Zehnter Auftritt

[269] Luitgar tritt auf. – Die Vorigen.


HERMANN.

Du bist entschlossen, hör ich, Luitgar,

An Marbod heimlich eine Botschaft zu besorgen?

LUITGAR.

Ich bin's, mein hoher Herr.

HERMANN.

Kann ich gewiß sein,

Daß das, was ich dir anvertraue,

Vor morgen nacht in seinen Händen ist?

LUITGAR.

Mein Fürst, so sicher, als ich morgen lebe,

So sicher auch ist es ihm überbracht.

HERMANN.

Gut. – Meine beide blonden Jungen wirst du,

Den Rinold und den Adelhart,

Empfangen, einen Dolch, und dieses Schreiben hier,

Dem Marbod, Herrn des Suevenreiches,

Von mir zu überliefern. – Die drei Dinge

Erklären sich, genau erwogen, selbst,

Und einer mündlichen Bestellung braucht es nicht;

Doch, um dich in den Stand zu setzen,

Sogleich jedwedem Irrtum zu begegnen,[269]

Der etwa nicht von mir berechnet wäre,

Will ich umständlich, von dem Schritt,

Zu dem ich mich entschloß, dir Kenntnis geben.

LUITGAR.

Geruhe deinen Knecht zu unterrichten.

HERMANN.

Die Knaben schick ich ihm zuvörderst und den Dolch,

Damit dem Brief er Glauben schenke.

Wenn irgend in dem Brief ein Arges ist enthalten,

Soll er den Dolch sofort ergreifen,

Und in der Knaben weiße Brüste drücken.

LUITGAR.

Wohl, mein erlauchter Herr.

HERMANN.

Augustus hat

Das Angebot der drei Legionen,

Die Varus führt, zum Schutze wider Marbod,

Zum drittenmal mir heute wiederholt.

Gründe von zwingender Gewalt bestimmten mich,

Die Truppen länger nicht mehr abzulehnen.

Sie rücken morgen in Cheruska ein,

Und werden, in drei Tagen schon,

Am Weserstrom, ins Angesicht ihm sehn.

Varus will schon am Idus des Augusts

(Also am Tag nach unserem

Hochheil'gen Nornentag, das merk dir wohl),

Mit seinem Römerheer die Weser überschiffen,

Und Hermann wird, auf einen Marsch,

Mit dem Cheruskerheer, zu gleichem Zweck, ihm folgen.

An dem Alraunentag, Luitgar,

(Also am Tag vor unserm Nornentag)

Brech ich von Teutoburg mit meinen Scharen auf.

Jenseits der Weser wollen wir

Vereint auf Marbods Haufen plötzlich fallen;

Und wenn wir ihn erdrückt (wie kaum zu zweifeln steht),

Soll mir, nach dem Versprechen Augusts,

Die Oberherrschaft in Germanien werden.

LUITGAR.

Ich faß, o Herr, dich und bewundre

Schon im voraus, was noch erfolgen wird.[270]

HERMANN.

Ich weiß inzwischen, daß Augustus sonst

Ihm mit der Herrschaft von Germanien geschmeichelt.

Mir ist von guter Hand bekannt,

Daß Varus heimlich ihn mit Geld,

Und Waffen selbst versehn, mich aus dem Feld zu schlagen.

Das Schicksal Deutschlands lehrt nur allzudeutlich mich,

Daß Augusts letzte Absicht sei,

Uns beide, mich wie ihn, zugrund zu richten,

Und wenn er, Marbod, wird vernichtet sein,

Der Suevenfürst, so fühl ich lebhaft,

Wird an Arminius die Reihe kommen.

LUITGAR.

Du kennst, ich seh, die Zeit, wie wenige.

HERMANN.

Da ich nun – soll ich einen Oberherrn erkennen,

Weit lieber einem Deutschen mich,

Als einem Römer unterwerfen will:

Von allen Fürsten Deutschlands aber ihm,

Marbod, um seiner Macht, und seines Edelmuts,

Der Thron am unzweideutigsten gebührt:

So unterwerf ich mich hiermit demselben,

Als meinem Herrn und hohen König,

Und zahl ihm den Tribut, Luitogar, den er

Durch einen Herold, jüngst mir abgefordert.

LUITGAR betreten.

Wie, mein erlauchter Herr! Hört ich auch recht?

Du unterwirfst –? Ich bitte dich, mein Vater!


Eginhardt winkt ihm, ehrfurchtsvoll zu schweigen.


HERMANN.

Dagegen, hoff ich, übernimmt nun er,

Als Deutschlands Oberherrscher, die Verpflichtung,

Das Vaterland von dem Tyrannenvolk zu säubern.

Er wird den Römeradler länger nicht

Um einen Tag, steht es in seiner Macht,

Auf Hermanns, seines Knechts, Gefilden dulden.

Und da der Augenblick sich eben günstig zeigt,

Dem Varus, eh der Mond noch wechselte,

Das Grab in dem Cheruskerland zu graben,[271]

So wag ich es, sogleich dazu

In Ehrfurcht ihm den Kriegsplan vorzulegen.

EGINHARDT.

Jetzt merk wohl auf, Luitogar,

Und laß kein Wort Arminius' dir entschlüpfen.

LUITGAR.

Mein Vater! Meine Brust ist Erz

Und ein Demantengriffel seine Rede!

HERMANN.

Der Plan ist einfach und begreift sich leicht. –

Varus kommt, in der Nacht der düsteren Alraunen,

Im Teutoburger Walde an,

Der zwischen mir liegt und der Weser Strom.

Er denkt am folgenden, dem Tag der letzten Nornen,

Des Stroms Gestade völlig zu erreichen,

Um, an dem Idus des Augusts,

Mit seinem Heer darüberhin zu gehn.

Nun aber überschifft, am Tag schon der Alraunen,

Marbod der Weser Strom und rückt

Ihm bis zum Wald von Teutoburg entgegen.

Am gleichen Tag brech ich, dem Heer des Varus folgend,

Aus meinem Lager auf, und rücke

Von hinten ihm zu diesem Walde nach.

Wenn nun der Tag der Nornen purpurn

Des Varus Zelt bescheint, so siehst du, Freund Luitgar,

Ist ihm der Lebensfaden schon durchschnitten.

Denn nun fällt Marbod ihn von vorn,

Von hinten ich ihn grimmig an,

Erdrückt wird er von unsrer Doppelmacht:

Und keine andre Sorge bleibt uns,

Als die nur, eine Handvoll Römer zu verschonen;

Die, von dem Fall der übrigen,

Die Todespost an den Augustus bringen.

– Ich denk der Plan ist gut. Was meinst du, Luitgar?

LUITGAR.

O Hermann! Wodan hat ihn selbst dir zugeflüstert!

Sieh, wenn du den Cheruskern ihn wirst nennen,

Sie werden, was sie nimmer tun,

Sieg! vor dem ersten Keulenschlag schon rufen!

HERMANN.

Wohlan! In dem Vertraun itzt, das ich hege,[272]

Er, Marbod, auch, werd diesen Plan,

Nach seiner höhren Weisheit billigen,

Nimmt er für mich die Kraft nun des Gesetzes an.

An dem Alraunentag rück ich nunmehr so fehllos,

Als wär es sein Gebot, aus meinem Lager aus,

Und steh, am Nornentag, vorm Teutoburger Wald.

Ihm aber – überlaß ich es in Ehrfurcht,

Nach dem Entwurf, das Seinige zu tun.

– Hast du verstanden?

LUITGAR.

Wohl, mein erlauchter Herr.

HERMANN.

Sobald wir über Varus' Leiche uns

Begegnet – beug ich ein Knie vor ihm,

Und harre seines weiteren Befehls.

– Weißt du noch sonst was, Eginhardt?

EGINARDT.

Nichts, mein Gebieter.

HERMANN.

Oder du, Luitgar?

LUITGAR zögernd.

Nichts mindestens, das von Bedeutung wäre. –

Laß deiner Weisheit ganz mich unterwerfen.

HERMANN.

– Nun? Sag's nur dreist heraus, du siehst so starr

Auf diese kleine Rolle nieder,

Als hättst du nicht das Herz, sie zu ergreifen.

LUITGAR.

Mein Fürst, die Warheit dir zu sagen,

Die Möglichkeit, daß mich ein Unfall träf, erschreckt mich.

Laß uns, in keinem Stück, der Gunst des Glücks vertraun.

Vergönne mir, ich bitte dich,

Zwei Freund ins Lager Marbods mitzunehmen,

Damit, wenn mir Verhindrung käme,

Ein andrer, und ein dritter noch,

Das Blatt in seine Hände bringen kann.

HERMANN.

Nichts, nichts, Luitgar! Welch ein Wort entfiel dir?

Wer wollte die gewalt'gen Götter

Also versuchen?! Meinst du, es ließe

Das große Werk sich ohne sie vollziehn?

Als ob ihr Blitz drei Boten minder,

Als einen einzelnen, zerschmettern könnte![273]

Du gehst allein; und triffst du mit der Botschaft

Zu spät bei Marbod, oder gar nicht, ein:

Sei's! mein Geschick ist's, das ich tragen werde.

LUITGAR.

Gib mir die Botschaft! Nur der Tod verhindert,

Daß er sie morgen in den Händen hält.

HERMANN.

Komm. So gebraucht ich dich. Hier ist die Rolle,

Und Dolch und Kinder händg' ich gleich dir ein.


Alle ab.


Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 1978, S. 269-274.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Hermannsschlacht
Die Hermannsschlacht
Die Hermannsschlacht: In einer Bearbeitung von Rudolph Genée. Mit Erläuterungen von Alfred Heil
Hermannsschlacht: Ein Gedicht Auf Ã-sterreich (German Edition)

Buchempfehlung

Aischylos

Die Orestie. Agamemnon / Die Grabspenderinnen / Die Eumeniden

Die Orestie. Agamemnon / Die Grabspenderinnen / Die Eumeniden

Der aus Troja zurückgekehrte Agamemnon wird ermordet. Seine Gattin hat ihn mit seinem Vetter betrogen. Orestes, Sohn des Agamemnon, nimmt blutige Rache an den Mördern seines Vaters. Die Orestie, die Aischylos kurz vor seinem Tod abschloss, ist die einzige vollständig erhaltene Tragödientrilogie und damit einzigartiger Beleg übergreifender dramaturgischer Einheit im griechischen Drama.

114 Seiten, 4.30 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon