschalk hebt die Scherben auf. Er nimmt die Schärpe vom Tisch, und gibt sie Käthchen.


Da! Wenn du dich gekühlt, gib mir sie wieder.

KÄTHCHEN sie will seine Hand küssen.

Mein hoher Herr!

DER GRAF VOM STRAHL wendet sich von ihr ab.

Leb wohl! Leb wohl! Leb wohl!


Getümmel und Glockenklang draußen.
[190]

GOTTSCHALK.

Gott, der Allmächtige!

KÄTHCHEN.

Was ist? Was gibt's?

GOTTSCHALK.

Ist das nicht Sturm?

KÄTHCHEN.

Sturm?

DER GRAF VOM STRAHL.

Auf! Ihr Herrn von Thurneck!

Der Rheingraf, beim Lebend'gen, ist schon da!


Alle ab.


Szene: Platz vor dem Schloß. Es ist Nacht. Das Schloß brennt. Sturmgeläute.


Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 1978, S. 185-191.
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