Vierter Auftritt

[246] Der Gerichtsrat Walter tritt auf. Die Vorigen.


WALTER.

Gott grüß Euch, Richter Adam.

ADAM.

Ei willkommen!

Willkommen, gnäd'ger Herr, in unserm Huisum![246]

Wer konnte, du gerechter Gott, wer konnte

So freudigen Besuches sich gewärt'gen.

Kein Traum, der heute früh Glock achte noch

Zu solchem Glücke sich versteigen durfte.

WALTER.

Ich komm ein wenig schnell, ich weiß; und muß

Auf dieser Reis, in unsrer Staaten Dienst,

Zufrieden sein, wenn meine Wirte mich

Mit wohlgemeintem Abschiedsgruß entlassen.

Inzwischen ich, was meinen Gruß betrifft,

Ich mein's von Herzen gut, schon wenn ich komme.

Das Obertribunal in Utrecht will

Die Rechtspfleg auf dem platten Land verbessern,

Die mangelhaft von mancher Seite scheint,

Und strenge Weisung hat der Mißbrauch zu erwarten.

Doch mein Geschäft auf dieser Reis ist noch

Ein strenges nicht, sehn soll ich bloß, nicht strafen,

Und find ich gleich nicht alles, wie es soll,

Ich freue mich, wenn es erträglich ist.

ADAM.

Fürwahr, so edle Denkart muß man loben.

Euer Gnaden werden hie und da, nicht zweifl' ich,

Den alten Brauch im Recht zu tadeln wissen;

Und wenn er in den Niederlanden gleich

Seit Kaiser Karl dem Fünften schon besteht:

Was läßt sich in Gedanken nicht erfinden?

Die Welt, sagt unser Sprichwort, wird stets klüger,

Und alles liest, ich weiß, den Pufendorf;

Doch Huisum ist ein kleiner Teil der Welt,

Auf den nicht mehr, nicht minder, als sein Teil nur

Kann von der allgemeinen Klugheit kommen.

Klärt die Justiz in Huisum gütigst auf,

Und überzeugt Euch, gnäd'ger Herr, Ihr habt

Ihr noch sobald den Rücken nicht gekehrt,

Als sie auch völlig Euch befried'gen wird;

Doch fändet Ihr sie heut im Amte schon

Wie Ihr sie wünscht, mein Seel, so wär's ein Wunder,

Da sie nur dunkel weiß noch, was Ihr wollt.[247]

WALTER.

Es fehlt an Vorschriften, ganz recht. Vielmehr

Es sind zu viel, man wird sie sichten müssen.

ADAM.

Ja, durch ein großes Sieb. Viel Spreu! Viel Spreu!

WALTER.

Das ist dort der Herr Schreiber?

LICHT.

Der Schreiber Licht,

Zu Eurer hohen Gnaden Diensten. Pfingsten

Neun Jahre, daß ich im Justizamt bin.

ADAM bringt einen Stuhl.

Setzt Euch.

WALTER.

Laßt sein.

ADAM.

Ihr kommt von Holla schon.

WALTER.

Zwei kleine Meilen – Woher wißt Ihr das?

ADAM.

Woher? Euer Gnaden Diener –

LICHT.

Ein Bauer sagt' es,

Der eben jetzt von Holla eingetroffen.

WALTER.

Ein Bauer?

ADAM.

Aufzuwarten.

WALTER.

– Ja! Es trug sich

Dort ein unangenehmer Vorfall zu,

Der mir die heitre Laune störte,

Die in Geschäften uns begleiten soll. –

Ihr werdet davon unterrichtet sein?

ADAM.

Wär's wahr, gestrenger Herr? Der Richter Pfaul,

Weil er Arrest in seinem Haus empfing,

Verzweiflung hätt den Toren überrascht,

Er hing sich auf?

WALTER.

Und machte Übel ärger.

Was nur Unordnung schien, Verworrenheit,

Nimmt jetzt den Schein an der Veruntreuung,

Die das Gesetz, Ihr wißt's, nicht mehr verschont. –

Wie viele Kassen habt Ihr?

ADAM.

Fünf, zu dienen.

WALTER.

Wie, fünf! Ich stand im Wahn – Gefüllte Kassen?

Ich stand im Wahn, daß Ihr nur vier –

ADAM.

Verzeiht!

Mit der Rhein-Inundations-Kollekten-Kasse?

WALTER.

Mit der Inundations-Kollekten-Kasse![248]

Doch jetzo ist der Rhein nicht inundiert,

Und die Kollekten gehn mithin nicht ein.

– Sagt doch, Ihr habt ja wohl Gerichtstag heut?

ADAM.

Ob wir –?

WALTER.

Was?

LICHT.

Ja, den ersten in der Woche.

WALTER.

Und jene Schar von Leuten, die ich draußen

Auf Eurem Flure sah, sind das –?

ADAM.

Das werden –

LICHT.

Die Kläger sind's, die sich bereits versammeln.

WALTER.

Gut. Dieser Umstand ist mir lieb, ihr Herren.

Laßt diese Leute, wenn's beliebt, erscheinen.

Ich wohne dem Gerichtsgang bei; ich sehe

Wie er in Eurem Huisum üblich ist.

Wir nehmen die Registratur, die Kassen,

Nachher, wenn diese Sache abgetan.

ADAM.

Wie Ihr befehlt. – Der Büttel! He! Hanfriede!


Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 1978, S. 246-249.
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