Zweite Szene

[113] Warwand. Ein Zimmer im Schlosse.

Agnes führt Sylvius in einen Sessel.


SYLVIUS.

Agnes, wo ist Philipp?

AGNES.

Du lieber Gott, ich sag's dir alle Tage,

Und schrieb's dir auf ein Blatt, wärst du nicht blind.

Komm her, ich schreib's dir in die Hand.

SYLVIUS.

Hilft das?

AGNES.

Es hilft, glaub mir's.

SYLVIUS.

Ach, es hilft nicht.

AGNES.

Ich meine,

Vor dem Vergessen.

SYLVIUS.

Ich, vor dem Erinnern.

AGNES.

Guter Vater.

SYLVIUS.

Liebe Agnes.[113]

AGNES.

Fühl mir einmal die Wange an.

SYLVIUS.

Du weinst?

AGNES.

Ich weiß es wohl, daß mich der Pater schilt,

Doch glaub ich, er versteht es nicht. Denn sieh,

Wie ich muß lachen, eh ich will, wenn einer

Sich lächerlich bezeigt, so muß ich weinen,

Wenn einer stirbt.

SYLVIUS.

Warum denn, meint der Pater,

Sollst du nicht weinen?

AGNES.

Ihm sei wohl, sagt er.

SYLVIUS.

Glaubst du's?

AGNES.

Der Pater freilich soll's verstehn,

Doch glaub ich fast, er sagt's nicht, wie er's denkt.

Denn hier war Philipp gern, wie sollt er nicht?

Wir liebten ihn, es war bei uns ihm wohl;

Nun haben sie ihn in das Grab gelegt –

Ach, es ist gräßlich. – Zwar der Pater sagt,

Er sei nicht in dem Grabe. – Nein, daß ich's

Recht sag, er sei zwar in dem Grabe – Ach,

Ich kann's dir nicht so wiederbeichten. Kurz,

Ich seh es, wo er ist, am Hügel. Denn

Woher, der Hügel?

SYLVIUS.

Wahr! Sehr wahr!

– Agnes, der Pater hat doch recht. Ich glaub's

Mit Zuversicht.

AGNES.

Mit Zuversicht? Das ist

Doch seltsam. Ja, da möcht es freilich doch

Wohl anders sein, wohl anders. Denn woher

Die Zuversicht?

SYLVIUS.

Wie willst du's halten, Agnes?

AGNES.

Wie meinst du das?

SYLVIUS.

Ich meine, wie du's gläubest?

AGNES.

Ich will's erst lernen, Vater.

SYLVIUS.

Wie? Du bist

Nicht eingesegnet? Sprich, wie alt denn bist du?

AGNES.

Bald funfzehn.[114]

SYLVIUS.

Sieh, da könnte ja ein Ritter

Bereits dich vor den Altar führen.

AGNES.

Meinst du?

SYLVIUS.

Das möchtest du doch wohl?

AGNES.

Das sag ich nicht.

SYLVIUS.

Kannst auch die Antwort sparen. Sag's der Mutter,

Sie soll den Beicht'ger zu dir schicken.

AGNES.

Horch!

Da kommt die Mutter.

SYLVIUS.

Sag's ihr gleich.

AGNES.

Nein, lieber

Sag du es ihr, sie möchte ungleich von

Mir denken.

SYLVIUS.

Agnes, führe meine Hand

Zu deiner Wange.

AGNES ausweichend.

Was soll das?


Gertrude tritt auf.


SYLVIUS.

Gertrude, hier das Mädel klagt dich an,

Es rechne ihr das Herz das Alter vor,

Ihr blühend Leben sei der Reife nah

Und knüpft' ihn einer nur, so würde, meint sie,

Ihr üppig Haupthaar einen Brautkranz fesseln –

Du aber hättst ihr noch die Einsegnung,

Den Ritterschlag der Weiber, vorenthalten.

GERTRUDE.

Hat dir Jerome das gelehrt?

SYLVIUS.

Gertrude,

Sprich, ist sie rot?

GERTRUDE.

Ei nun, ich will's dem Vater sagen.

Gedulde dich bis morgen, willst du das?


Agnes küßt die Hand ihrer Mutter.


Hier, Agnes, ist die Schachtel mit dem Spielzeug.

Was wolltest du damit?

AGNES.

Den Gärtnerkindern,

Den hinterlaßnen Freunden Philipps schenk

Ich sie.[115]

SYLVIUS.

Die Reuter Philipps? Gib sie her.


Er macht die Schachtel auf.


Sieh, wenn ich diese Puppen halt, ist mir's,

Als säße Philipp an dem Tisch. Denn hier

Stellt' er sie auf, und führte Krieg, und sagte

Mir an, wie's abgelaufen.

AGNES.

Diese Reuter,

Sprach er, sind wir, und dieses Fußvolk ist

Aus Rossitz.

SYLVIUS.

Nein, du sagst nicht recht. Das Fußvolk

War nicht aus Rossitz, sondern war der Feind.

AGNES.

Ganz recht, so mein ich es, der Feind aus Rossitz.

SYLVIUS.

Ei nicht doch, Agnes, nicht doch. Denn wer sagt dir,

Daß die aus Rossitz unsre Feinde sind?

AGNES.

Was weiß ich. Alle sagen's.

SYLVIUS.

Sag's nicht nach.

Sie sind uns ja die nahverwandten Freunde.

AGNES.

Wie du nur sprichst! Sie haben dir den Enkel,

Den Bruder mir vergiftet, und das sollen

Nicht Feinde sein!

SYLVIUS.

Vergiftet! Unsern Philipp!

GERTRUDE.

Ei Agnes, immer trägt die Jugend das Geheimnis

Im Herzen, wie den Vogel in der Hand.

AGNES.

Geheimnis! Allen Kindern in dem Schlosse

Ist es bekannt! Hast du, du selber es

Nicht öffentlich gesagt?

GERTRUDE.

Gesagt? Und öffentlich?

Was hätt ich öffentlich gesagt? Dir hab

Ich heimlich anvertraut, es könnte sein,

Wär möglich, hab den Anschein fast –

SYLVIUS.

Gertrude,

Du tust nicht gut daran, daß du das sagst.

GERTRUDE.

Du hörst ja, ich behaupte nichts, will keinen

Der Tat beschuld'gen, will von allem schweigen.

SYLVIUS.

Der Möglichkeit doch schuldigst du sie an.

GERTRUDE.

Nun, das soll keiner mir bestreiten. – Denn[116]

So schnell dahinzusterben, heute noch

In Lebensfülle, in dem Sarge morgen.

– Warum denn hätten sie vor sieben Jahren,

Als mir die Tochter starb, sich nicht erkundigt?

War das ein Eifer nicht! Die Nachricht bloß

Der Krankheit konnte kaum in Rossitz sein,

Da flog ein Bote schon herüber, fragte

Mit wildverstörter Hast im Hause, ob

Der Junker krank sei? – Freilich wohl man weiß,

Was so besorgt sie macht', der Erbvertrag,

Den wir schon immer, sie nie lösen wollten.

Und nun die bösen Flecken noch am Leibe,

Der schnelle Übergang in Fäulnis – Still!

Doch still! Der Vater kommt. Er hat mir's streng

Verboten, von dem Gegenstand zu reden.


Sylvester und der Gärtner treten auf.


SYLVESTER.

Kann dir nicht helfen, Meister Hans. Geb zu,

Daß deine Rüben süß wie Zucker sind. –

GÄRTNER.

Wie Feigen, Herr.

SYLVESTER.

Hilft nichts. Reiß aus, reiß aus –

GÄRTNER.

Ein Gärtner, Herr, bepflanzt zehn Felder lieber

Mit Buchsbaum, eh er einen Kohlstrunk ausreißt.

SYLVESTER.

Du bist ein Narr. Ausreißen ist ein froh Geschäft,

Geschieht's um etwas Besseres zu pflanzen.

Denk dir das junge Volk von Bäumen, die,

Wenn wir vorbeigehn, wie die Kinder tanzen,

Und uns mit ihren Blütenaugen ansehn.

Es wird dich freuen, Hans, du kannst's mir glauben.

Du wirst sie hegen, pflegen, wirst sie wie

Milchbrüder deiner Kinder lieben, die

Mit ihnen Leben ziehn aus deinem Fleiße.

Zusammen wachsen wirst du sie, zusammen

Sie blühen sehn, und wenn dein Mädel dir

Den ersten Enkel bringt, gib acht, so füllen

Zum Brechen unsre Speicher sich mit Obst.[117]

GÄRTNER.

Herr, werden wir's erleben?

SYLVESTER.

Ei, wenn nicht wir,

Doch unsre Kinder.

GÄRTNER.

Deine Kinder? Herr,

Ich möchte lieber eine Eichenpflanzung

Großziehen, als dein Fräulein.

SYLVESTER.

Wie meinst du das?

GÄRTNER.

Denn wenn sie der Nordostwind nur nicht stürzt,

So sollt mir mit dem Beile keiner nahn,

Wie Junker Philipp'n.

SYLVESTER.

Schweig! Ich kann das alberne

Geschwätz im Haus nicht leiden.

GÄRTNER.

Nun, ich pflanz

Die Bäume. Aber eßt Ihr nicht die Früchte,

Der Teufel hol mich, schick ich sie nach Rossitz.


Gärtner ab; Agnes verbirgt ihr Gesicht an der Brust ihrer Mutter.


SYLVESTER.

Was ist das? Ich erstaune – O daran ist,

Beim Himmel! niemand schuld als du, Gertrude!

Das Mißtraun ist die schwarze Sucht der Seele,

Und alles, auch das Schuldlos-Reine, zieht

Fürs kranke Aug die Tracht der Hölle an.

Das Nichtsbedeutende, Gemeine, ganz

Alltägliche, spitzfündig, wie zerstreute

Zwirnfäden, wird's zu einem Bild geknüpft,

Das uns mit gräßlichen Gestalten schreckt.

Gertrude, o das ist sehr schlimm. –

GERTRUDE.

Mein teurer

Gemahl! –

SYLVESTER.

Hättst du nicht wenigstens das Licht,

Das, wie du vorgibst, dir gezündet ward,

Verbergen in dem Busen, einen so

Zweideut'gen Strahl nicht fallen lassen sollen

Auf diesen Tag, den, hätt er, was du sagst[118]

Gesehn, ein mitternächtlich Dunkel ewig,

Wie den Karfreitag, decken müßte.

GERTRUDE.

Höre

Mich an. –

SYLVESTER.

Dem Pöbel, diesem Starmatz – diesem

Hohlspiegel des Gerüchtes – diesem Käfer

Die Kohle vorzuwerfen, die er spielend

Aufs Dach des Nachbars trägt –

GERTRUDE.

Ihm vorgeworfen?

O mein Gemahl, die Sache lag so klar

Vor aller Menschen Augen, daß ein jeder,

Noch eh man es verbergen konnte, schon

Von selbst das Rechte griff.

SYLVESTER.

Was meinst du? Wenn

Vor achtzehn Jahren, als du schnell nach Rossitz

Zu deiner Schwester eiltest, bei der ersten

Geburt ihr beizustehn, die Schwester nun,

Als sie den neugebornen Knaben tot

Erblickte, dich beschuldigt hätte, du,

Du hättest – du verstehst mich – heimlich ihm,

Verstohlen, während du ihn herztest, küßtest,

Den Mund verstopft, das Hirn ihm eingedrückt –

GERTRUDE.

O Gott, mein Gott, ich will ja nichts mehr sagen,

Will niemand mehr beschuld'gen, will's verschmerzen,

Wenn sie dies Einz'ge nur, dies Letzte uns nur lassen. –


Sie umarmt Agnes mit Heftigkeit.


EIN KNAPPE tritt auf.

Es ist ein Ritter, Herr, am Tore.

SYLVESTER.

Laß ihn ein.

SYLVIUS.

Ich will aufs Zimmer, Agnes, führe mich.


Sylvius und Agnes ab.


GERTRUDE.

Soll ich ihm einen Platz an unserm Tisch

Bereiten?

SYLVESTER.

Ja, das magst du tun. Ich will

Indessen Sorge tragen für sein Pferd.


[119] Beide ab; Agnes tritt auf, sieht sich um, schlägt ein Tuch über, setzt einen Hut auf, und geht ab.

Sylvester und Aldöbern treten auf.


SYLVESTER.

Aus Rossitz, sagst du?

ALDÖBERN.

Ritter Aldöbern

Aus Rossitz. Bin gesandt von meinem Herrn,

Dem Rupert, Graf von Schroffenstein, an dich,

Sylvester, Grafen Schroffenstein.

SYLVESTER.

Die Sendung

Empfiehlt dich, Aldöbern, denn deines Herrn

Sind deine Freunde. Drum so laß uns schnell

Hinhüpfen über den Gebrauch; verzeih

Daß ich mich setze, setz dich zu mir, und

Erzähle alles, was du weißt, von Rossitz.

Denn wie, wenn an zwei Seegestaden zwei

Verbrüderte Familien wohnen, selten,

Bei Hochzeit nur, bei Taufe, Trauer, oder

Wenn's sonst was Wicht'ges gibt, der Kahn

Herüberschlüpft, und dann der Bote vielfach,

Noch eh er reden kann, befragt wird, was

Geschehn, wie's zuging, und warum nicht anders,

Ja selbst an Dingen, als, wie groß der Ältste,

Wie viele Zähn der Jüngste, ob die Kuh

Gekalbet, und dergleichen, das zur Sache

Doch nicht gehöret, sich erschöpfen muß –

Sieh Freund, so bin ich fast gesonnen, es

Mit dir zu machen. – Nun, beliebt's, so setz dich.

ALDÖBERN.

Herr, kann es stehend abtun.

SYLVESTER.

Ei, du Narr,

Stehn und Erzählen, das gehört zusammen,

Wie Reiten fast und Küssen.

ALDÖBERN.

Meine Rede

Wär fertig, Herr, noch eh ich niedersitze.

SYLVESTER.

Willst du so kurz sein? Ei, das tut mir leid;

Doch wenn's so drängt, ich will's nicht hindern. Rede.[120]

ALDÖBERN.

Mich schickt mein Herr, Graf Rupert Schroffenstein,

Dir wegen des an seinem Sohne Peter

Verübten Mords den Frieden aufzukünden. –

SYLVESTER.

Mord?

ALDÖBERN.

Mord.

Doch soll ich, meint er, nicht so frostig reden,

Von bloßem Zwist und Streit und Kampf und Krieg,

Von Sengen, Brennen, Reißen und Verheeren.

Drum brauch ich lieber seine eignen Worte,

Die lauten so: Er sei gesonnen, hier

Auf deiner Burg ein Hochgericht zu bauen;

Es dürste ihm nach dein und deines Kindes –

Und deines Kindes Blute – wiederholt' er.

SYLVESTER steht auf, sieht ihm steif ins Gesicht.

Ja so – Nun setz dich, guter Freund. –


Er holt einen Stuhl.


Du bist

Aus Rossitz nicht, nicht wahr? – Nun setz dich. Wie

War schon dein Namen? Setz dich, setz dich. – Nun,

Sag an, ich hab's vergessen, wo, wo bist

Du her?

ALDÖBERN.

Gebürtig? Herr, aus Oppenheim.

– Was soll das?

SYLVESTER.

So, aus Oppenheim – nun also

Aus Rossitz nicht. Ich wußt es wohl, nun setz dich.


Er geht an die Tür.


Gertrude!


Gertrude tritt auf.


Laß mir doch den Knappen rufen

Von diesem Ritter, hörst du?


Gertrude ab.


Nun, so setz dich

Doch, Alter – Was den Krieg betrifft, das ist

Ein lustig Ding für Ritter; sieh, da bin ich

Auf deiner Seite. –

ALDÖBERN.

Meiner Seite?[121]

SYLVESTER.

Ja,

Was Henker denkst du? Hat dir einer Unrecht,

Beschimpfung, oder sonst was zugefügt,

So sag du's mir, sag's mir, wir wollen's rächen.

ALDÖBERN.

Bist du von Sinnen, oder ist's Verstellung?


Gertrude, der Knappe und ein Diener treten auf.


SYLVESTER.

Sag an, mein Sohn, wer ist dein Herr? Es ist

Mit ihm wohl – nun du weißt schon, was ich meine. –

ALDÖBERN.

Den Teufel bin ich, was du meinst. Denkst du

Mir sei von meiner Mutter so viel Menschen-

Verstand nicht angeboren, als vonnöten,

Um einzusehn, du seist ein Schurke? Frag,

Die Hund auf unserm Hofe, sieh, sie riechen's

Dir an, und nähme einer einen Bissen

Aus deiner Hand, so hänge mich. – Zum Schlusse

So viel noch. Mein Geschäft ist aus. Den Krieg

Hab ich dir Kindesmörder angekündigt.


Will ab.


SYLVESTER hält ihn.

Nein halte – Nein, bei Gott du machst mich bange.

Denn deine Rede, wenn sie gleich nicht reich,

Ist doch so wenig arm an Sinn, daß mich's

Entsetzt. – Einer von uns beiden muß

Verrückt sein; bist du's nicht, ich könnt es werden.

Die Unze Mutterwitz, die dich vom Tollhaus

Errettet, muß, es kann nicht anders, mich

Ins Tollhaus führen. – Sieh, wenn du mir sagtest,

Die Ströme flössen neben ihren Ufern

Bergan, und sammelten auf Felsenspitzen

In Seen sich, so wollt – ich wollt's dir glauben;

Doch sagst du mir, ich hätt ein Kind gemordet,

Des Vetters Kind. –

GERTRUDE.

O großer Gott, wer denn

Beschuldiget dich dieser Untat? Die aus Rossitz,

Die selbst, vor wenig Monden –

SYLVESTER.

Schweig. Nun wenn's[122]

Beliebt, so sag's mir einmal noch. Ist's wahr,

Ist's wirklich wahr? Um eines Mordes willen

Krieg wider mich?

ALDÖBERN.

Soll ich's dir zehenmal

Und wieder zehnmal wiederkäun?

SYLVESTER.

Nun gut.

Franz, sattle mir mein Pferd. – Verzeih mein Freund,

Wer kann das Unbegreifliche begreifen?

– Wo ist mein Helm, mein Schwert? – Denn hören muß

Ich's doch aus seinem Munde, eh ich's glaube.

– Schick zu Jeronimus, er möchte schnell

Nach Warwand kommen. –

ALDÖBERN.

Leb denn wohl.

SYLVESTER.

Nein, warte;

Ich reite mit dir, Freund.

GERTRUDE.

Um Gotteswillen,

In deiner Feinde Macht gibst du dich selbst?

SYLVESTER.

Laß gut sein.

ALDÖBERN.

Wenn du glaubst, sie werden schonend

In Rossitz dich empfangen, irrst du dich.

SYLVESTER immer beim Anzuge beschäftigt.

Tut nichts, tut nichts; allein werd ich erscheinen.

Ein einzelner tritt frei zu seinen Feinden.

ALDÖBERN.

Das Mildeste, das dir begegnen mag,

Ist, daß man an des Kerkers Wand dich fesselt.

SYLVESTER.

Es ist umsonst. – Ich muß mir Licht verschaffen,

Und sollt ich's mir auch aus der Hölle holen.

ALDÖBERN.

Ein Fluch ruht auf dein Haupt, es ist nicht einer

In Rossitz, dem dein Leben heilig wäre.

SYLVESTER.

Du schreckst mich nicht. – Mir ist das ihre heilig,

Und fröhlich kühn wag ich mein einzelnes.

Nun fort!


Zu Gertrude.


Ich kehre unverletzt zurück,

So wahr der Gottheit selbst die Unschuld heilig.


Wie sie abgehen wollen, tritt Jeronimus auf.
[123]

JERONIMUS.

Wohin?

SYLVESTER.

Gut, daß du kommst. Ich bitte dich,

Bleib bei den Weibern, bis ich wiederkehre.

JERONIMUS.

Wo willst du hin?

SYLVESTER.

Nach Rossitz.

JERONIMUS.

Lieferst du

Wie ein bekehrter Sünder selbst dich aus?

SYLVESTER.

Was für ein Wort – ?

JERONIMUS.

Ei nun, ein schlechtes Leben

Ist kaum der Mühe wert, es zu verlängern.

Drum geh nur hin, und leg dein sündig Haupt

In christlicher Ergebung auf den Block.

SYLVESTER.

Glaubst du, daß ich, wenn eine Schuld mich drückte,

Das Haupt dem Recht der Rache weigern würde?

JERONIMUS.

O du Quacksalber der Natur! Denkst du,

Ich werde dein verfälschtes Herz auf Treu

Und Glauben zweimal als ein echtes kaufen?

Bin ich ein blindes Glied denn aus dem Volke,

Daß du mit deinem Ausruf an der Ecke

Mich äffen willst, und wieder äffen willst?

– Doch nicht so vielen Atem bist du wert,

Als nur dies einz'ge Wort mir kostet: Schurke!

Ich will dich meiden, das ist wohl das Beste.

Denn hier in deiner Nähe stinkt es, wie

Bei Mördern.


Sylvester fällt in Ohnmacht.


GERTRUDE.

Hülfe! Kommt zu Hülfe! Hülfe!


Der Vorhang fällt.


Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 1978, S. 113-124.
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