Fünfzehnter Auftritt

[71] Penthesilea, Prothoe, Achilles, Amazonen


PENTHESILEA.

Komm jetzt, du süßer Nereïdensohn,

Komm, lege dich zu Füßen mir – Ganz her!

Nur dreist heran! – – Du fürchtest mich doch nicht?

– Verhaßt nicht, weil ich siegte, bin ich dir?

Sprich! Fürchtest du, die dich in Staub gelegt?

ACHILLES zu ihren Füßen.

Wie Blumen Sonnenschein.

PENTHESILEA.

Gut, gut gesagt!

So sieh mich auch wie deine Sonne an. –

Diana, meine Herrscherin, er ist

Verletzt!

ACHILLES.

Geritzt am Arm, du siehst, nichts weiter.

PENTHESILEA.

Ich bitte dich, Pelide, glaube nicht,

Daß ich jemals nach deinem Leben zielte.

Zwar gern mit diesem Arm hier traf ich dich;

Doch als du niedersankst, beneidete,

Hier diese Brust den Staub, der dich empfing.[71]

ACHILLES.

Wenn du mich liebst, so sprichst du nicht davon.

Du siehst, es heilt schon.

PENTHESILEA.

So verzeihst du mir?

ACHILLES.

Von ganzem Hetzen. –

PENTHESILEA.

Jetzt – kannst du mir sagen,

Wie es die Liebe macht, der Flügelknabe,

Wenn sie den störr'gen Leun in Fesseln schlägt?

ACHILLES.

Sie streichelt, denk ich, seine rauhen Wangen,

So hält er still.

PENTHESILEA.

Nun denn, so wirst du dich

Nicht mehr als eine junge Taube regen,

Um deren Hals ein Mädchen Schlingen legt.

Denn die Gefühle dieser Brust, o Jüngling,

Wie Hände sind sie, und sie streicheln dich.


Sie umschlingt ihn mit Kränzen.


ACHILLES.

Wer bist du, wunderbares Weib?

PENTHESILEA.

Gib her. – Ich sagte, still!

Du wirst es schon erfahren.

– Hier diese leichte Rosenwindung nur

Um deine Scheitel, deinen Nacken hin –

Zu deinen Armen, Händen, Füßen nieder –

Und wieder auf zum Haupt – – so ist's geschehn.

– Was atmest du?

ACHILLES.

Duft deiner süßen Lippen.

PENTHESILEA indem sie sich zurückbeugt.

Es sind die Rosen, die Gerüche streun.

– Nichts, nichts!

ACHILLES.

Ich wollte sie am Stock versuchen.

PENTHESILEA.

Sobald sie reif sind, Liebster, pflückst du sie.


Sie setzt ihm noch einen Kranz auf die Scheitel und läßt ihn gehn.


Jetzt ist's geschehn. – O sieh, ich bitte dich,

Wie der zerfloßne Rosenglanz ihm steht!

Wie sein gewitterdunkles Antlitz schimmert!

Der junge Tag, wahrhaftig, liebste Freundin,

Wenn ihn die Horen von den Bergen führen,

Demanten perlen unter seinen Tritten:[72]

Er sieht so weich und mild nicht drein, als er. –

Sprich! Dünkt's dich nicht, als ob sein Auge glänzte? –

Fürwahr! Man möchte, wenn er so erscheint, fast zweifeln,

Daß er es sei.

PROTHOE.

Wer, meinst du?

PENTHESILEA.

Der Pelide! –

Sprich, wer den Größesten der Priamiden

Vor Trojas Mauern fällte, warst das du?

Hast du ihm wirklich, du, mit diesen Händen

Den flücht'gen Fuß durchkeilt, an deiner Achse

Ihn häuptlings um die Vaterstadt geschleift? –

Sprich! Rede! Was bewegt dich so? Was fehlt dir?

ACHILLES.

Ich bin's.

PENTHESILEA nachdem sie ihn scharf angesehen.

Er sagt, er sei's.

PROTHOE.

Er ist es, Königin;

An diesem Schmuck hier kannst du ihn erkennen.

PENTHESILEA.

Woher?

PROTHOE.

Es ist die Rüstung, sieh nur her,

Die Thetis ihm, die hohe Göttermutter,

Bei dem Hephäst, des Feuers Gott, erschmeichelt.

PENTHESILEA.

Nun denn, so grüß ich dich mit diesem Kuß,

Unbändigster der Menschen, mein! Ich bin's,

Du junger Kriegsgott, der du angehörst;

Wenn man im Volk dich fragt, so nennst du mich.

ACHILLES.

O du, die eine Glanzerscheinung mir,

Als hätte sich das Ätherreich eröffnet,

Herabsteigst, Unbegreifliche, wer bist du?

Wie nenn ich dich, wenn meine eigne Seele

Sich, die entzückte, fragt, wem sie gehört?

PENTHESILEA.

Wenn sie dich fragt, so nenne diese Züge,

Das sei der Nam, in welchem du mich denkst. –

Zwar diesen goldnen Ring hier schenk ich dir,

Mit jedem Merkmal, das dich sicher stellt;

Und zeigst du ihn, so weist man dich zu mir.

Jedoch ein Ring vermißt sich, Namen schwinden[73]

Wenn dir der Nam entschwänd, der Ring sich mißte:

Fändst du mein Bild in dir wohl wieder aus?

Kannst du's wohl mit geschloßnen Augen denken?

ACHILLES.

Es steht so fest, wie Züg in Diamanten.

PENTHESILEA.

Ich bin die Königin der Amazonen,

Er nennt sich marserzeugt, mein Völkerstamm,

Otrere war die große Mutter mir,

Und mich begrüßt das Volk: Penthesilea.

ACHILLES.

Penthesilea.

PENTHESILEA.

Ja, so sagt ich dir.

ACHILLES.

Mein Schwan singt noch im Tod: Penthesilea.

PENTHESILEA.

Die Freiheit schenk ich dir, du kannst den Fuß

Im Heer der Jungfraun setzen, wie du willst.

Denn eine andre Kette denk ich noch,

Wie Blumen leicht, und fester doch, als Erz,

Die dich mir fest verknüpft, ums Herz zu schlagen.

Doch bis sie zärtlich, Ring um Ring, geprägt,

In der Gefühle Glut, und ausgeschmiedet,

Der Zeit nicht, und dem Zufall, mehr zerstörbar,

Kehrst du, weil es die Pflicht erheischt, mir wieder,

Mir, junger Freund, versteh mich, die für jedes,

Sei's ein Bedürfnis, sei's ein Wunsch, dir sorgt.

Willst du das tun, sag an?

ACHILLES.

Wie junge Rosse

Zum Duft der Krippe, die ihr Leben nährt.

PENTHESILEA.

Gut. Ich verlaß mich drauf. Wir treten jetzt

Die Reise gleich nach Themiscyra an;

Mein ganzer Harras bis dahin ist dein.

Man wird dir purpurne Gezelte bringen,

Und auch an Sklaven nicht, dich zu bedienen,

Wird's deinem königlichen Willen fehlen.

Doch weil mich, auf dem Zuge, du begreifst,

So manche Sorge fesselt, wirst du dich

Noch zu den übrigen Gefangnen halten:

In Themiscyra erst, Neridensohn,

Kann ich mich ganz, aus voller Brust, dir weihn.[74]

ACHILLES.

Es soll geschehn.

PENTHESILEA zu Prothoe.

Nun aber sage mir,

Wo weilt auch dein Arkadier?

PROTHOE.

Meine Fürstin –

PENTHESILEA.

So gern von deiner Hand, geliebte Prothoe,

Möcht ich bekränzt ihn sehn.

PROTHOE.

Er wird schon kommen. –

Der Kranz hier soll ihm nicht verlorengehn.

PENTHESILEA aufbrechend.

Nun denn – mich rufen mancherlei Geschäfte,

So laßt mich gehn.

ACHILLES.

Wie?

PENTHESILEA.

Laß mich aufstehn, Freund.

ACHILLES.

Du fliehst? Du weichst? Du lässest mich zurück?

Noch eh du meiner sehnsuchtsvollen Brust

So vieler Wunder Aufschluß gabst, Geliebte?

PENTHESILEA.

In Themiscyra, Freund.

ACHILLES.

Hier, meine Königin!

PENTHESILEA.

In Themiscyra, Freund, in Themiscyra –

Laß mich!

PROTHOE sie zurückhaltend, unruhig.

Wie? Meine Königin! Wo willst du hin?

PENTHESILEA befremdet.

Die Scharen will ich mustern – sonderbar!

Mit Meroe will ich sprechen, Megaris.

Hab ich, beim Styx, jetzt nichts zu tun, als plaudern?

PROTHOE.

Das Heer verfolgt die flücht'gen Griechen noch. –

Laß Meroe, die die Spitze führt, die Sorge;

Du brauchst der Ruhe noch. – Sobald der Feind

Nur völlig über den Skamandros setzte,

Wird dir das Heer hier siegreich vorgeführt.

PENTHESILEA erwägend.

So! – Hier auf dieses Feld? Ist das gewiß?

PROTHOE.

Gewiß. Verlaß dich drauf. –

PENTHESILEA zum Achill.

Nun so sei kurz.

ACHILLES.

Was ist's, du wunderbares Weib, daß du,[75]

Athene gleich, an eines Kriegsheers Spitze,

Wie aus den Wolken nieder, unbeleidigt,

In unsern Streit vor Troja plötzlich fällst?

Was treibt, vom Kopf zu Fuß in Erz gerüstet,

So unbegriffner Wut voll, Furien ähnlich,

Dich gegen das Geschlecht der Griechen an;

Du, die sich bloß in ihrer Schöne ruhig

Zu zeigen brauchte, Liebliche, das ganze

Geschlecht der Männer dir im Staub zu sehn?

PENTHESILEA.

Ach, Nereïdensohn! – Sie ist mir nicht,

Die Kunst vergönnt, die sanftere, der Frauen!

Nicht bei dem Fest, wie deines Landes Töchter,

Wenn zu wetteifernd frohen Übungen

Die ganze Jugendpracht zusammenströmt,

Darf ich mir den Geliebten ausersehn;

Nicht mit dem Strauß, so oder so gestellt,

Und dem verschämten Blick, ihn zu mir locken;

Nicht in dem nachtigall-durchschmetterten

Granatwald, wenn der Morgen glüht, ihm sagen,

An seine Brust gesunken, daß er's sei.

Im blut'gen Feld der Schlacht muß ich ihn suchen,

Den Jüngling, den mein Herz sich auserkor,

Und ihn mit ehrnen Armen mir ergreifen,

Den diese weiche Brust empfangen soll.

ACHILLES.

Und woher quillt, von wannen, ein Gesetz,

Unweiblich, du vergibst mir, unnatürlich,

Dem übrigen Geschlecht der Menschen fremd?

PENTHESILEA.

Fern aus der Urne alles Heiligen,

O Jüngling: von der Zeiten Gipfeln nieder,

Den unbetretnen, die der Himmel ewig

In Wolkenduft geheimnisvoll verhüllt.

Der ersten Mütter Wort entschied es also,

Und dem verstummen wir, Neridensohn,

Wie deiner ersten Väter Worten du.

ACHILLES.

Sei deutlicher.

PENTHESILEA.

Wohlan! So höre mich. –[76]

Wo jetzt das Volk der Amazonen herrschet,

Da lebte sonst, den Göttern untertan,

Ein Stamm der Scythen, frei und kriegerisch,

Jedwedem andern Volk der Erde gleich.

Durch Reihn schon nannt er von Jahrhunderten

Den Kaukasus, den fruchtumblühten, sein:

Als Vexoris, der Äthioper König,

An seinem Fuß erschien, die Männer rasch,

Die kampfverbundnen, vor sich niederwarf,

Sich durch die Täler goß, und Greis' und Knaben,

Wo sein gezückter Stahl sie traf, erschlug:

Das ganze Prachtgeschlecht der Welt ging aus.

Die Sieger bürgerten, barbarenartig,

In unsre Hütten frech sich ein, ernährten

Von unsrer reichen Felder Früchten sich,

Und, voll der Schande Maß uns zuzumessen,

Ertrotzten sie der Liebe Gruß sich noch:

Sie rissen von den Gräbern ihrer Männer

Die Fraun zu ihren schnöden Betten hin.

ACHILLES.

Vernichtend war das Schicksal, Königin,

Das deinem Frauenstaat das Leben gab.

PENTHESILEA.

Doch alles schüttelt, was ihm unerträglich,

Der Mensch von seinen Schultern sträubend ab;

Den Druck nur mäß'ger Leiden duldet er.

Durch ganze Nächte lagen, still und heimlich,

Die Fraun im Tempel Mars', und höhlten weinend

Die Stufen mit Gebet um Rettung aus.

Die Betten füllten, die entweihten, sich

Mit blankgeschliffnen Dolchen an, gekeilt,

Aus Schmuckgeräten, bei des Herdes Flamme,

Aus Senkeln, Ringen, Spangen: nur die Hochzeit

Ward, des Äthioperkönigs Vexoris

Mit Tanaïs, der Königin, erharrt,

Der Gäste Brust zusamt damit zu küssen.

Und als das Hochzeitsfest erschienen war,

Stieß ihm die Kön'gin ihren in das Herz;[77]

Mars, an des Schnöden Statt, vollzog die Ehe,

Und das gesamte Mordgeschlecht, mit Dolchen,

In einer Nacht, ward es zu Tod gekitzelt.

ACHILLES.

Solch eine Tat der Weiber läßt sich denken.

PENTHESILEA.

Und dies jetzt ward im Rat des Volks beschlossen:

Frei, wie der Wind auf offnem Blachfeld, sind

Die Fraun, die solche Heldentat vollbracht,

Und dem Geschlecht der Männer nicht mehr dienstbar.

Ein Staat, ein mündiger, sei aufgestellt,

Ein Frauenstaat, den fürder keine andre

Herrschsücht'ge Männerstimme mehr durchtrotzt,

Der das Gesetz sich würdig selber gebe,

Sich selbst gehorche, selber auch beschütze:

Und Tanaïs sei seine Königin.

Der Mann, des' Auge diesen Staat erschaut,

Der soll das Auge gleich auf ewig schließen;

Und wo ein Knabe noch geboren wird,

Von der Tyrannen Kuß, da folg er gleich

Zum Orkus noch den wilden Vätern nach.

Der Tempel Ares' füllte sich sogleich

Gedrängt mit Volk, die große Tanaïs

Zu solcher Satzung Schirmerin zu krönen.

Gerad als sie, im festlichsten Moment,

Die Altarstuf erstieg, um dort den Bogen,

Den großen, goldenen, des Scythenreichs,

Den sonst die Könige geführt, zu greifen,

Von der geschmückten Oberpriesterin Hand,

Ließ eine Stimme also sich vernehmen:

»Den Spott der Männer werd er reizen nur,

Ein Staat, wie der, und gleich dem ersten Anfall

Des kriegerischen Nachbarvolks erliegen:

Weil doch die Kraft des Bogens nimmermehr,

Von schwachen Fraun, beengt durch volle Brüste,

Leicht wie von Männern, sich regieren würde.«

Die Königin stand einen Augenblick,[78]

Und harrte still auf solcher Rede Glück;

Doch als die feige Regung um sich griff,

Riß sie die rechte Brust sich ab, und taufte:

Die Frauen, die den Bogen spannen würden,

Und fiel zusammen, eh sie noch vollendet:

Die Amazonen oder Busenlosen! –

Hierauf ward ihr die Krone aufgesetzt.

ACHILLES.

Nun denn, beim Zeus, die brauchte keine Brüste!

Die hätt ein Männervolk beherrschen können,

Und meine ganze Seele beugt sich ihr.

PENTHESILEA.

Still auch auf diese Tat ward's, Peleïde,

Nichts als der Bogen ließ sich schwirrend hören,

Der aus den Händen, leichenbleich und starr,

Der Oberpriesterin daniederfiel.

Er stürzt', der große, goldene, des Reichs,

Und klirrte von der Marmorstufe dreimal,

Mit dem Gedröhn der Glocken, auf, und legte,

Stumm wie der Tod, zu ihren Füßen sich. –

ACHILLES.

Man folgt ihr, hoff ich doch, im Staat der Frauen,

In diesem Beispiel nicht?

PENTHESILEA.

Nicht – allerdings!

Man ging so lebhaft nicht zu Werk als sie.

ACHILLES mit Erstaunen.

Wie! Also doch –? Unmöglich!

PENTHESILEA.

Was sagst du?

ACHILLES.

– Die ungeheure Sage wäre wahr?

Und alle diese blühenden Gestalten,

Die dich umstehn, die Zierden des Geschlechts,

Vollständig, einem Altar gleich, jedwede

Geschmückt, in Liebe davor hinzuknien,

Sie sind beraubt, unmenschlich, frevelhaft –?

PENTHESILEA.

Hast du das nicht gewußt?

ACHILLES indem er sein Gesicht an ihre Brust drückt.

O Königin!

Der Sitz der jungen, lieblichen Gefühle,

Um eines Wahns, barbarisch –[79]

PENTHESILEA.

Sei ganz ruhig.

Sie retteten in diese linke sich,

Wo sie dem Herzen um so näher wohnen.

Du wirst mir, hoff ich, deren keins vermissen.

ACHILLES.

Fürwahr! Ein Traum, geträumt in Morgenstunden,

Scheint mir wahrhaft'ger, als der Augenblick.

– Doch weiter.

PENTHESILEA.

Wie?

ACHILLES.

– Du bist den Schluß noch schuldig.

Denn dieser überstolze Frauenstaat,

Der ohn der Männer Hülf entstand, wie pflanzt er

Doch ohne Hülfe sich der Männer fort?

Wirft euch Deukalion, von Zeit zu Zeit,

Noch seiner Schollen eine häuptlings zu?

PENTHESILEA.

Sooft nach jährlichen Berechnungen,

Die Königin dem Staat ersetzen will,

Was ihr der Tod entrafft, ruft sie die blühendsten

Der Frauen –


Stockt und sieht ihn an.


Warum lächelst du?

ACHILLES.

Wer? Ich?

PENTHESILEA.

Mich dünkt, du lächelst, Lieber.

ACHILLES.

– Deiner Schöne

Ich war zerstreut. Vergib. Ich dachte eben,

Ob du mir aus dem Monde niederstiegst?

PENTHESILEA nach einer Pause.

Sooft, nach jährlichen Berechnungen,

Die Königin, was ihr der Tod entrafft,

Dem Staat ersetzen will, ruft sie die blühndsten

Der Fraun, von allen Enden ihres Reichs,

Nach Themiscyra hin, und fleht, im Tempel

Der Artemis, auf ihre jungen Schöße

Den Segen keuscher Marsbefruchtung nieder.

Ein solches Fest heißt, still und weich gefeiert,

Der blühnden Jungfraun Fest, wir warten stets,

Bis – wenn das Schneegewand zerhaucht, der Frühling

Den Kuß drückt auf den Busen der Natur.[80]

Dianas heil'ge Priesterin verfügt,

Auf dies Gesuch, sich in den Tempel Mars',

Und trägt, am Altar hingestreckt, dem Gott

Den Wunsch der weisen Völkermutter vor.

Der Gott dann, wenn er sie erhören will,

– Denn oft verweigert er's, die Berge geben,

Die schneeigen, der Nahrung nicht zu viel –

Der Gott zeigt uns, durch seine Priesterin,

Ein Volk an, keusch und herrlich, das, statt seiner,

Als Stellvertreter, uns erscheinen soll.

Des Volkes Nam und Wohnsitz ausgesprochen,

Ergeht ein Jubel nun durch Stadt und Land.

Marsbräute werden sie begrüßt, die Jungfraun,

Beschenkt mit Waffen, von der Mütter Hand,

Mit Pfeil' und Dolch, und allen Gliedern fliegt,

Von ems'gen Händen jauchzend rings bedient,

Das erzene Gewand der Hochzeit an.

Der frohe Tag der Reise wird bestimmt,

Gedämpfter Tuben Klang ertönt, es schwingt

Die Schar der Mädchen flüsternd sich zu Pferd,

Und still und heimlich, wie auf wollnen Sohlen,

Geht's in der Nächte Glanz, durch Tal und Wald,

Zum Lager fern der Auserwählten hin.

Das Land erreicht, ruhn wir, an seiner Pforte,

Uns noch zwei Tage, Tier' und Menschen, aus:

Und wie die feuerrote Windsbraut brechen

Wir plötzlich in den Wald der Männer ein,

Und wehn die Reifsten derer, die da fallen,

Wie Samen, wenn die Wipfel sich zerschlagen,

In unsre heimatlichen Fluren hin.

Hier pflegen wir, im Tempel Dianas, ihrer,

Durch heil'ger Feste Reihn, von denen mir

Bekannt nichts, als der Name: Rosenfest –

Und denen sich, bei Todesstrafe, niemand,

Als nur die Schar der Bräute nahen darf –

Bis uns die Saat selbst blühend aufgegangen;[81]

Beschenken sie, wie Könige zusamt;

Und schicken sie, am Fest der reifen Mütter,

Auf stolzen Prachtgeschirren wieder heim.

Dies Fest dann freilich ist das frohste nicht,

Neridensohn – denn viele Tränen fließen,

Und manches Herz, von düsterm Gram ergriffen,

Begreift nicht, wie die große Tanaïs

In jedem ersten Wort zu preisen sei. –

Was träumst du?

ACHILLES.

Ich?

PENTHESILEA.

Du.

ACHILLES zerstreut.

Geliebte, mehr,

Als ich in Worte eben fassen kann.

– – Und auch mich denkst du also zu entlassen?

PENTHESILEA.

Ich weiß nicht, Lieber. Frag mich nicht. –

ACHILLES.

Traun! Seltsam. –


Er versinkt in Nachdenken.


– Doch einen Aufschluß noch gewährst du mir.

PENTHESILEA.

Sehr gern, mein Freund. Sei dreist.

ACHILLES.

Wie faß ich es

Daß du gerade mich so heiß verfolgtest?

Es schien, ich sei bekannt dir.

PENTHESILEA.

Allerdings.

ACHILLES.

Wodurch?

PENTHESILEA.

Willst du der Törichten nicht lächeln?

ACHILLES lächelnd.

Ich weiß nicht, sag ich jetzt, wie du.

PENTHESILEA.

Nun denn,

Du sollst's erfahren. – Sieh ich hatte schon

Das heitre Fest der Rosen zwanzigmal

Erlebt und drei, und immer nur von fern,

Wo aus dem Eichenwald der Tempel ragt,

Den frohen Jubelschall gehört, als Ares,

Bei der Otrere, meiner Mutter, Tod,

Zu seiner Braut mich auserkor. Denn die![82]

Prinzessinnen, aus meinem Königshaus,

Sie mischen nie aus eigener Bewegung,

Sich in der blühnden Jungfraun Fest; der Gott,

Begehrt er ihrer, ruft sie würdig auf,

Durch seiner großen Oberpriestrin Mund.

Die Mutter lag, die bleiche, scheidende,

Mir in den Armen eben, als die Sendung

Des Mars mir feierlich im Palast erschien,

Und mich berief, nach Troja aufzubrechen,

Um ihn von dort bekränzt heranzuführen.

Es traf sich, daß kein Stellvertreter je

Ernannt noch ward, willkommener den Bräuten,

Als die Hellenenstämme, die sich dort umkämpften.

An allen Ecken hörte man erjauchzend,

Auf allen Märkten, hohe Lieder schallen,

Die des Hero'nkriegs Taten feierten:

Vom Paris-Apfel, dem Helenenraub,

Von den geschwaderführenden Atriden,

Vom Streit um Briseïs, der Schiffe Brand,

Auch von Patroklus' Tod, und welche Pracht

Du des Triumphes rächend ihm gefeiert;

Und jedem großen Auftritt dieser Zeit. –

In Tränen schwamm ich, Jammervolle, hörte

Mit halbem Ohr nur, was die Botschaft mir,

In der Otrere Todesstunde, brachte;

»Laß mich dir bleiben«, rief ich, »meine Mutter,

Dein Ansehn, brauch es heut zum letztenmal,

Und heiße diese Frauen wieder gehn.«

Doch sie, die würd'ge Königin, die längst

Mich schon ins Feld gewünscht – denn ohne Erben

War, wenn sie starb, der Thron und eines andern

Ehrgeiz'gen Nebenstammes Augenmerk –

Sie sagte: »geh, mein süßes Kind! Mars ruft dich!

Du wirst den Peleïden dir bekränzen:

Werd eine Mutter, stolz und froh, wie ich« –

Und drückte sanft die Hand mir, und verschied.[83]

PROTHOE.

So nannte sie den Namen dir, Otrere?

PENTHESILEA.

– Sie nannt ihn, Prothoe, wie's einer Mutter

Wohl im Vertraun zu ihrer Tochter ziemt.

ACHILLES.

Warum? Weshalb? Verbeut dies das Gesetz?

PENTHESILEA.

Es schickt sich nicht, daß eine Tochter Mars'

Sich ihren Gegner sucht, den soll sie wählen,

Den ihr der Gott im Kampf erscheinen läßt. –

Doch wohl ihr, zeigt die Strebende sich da,

Wo ihr die Herrlichsten entgegenstehn.

– Nicht, Prothoe?

PROTHOE.

So ist's.

ACHILLES.

Nun –?

PENTHESILEA.

– Lange weint ich,

Durch einen ganzen kummervollen Mond,

An der Verblichnen Grab, die Krone selbst,

Die herrenlos am Rande lag, nicht greifend,

Bis mich zuletzt der wiederholte Ruf

Des Volks, das den Palast mir ungeduldig,

Bereit zum Kriegeszug, umlagerte,

Gewaltsam auf den Thron riß. Ich erschien,

Wehmütig strebender Gefühle voll,

Im Tempel Mars', den Bogen gab man mir,

Den klirrenden, des Amazonenreichs,

Mir war, als ob die Mutter mich umschwebte,

Da ich ihn griff, nichts schien mir heiliger,

Als ihren letzten Willen zu erfüllen.

Und da ich Blumen noch, die duftigsten,

Auf ihren Sarkophag gestreut, brach ich

Jetzt mit dem Heer der Amazonen auf,

Nach der Dardanerburg – Mars weniger,

Dem großen Gott, der mich dahin gerufen,

Als der Otrere Schatten, zu gefallen.

ACHILLES.

Wehmut um die Verblichne lähmte flüchtig

Die Kraft, die deine junge Brust sonst ziert.

PENTHESILEA.

Ich liebte sie.

ACHILLES.

Nun? Hierauf? –[84]

PENTHESILEA.

In dem Maße,

Als ich mich dem Skamandros näherte,

Und alle Täler rings, die ich durchrauschte,

Von dem Trojanerstreite widerhallten,

Schwand mir der Schmerz, und meiner Seele ging

Die große Welt des heitern Krieges auf.

Ich dachte so: wenn sie sich allzusamt,

Die großen Augenblicke der Geschichte,

Mir wiederholten, wenn die ganze Schar

Der Helden, die die hohen Lieder feiern,

Herab mir aus den Sternen stieg', ich fände

Doch keinen Trefflichern, den ich mit Rosen

Bekränzt', als ihn, den mir die Mutter ausersehn –

Den Lieben, Wilden, Süßen, Schrecklichen,

Den Überwinder Hektors! O Pelide!

Mein ewiger Gedanke, wenn ich wachte,

Mein ew'ger Traum warst du! Die ganze Welt

Lag wie ein ausgespanntes Musternetz

Vor mir; in jeder Masche, weit und groß,

War deiner Taten eine eingeschürzt,

Und in mein Herz, wie Seide weiß und rein,

Mit Flammenfarben jede brannt ich ein.

Bald sah ich dich, wie du ihn niederschlugst,

Vor Ilium, den flücht'gen Priamiden;

Wie du, entflammt von hoher Siegerlust,

Das Antlitz wandtest, während er die Scheitel,

Die blutigen, auf nackter Erde schleifte;

Wie Priam flehnd in deinem Zelt erschien –

Und heiße Tränen weint ich, wenn ich dachte,

Daß ein Gefühl doch, Unerbittlicher,

Den marmorharten Busen dir durchzuckt.

ACHILLES.

Geliebte Königin!

PENTHESILEA.

Wie aber ward mir,

O Freund, als ich dich selbst erblickte –!

Als du mir im Skamandrostal erschienst,

Von den Heroen deines Volks umringt,[85]

Ein Tagsstern unter bleichen Nachtgestirnen!

So müßt es mir gewesen sein, wenn er

Unmittelbar, mit seinen weißen Rossen,

Von dem Olymp herabgedonnert wäre,

Mars selbst, der Kriegsgott, seine Braut zu grüßen!

Geblendet stand ich, als du jetzt entwichen,

Von der Erscheinung da – wie wenn zur Nachtzeit

Der Blitz vor einen Wandrer fällt, die Pforten

Elysiums, des glanzerfüllten, rasselnd,

Vor einem Geist sich öffnen und verschließen.

Im Augenblick, Pelid, erriet ich es,

Von wo mir das Gefühl zum Busen rauschte;

Der Gott der Liebe hatte mich ereilt.

Doch von zwei Dingen schnell beschloß ich eines,

Dich zu gewinnen, oder umzukommen:

Und jetzt ist mir das Süßere erreicht.

– Was blickst du?


Man hört ein Waffengeräusch in der Ferne.


PROTHOE heimlich.

Göttersohn! Ich bitte dich.

Du mußt dich augenblicklich ihr erklären.

PENTHESILEA aufbrechend.

Argiver nahn, ihr Fraun! Erhebt euch!

ACHILLES sie haltend.

Ruhig!

Es sind Gefangne, meine Königin.

PENTHESILEA.

Gefangene?

PROTHOE heimlich zum Achilles.

Es ist Ulyß, beim Styx!

Die Deinen, heiß gedrängt von Meroe, weichen!

ACHILLES in den Bart murmelnd.

Daß sie zu Felsen starrten!

PENTHESILEA.

Sagt! Was gibt's?

ACHILLES mit erzwungener Heiterkeit.

Du sollst den Gott der Erde mir gebären!

Prometheus soll von seinem Sitz erstehn,

Und dem Geschlecht der Welt verkündigen:[86]

Hier ward ein Mensch, so hab ich ihn gewollt!

Doch nicht nach Themiscyra folg ich dir,

Vielmehr du, nach der blühnden Phtia, mir:

Denn dort, wenn meines Volkes Krieg beschlossen,

Führ ich dich jauchzend hin, und setze dich,

Ich Seliger, auf meiner Väter Thron.


Das Geräusch dauert fort.


PENTHESILEA.

Wie? Was? Kein Wort begreif ich –

DIE FRAUEN unruhig.

All ihr Götter!

PROTHOE.

Neridensohn! Willst du –?

PENTHESILEA.

Was ist's? Was gibt's denn?

ACHILLES.

Nichts, nichts, erschrick nicht, meine Königin,

Du siehst, es drängt die Zeit, wenn du nun hörst,

Was über dich der Götter Schar verhängt.

Zwar durch die Macht der Liebe bin ich dein,

Und ewig diese Banden trag ich fort;

Doch durch der Waffen Glück gehörst du mir;

Bist mir zu Füßen, Treffliche, gesunken,

Als wir im Kampf uns trafen, nicht ich dir.

PENTHESILEA sich aufraffend.

Entsetzlicher!

ACHILLES.

Ich bitte dich, Geliebte!

Kronion selbst nicht ändert, was geschehn.

Beherrsche dich, und höre, wie ein Felsen,

Den Boten an, der dort, wenn ich nicht irre,

Mit irgendeinem Unheilswort mir naht.

Denn dir, begreifst du wohl, dir bringt er nichts,

Dein Schicksal ist auf ewig abgeschlossen;

Gefangen bist du mir, ein Höllenhund

Bewacht dich minder grimmig, als ich dich.

PENTHESILEA.

Ich die Gefangne dir?

PROTHOE.

So ist es, Königin!

PENTHESILEA die Hände aufhebend.

Ihr ewigen Himmelsmächt! Euch ruf ich auf![87]


Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 1978, S. 71-88.
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Das neue Lied und andere Erzählungen 1905-1909

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Die Sängerin Marie Ladenbauer erblindet nach einer Krankheit. Ihr Freund Karl Breiteneder scheitert mit dem Versuch einer Wiederannäherung nach ihrem ersten öffentlichen Auftritt seit der Erblindung. »Das neue Lied« und vier weitere Erzählungen aus den Jahren 1905 bis 1911. »Geschichte eines Genies«, »Der Tod des Junggesellen«, »Der tote Gabriel«, und »Das Tagebuch der Redegonda«.

48 Seiten, 3.80 Euro

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Große Erzählungen der Hochromantik

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Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

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