Erster Auftritt

[7] Odysseus und Diomedes von der einen Seite, Antilochus von der andern, Gefolge treten auf.


ANTILOCHUS.

Seid mir gegrüßt, ihr Könige! Wie geht's,

Seit wir zuletzt bei Troja uns gesehn?

ODYSSEUS.

Schlecht, Antiloch. Du siehst auf diesen Feldern,

Der Griechen und der Amazonen Heer,

Wie zwei erboste Wölfe sich umkämpfen:

Beim Jupiter! sie wissen nicht warum?

Wenn Mars entrüstet, oder Delius,

Den Stecken nicht ergreift, der Wolkenrüttler

Mit Donnerkeilen nicht dazwischenwettert:

Tot sinken die Verbißnen heut noch nieder,

Des einen Zahn im Schlund des anderen. –

Schafft einen Helm mit Wasser!

ANTILOCHUS.

Element!

Was wollen diese Amazonen uns?

ODYSSEUS.

Wir zogen aus, auf des Atriden Rat,

Mit der gesamten Schar der Myrmidonen,

Achill und ich; Penthesilea, hieß es,

Sei in den scyth'schen Wäldern aufgestanden,

Und führ ein Heer, bedeckt mit Schlangenhäuten,

Von Amazonen, heißer Kampflust voll,

Durch der Gebirge Windungen heran,

Den Priamus in Troja zu entsetzen.

Am Ufer des Skamandros hören wir,

Deiphobus auch, der Priamide, sei

Aus Ilium mit einer Schar gezogen,[7]

Die Königin, die ihm mit Hülfe naht,

Nach Freundesart zu grüßen. Wir verschlingen

Die Straße jetzt, uns zwischen dieser Gegner

Heillosem Bündnis wehrend aufzupflanzen;

Die ganze Nacht durch windet sich der Zug.

Doch, bei des Morgens erster Dämmerröte,

Welch ein Erstaunen faßt' uns, Antiloch,

Da wir, in einem weiten Tal vor uns,

Mit des Deiphobus Iliern im Kampf

Die Amazonen sehn! Penthesilea,

Wie Sturmwind ein zerrissenes Gewölk,

Weht der Trojaner Reihen vor sich her,

Als gält es, übern Hellespont hinaus,

Hinweg vom Rund der Erde sie zu blasen.

ANTILOCHUS.

Seltsam, bei unserm Gott!

ODYSSEUS.

Wir sammeln uns,

Der Trojer Flucht, die wetternd auf uns ein,

Gleich einem Anfall keilt, zu widerstehen,

Und dicht zur Mauer drängen wir die Spieße.

Auf diesen Anblick stutzt der Priamide;

Und wir, im kurzen Rat beschließen, gleich,

Die Amazonenfürstin zu begrüßen:

Sie auch hat ihren Siegeslauf gehemmt.

War je ein Rat einfältiger und besser?

Hätt ihn Athene, wenn ich sie befragt,

Ins Ohr verständiger mir flüstern können?

Sie muß, beim Hades! diese Jungfrau, doch,

Die wie vom Himmel plötzlich, kampfgerüstet,

In unsern Streit fällt, sich darin zu mischen,

Sie muß zu einer der Partein sich schlagen;

Und uns die Freundin müssen wir sie glauben,

Da sie sich Teukrischen die Feindin zeigt.

ANTILOCHUS.

Was sonst, beim Styx! Nichts anders gibt's.

ODYSSEUS.

Nun gut.

Wir finden sie, die Heldin Scythiens,[8]

Achill und ich – in kriegerischer Feier

An ihrer Jungfraun Spitze aufgepflanzt,

Geschürzt, der Helmbusch wallt ihr von der Scheitel,

Und seine Gold- und Purpurtroddeln regend,

Zerstampft ihr Zelter unter ihr den Grund.

Gedankenvoll, auf einen Augenblick,

Sicht sie in unsre Schar, von Ausdruck leer,

Als ob in Stein gehaun wir vor ihr stünden;

Hier diese flache Hand, versichr ich dich,

Ist ausdrucksvoller als ihr Angesicht:

Bis jetzt ihr Aug auf den Peliden trifft:

Und Glut ihr plötzlich, bis zum Hals hinab,

Das Antlitz färbt, als schlüge rings um ihr

Die Welt in helle Flammenlohe auf.

Sie schwingt, mit einer zuckenden Bewegung,

– Und einen finstern Blick wirft sie auf ihn –

Vom Rücken sich des Pferds herab, und fragt,

Die Zügel einer Dienrin überliefernd,

Was uns, in solchem Prachtzug, zu ihr führe.

Ich jetzt, wie wir Argiver hoch erfreut,

Auf eine Feindin des Dardanervolks zu stoßen;

Was für ein Haß den Priamiden längst

Entbrannt sei in der Griechen Brust, wie nützlich,

So ihr, wie uns, ein Bündnis würde sein;

Und was der Augenblick noch sonst mir beut:

Doch mit Erstaunen, in dem Fluß der Rede,

Bemerk ich, daß sie mich nicht hört. Sie wendet,

Mit einem Ausdruck der Verwunderung,

Gleich einem sechzehnjähr'gen Mädchen plötzlich,

Das von olymp'schen Spielen wiederkehrt,

Zu einer Freundin, ihr zur Seite sich,

Und ruft: solch einem Mann, o Prothoe, ist

Otrere, meine Mutter, nie begegnet!

Die Freundin, auf dies Wort betreten, schweigt,

Achill und ich, wir sehn uns lächelnd an,

Sie ruht, sie selbst, mit trunknem Blick schon wieder[9]

Auf des Äginers schimmernde Gestalt:

Bis jen' ihr schüchtern naht, und sie erinnert,

Daß sie mir noch die Antwort schuldig sei.

Drauf mit der Wangen Rot, war's Wut, war's Scham,

Die Rüstung wieder bis zum Gurt sich färbend,

Verwirrt und stolz und wild zugleich: sie sei

Penthesilea, kehrt sie sich zu mir,

Der Amazonen Königin, und werde

Aus Köchern mir die Antwort übersenden!

ANTILOCHUS.

So, Wort für Wort, der Bote, den du sandtest;

Doch keiner in dem ganzen Griechenlager,

Der ihn begriff.

ODYSSEUS.

Hierauf unwissend jetzt,

Was wir von diesem Auftritt denken sollen,

In grimmiger Beschämung gehn wir heim,

Und sehn die Teukrischen, die unsre Schmach

Von fern her, die hohnlächelnden, erraten,

Wie im Triumph sich sammeln. Sie beschließen

Im Wahn, sie seien die Begünstigten,

Und nur ein Irrtum, der sich lösen müsse,

Sei an dem Zorn der Amazone schuld,

Schnell ihr, durch einen Herold, Herz und Hand,

Die sie verschmäht, von neuem anzutragen.

Doch eh der Bote, den sie senden wollen,

Den Staub noch von der Rüstung abgeschüttelt,

Stürzt die Kentaurin, mit verhängtem Zügel,

Auf sie und uns schon, Griech' und Trojer, ein,

Mit eines Waldstroms wütendem Erguß

Die einen, wie die andern, niederbrausend.

ANTILOCHUS.

Ganz unerhört, ihr Danaer!

ODYSSEUS.

Jetzt hebt

Ein Kampf an, wie er, seit die Furien walten,

Noch nicht gekämpft ward auf der Erde Rücken.

Soviel ich weiß, gibt es in der Natur

Kraft bloß und ihren Widerstand, nichts Drittes.

Was Glut des Feuers löscht, löst Wasser siedend[10]

Zu Dampf nicht auf und umgekehrt. Doch hier

Zeigt ein ergrimmter Feind von beiden sich,

Bei dessen Eintritt nicht das Feuer weiß,

Ob's mit dem Wasser rieseln soll, das Wasser,

Ob's mit dem Feuer himmelan soll lecken.

Der Trojer wirft, gedrängt von Amazonen,

Sich hinter eines Griechen Schild, der Grieche

Befreit ihn von der Jungfrau, die ihn drängte,

Und Griech' und Trojer müssen jetzt sich fast,

Dem Raub der Helena zu Trotz, vereinen,

Um dem gemeinen Feinde zu begegnen.


Ein Grieche bringt ihm Wasser.


Dank! Meine Zunge lechzt.

DIOMEDES.

Seit jenem Tage

Grollt über dieser Ebne unverrückt

Die Schlacht, mit immer reger Wut, wie ein

Gewitter, zwischen waldgekrönter Felsen Gipfeln

Geklemmt. Als ich mit den Ätoliern gestern

Erschien, der Unsern Reihen zu verstärken,

Schlug sie mit Donnerkrachen eben ein,

Als wollte sie den ganzen Griechenstamm

Bis auf den Grund, die Wütende, zerspalten.

Der Krone ganze Blüte liegt, Ariston,

Astyanax, von Sturm herabgerüttelt,

Menandros, auf dem Schlachtfeld da, den Lorbeer,

Mit ihren jungen, schönen Leibern groß,

Für diese kühne Tochter Ares', düngend.

Mehr der Gefangnen siegreich nahm sie schon,

Als sie uns Augen, sie zu missen, Arme,

Sie wieder zu befrein, uns übrigließ.

ANTILOCHUS.

Und niemand kann, was sie uns will, ergründen?

DIOMEDES.

Kein Mensch, das eben ist's: wohin wir spähend

Auch des Gedankens Senkblei fallen lassen.

– Oft, aus der sonderbaren Wut zu schließen.[11]

Mit welcher sie, im Kampfgewühl, den Sohn

Der Thetis sucht, scheint's uns, als ob ein Haß

Persönlich wider ihn die Brust ihr füllte.

So folgt, so hungerheiß, die Wölfin nicht,

Durch Wälder, die der Schnee bedeckt, der Beute,

Die sich ihr Auge grimmig auserkor,

Als sie, durch unsre Schlachtreihn, dem Achill.

Doch jüngst, in einem Augenblick, da schon

Sein Leben war in ihre Macht gegeben,

Gab sie es lächelnd, ein Geschenk, ihm wieder:

Er stieg zum Orkus, wenn sie ihn nicht hielt.

ANTILOCHUS.

Wie? Wenn ihn wer? Die Königin?

DIOMEDES.

Sie selbst!

Denn als sie, um die Abenddämmrung gestern,

Im Kampf, Penthesilea und Achill,

Einander trafen, stürmt Deiphobus her,

Und auf der Jungfrau Seite hingestellt,

Der Teukrische, trifft er dem Peleïden

Mit einem tück'schen Schlag die Rüstung prasselnd,

Daß rings der Ormen Wipfel widerhallten.

Die Königin, entfärbt, läßt zwei Minuten

Die Arme sinken: und die Locken dann

Entrüstet um entflammte Wangen schüttelnd,

Hebt sie vom Pferdesrücken hoch sich auf,

Und senkt, wie aus dem Firmament geholt,

Das Schwert ihm wetterstrahlend in den Hals,

Daß er zu Füßen hin, der Unberufne,

Dem Sohn, dem göttlichen, der Thetis rollt!

Er jetzt, zum Dank, will ihr, der Peleïde,

Ein Gleiches tun; doch sie bis auf den Hals

Gebückt, den mähnumflossenen, des Schecken,

Der, in den Goldzaum beißend, sich herumwirft,

Weicht seinem Mordhieb aus, und schießt die Zügel,

Und sieht sich um, und lächelt, und ist fort.

ANTILOCHUS.

Ganz wunderbar!

ODYSSEUS.

Was bringst du uns von Troja?[12]

ANTILOCHUS.

Mich sendet Agamemnon her, und fragt dich,

Ob Klugheit nicht, bei so gewandelten

Verhältnissen, den Rückzug dir gebiete.

Uns gelt es Iliums Mauern einzustürzen,

Nicht einer freien Fürstin Heereszug,

Nach einem uns gleichgült'gen Ziel, zu stören.

Falls du daher Gewißheit dir verschafft,

Daß nicht mit Hülfe der Dardanerburg

Penthesilea naht, woll er, daß ihr

Sogleich, um welchen Preis gleichviel, euch wieder

In die argivische Verschanzung werft.

Verfolgt sie euch, so werd er, der Atride,

Dann an des Heeres Spitze selber sehn,

Wozu sich diese rätselhafte Sphinx

Im Angesicht von Troja wird entscheiden.

ODYSSEUS.

Beim Jupiter! Der Meinung bin ich auch.

Meint ihr, daß der Laertiade sich

In diesem sinnentblößten Kampf gefällt?

Schafft den Peliden weg von diesem Platze!

Denn wie die Dogg entkoppelt, mit Geheul

In das Geweih des Hirsches fällt: der Jäger,

Erfüllt von Sorge, lockt und ruft sie ab;

Jedoch verbissen in des Prachttiers Nacken,

Tanzt sie durch Berge neben ihm, und Ströme,

Fern in des Waldes Nacht hinein: so er,

Der Rasende, seit in der Forst des Krieges

Dies Wild sich von so seltner Art, ihm zeigte.

Durchbohrt mit einem Pfeilschuß, ihn zu fesseln,

Die Schenkel ihm: er weicht, so schwört er, eher

Von dieser Amazone Ferse nicht,

Bis er bei ihren seidnen Haaren sie

Von dem gefleckten Tigerpferd gerissen.

Versuch's, o Antiloch, wenn's dir beliebt,

Und sieh, was deine rednerische Kunst,

Wenn seine Lippe schäumt, bei ihm vermag.

DIOMEDES.

Laßt uns vereint, ihr Könige, noch einmal[13]

Vernunft keilförmig, mit Gelassenheit,

Auf seine rasende Entschließung setzen.

Du wirst, erfindungsreicher Larissäer,

Den Riß schon, den er beut, zu finden wissen.

Weicht er dir nicht, wohlan, so will ich ihn

Mit zwei Ätoliern auf den Rücken nehmen,

Und einem Klotz gleich, weil der Sinn ihm fehlt,

In dem Argiverlager niederwerfen.

ODYSSEUS.

Folgt mir!

ANTILOCHUS.

Nun? Wer auch eilt uns dort heran?

DIOMEDES.

Es ist Adrast. So bleich und so verstört.


Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 1978, S. 7-14.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Penthesilea
Penthesilea
Penthesilea: Ein Trauerspiel. Studienausgabe
Penthesilea: Ein Trauerspiel
Penthesilea: Ein Trauerspiel (Suhrkamp BasisBibliothek)
Sämtliche Werke und Briefe in 4 Bänden: Band 2. Dramen 1808-1811. Penthesilea / Das Käthchen von Heilbronn / Die Herrmannsschlacht / Prinz Friedrich von Homburg

Buchempfehlung

Meyer, Conrad Ferdinand

Gustav Adolfs Page

Gustav Adolfs Page

Im Dreißigjährigen Krieg bejubeln die deutschen Protestanten den Schwedenkönig Gustav Adolf. Leubelfing schwärmt geradezu für ihn und schafft es endlich, als Page in seine persönlichen Dienste zu treten. Was niemand ahnt: sie ist ein Mädchen.

42 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon