[216] Käthchen und Eleonore.
ELEONORE.
Was ist geschehn, mein Kind? Was schilt man dich?
Was macht an allen Gliedern so dich zittern?
Wär dir der Tod, in jenem Haus, erschienen,
Mit Hipp und Stundenglas, von Schrecken könnte
Dein Busen grimmiger erfaßt nicht sein!
KÄTHCHEN.
Ich will dir sagen –
Sie kann nicht sprechen.
ELEONORE.
Nun, sag an! Ich höre.
KÄTHCHEN.
– Doch du gelobst mir, nimmermehr, Lenore,
Wem es auch sei, den Vorfall zu entdecken.
ELEONORE.
Nein, keiner Seele; nein! Verlaß dich drauf.
KÄTHCHEN.
Schau, in die Seitengrotte hatt ich mich,
Durch die verborgne Türe eingeschlichen;
Das große Prachtgewölb war mir zu hell.
Und nun, da mich das Bad erquickt, tret ich
In jene größre Mitte scherzend ein,
Und denke, du, du seist's, die darin rauscht:
Und eben von dem Rand ins Becken steigend,
Erblickt mein Aug –
ELEONORE.
Nun, was? wen? Sprich!
KÄTHCHEN.
Was sag ich!
Du mußt sogleich zum Grafen, Leonore,
Und von der ganzen Sach ihn unterrichten.
ELEONORE.
Mein Kind! Wenn ich nur wüßte, was es wäre?
KÄTHCHEN.
– Doch ihm nicht sagen, nein, um 's Himmels willen,
Daß es von mir kommt. Hörst du? Eher wollt ich,
Daß er den Greuel nimmermehr entdeckte.
ELEONORE.
In welchen Rätseln sprichst du, liebstes Käthchen?
Was für ein Greul? Was ist's, das du erschaut?
KÄTHCHEN.
Ach, Leonor', ich fühle, es ist besser,
Das Wort kommt über meine Lippen nie!
Durch mich kann er, durch mich, enttäuscht nicht werden![216]
ELEONORE.
Warum nicht? Welch ein Grund ist, ihm zu bergen –?
Wenn du nur sagtest –
KÄTHCHEN wendet sich.
Horch!
ELEONORE.
Was gibt's?
KÄTHCHEN.
Es kommt!
ELEONORE.
Das Fräulein ist's, sonst niemand, und Rosalie.
KÄTHCHEN.
Fort! Gleich! Hinweg!
ELEONORE.
Warum?
KÄTHCHEN.
Fort, Rasende!
ELEONORE.
Wohin?
KÄTHCHEN.
Hier fort, aus diesem Garten will ich –
ELEONORE.
Bist du bei Sinnen?
KÄTHCHEN.
Liebe Leonore!
Ich bin verloren, wenn sie mich hier trifft!
Fort! In der Gräfin Arme flücht ich mich!
Ab.
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Das Käthchen von Heilbronn oder die Feuerprobe
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