Zweite Scene.

[108] Als Faust in die Thür dringen will, tritt ihm Helene entgegen.


FAUST ausrufend.

Da bist du! Endlich! Endlich!

HELENE die zurückfliehen will.

Fort! Hinweg!

FAUST tritt ihr in den Weg.

Nein, nimmer laß ich wieder dich von hinnen; –

In deine Feueraugen muß ich schauen!

HELENE schwach ankämpfend.

Wer hat mir das gethan?!

FAUST.

O konntest du[108]

Dem Faust so lange deinen Blick entziehen?

Du, die du seine Welt ihm bist!

HELENE ihn von sich drängend.

Hinweg!

FAUST.

Drei Tage mußt' ich deinen Anblick meiden!

Ward ich zurückgescheucht von dieser Schwelle,

Ging zürnend fort und kehrte glühend wieder!

Drei Tage litt ich alle Höllenqualen;

Die wilde Wuth, der tiefe inn're Groll,

Der Eifersucht verzehrend heiße Flammen,

Sie tobten wechselnd hier in meinem Busen! –

Und du, du ließest kalt den Faust verderben!


Er umschlingt sie wild.


HELENE außer sich.

Wer reißt mich fort von ihm!

FAUST glühend.

Der Himmel nicht,

Und nicht die ganze Macht der untern Hölle! –

Du schautest in mein Herz – drum weißt du auch,

Was du mir bist, – – die Seele meines Lebens.

Dein Blick der feuerhelle Sonnenspiegel,

Aus dem die herrliche Natur zurückglänzt,[109]

Dein Ton die süße Melodie der Liebe,

Zu meines Busens innerm Saitenspiele! –

In dir nur leb' ich – mein muß ich dich wissen;

Entfliehst du mir, ist Faust sich selbst entrissen!

HELENE bedeckt mit den Händen ihr Gesicht.

Und dennoch – – Wehe mir!

FAUST indem er ihre Hand hinwegzieht.

Du weinst, Helene?


Dringender.


Du weinst!

HELENE sucht sich ihm zu entwinden.

Hinweg!

FAUST wie vorher.

Wem gelten diese Thränen? –


Sie schwärmerisch anschauend.


Wie sie, Juwelen gleich, im Auge glänzen,

Mein Bild im flüssigen Krystall erzittert! – –

Wem weinst du sie?

HELENE sich abwendend.

Unglücklicher – mir selber!

FAUST in steigender Leidenschaft.

Dir selber?[110]

HELENE.

Weil ich liebe – – Weh, was sprach ich!

FAUST.

Du liebst?!

HELENE.

Hinweg!

FAUST in der höchsten Bewegung.

Ist's möglich – Gott des Himmels!

HELENE bei Fausts letzten Worten scheint sich ihr Blick zu entflammen und sie stößt ihn wild und heftig zurück.

Ha, fort von mir!!

FAUST in leidenschaftlicher Betäubung.

Helene?!

HELENE.

Fort, hinweg!


Wie eine Furie ihn anschauend.


Ich hasse dich –! Ha, Fluch dir und Verderben!!

FAUST schaudernd.

Die Hölle – schaut mich an –! – Dein Blick

– – er mordet –


Mit steigendem Entsetzen.


Verzehrt – vernichtet – – Wehe mir!![111]

HELENE plötzlich verändert, sich zu ihm mit dem Ausdrucke trauernder Liebe neigend.

O Faust!!

FAUST sich wie aus einer Betäubung erholend.

Der holde Ton – das bist du selbst –!

HELENE wie vorher.

Warum

Hast du mir das gethan!

FAUST sich über die Stirne fahrend mit heimlichem Grausen.

Welch Schreckensbild

Schob meine heiße Phantasie dir unter!

Die Haare Schlangen – Höllenglut die Augen –

Ich träumte wild – –


Indem er sie sehnsuchtsvoll anblickt.


Doch du, du bist's, Helene!

HELENE aus tiefer Brust.

O lerne immer meine Züge hassen,

Hat uns das Schicksal feindlich doch getrennt!

FAUST.

Getrennt, Helene –! Weh, was spricht dein Mund?!

HELENE in steigender wilder lyrischer Begeisterung.

Du wußtest es; und warfst die Aufruhrsflammen[112]

In dieses Herz, das Lieb' und Haß vereint,

Zwei Furien, die Fackeln um mich schwangen,

Mit mir hinaus in's wilde Leben drangen,

Und die Natur, vor meinem Blick entbrannt,

Zum Daseyn rief, was nur mein Traum gekannt!

Da strahlten um mich her des Lenzes Blüthen,

Die Berge und die tiefen Ströme glühten,

Es wallte liebend auf das junge Leben,

Und wollte mir den heißen Brautkuß geben. –


Mit ausgebreiteten Armen.


Du nahtest meinem sehnsuchtsvollen Blick!!


Indem sie ihn anschaut, scheint sie plötzlich zusammen zu schaudern.


Und wild reißt mich die Furie zurück!

Ich sehe zwischen uns sich Felsen thürmen,

Nacht wird es, und die schwarzen Lüfte stürmen,

Die Erde bebt, die Feuerwolken zünden,

Die Donner toben – – wo soll ich dich finden?

Im wilden Aufruhr läßt du mich verderben!

Weh mir! – ich soll verzweifeln, lieben – sterben!!


Sie sinkt erschöpft an seine Brust.


[113] Er hält sie im linken Arme aufrecht und starrt angstvoll zu ihr nieder.


Dein Antlitz bleicht! –


Streckt die Rechte beschwörend zum Himmel.


O rette sie mir, Schöpfer!!


Ein heftiger Blitz und krachender Donnerschlag.


HELENE fährt mit einem Schrei krampfhaft zusammen.

Weh! Wehe mir!


Sie stürzt wie vernichtet zu Boden.


FAUST in gewaltigem Schreck.

Was ist – der Erdbau wankt! –

Der Feuerstrahl hat sie zerschmettert – – Wehe!


Aufschreiend.


Da liegt sie todt – entseelt zu meinen Füßen!


Er knieet bei ihr nieder.


Helene, höre mich!! –


Er beugt sich verzweifelnd über sie.


HELENE richtet sich langsam mit einem scheuen Blicke empor.

– Zürnt er! – noch droben?!

FAUST betäubt.

Wen meinst du?[114]

HELENE dumpf, indem sie in die Höhe deutet, ohne das wilde Auge erheben zu können.

Ihn!! – –

FAUST richtet sie mit Anstrengung auf.

Der Schreck hat dich betäubt! –

Der Wetterstrahl war furchtbar!

HELENE in dem Rückgefühle eines erlittenen fürchterlichen Schmerzes, dumpf und in sich hinein.

Fast vernichtend!!

FAUST sie beruhigend.

Doch hat in ihm die Wolke sich erschöpft! –

Erhole dich! –

HELENE zuckend, und in gewaltsamer Anstrengung mit innerm Trotze.

Ich will's!

FAUST blickt ihr ins Auge.

Die Gluth kehrt wieder!

HELENE mit noch größerer Anstrengung, von Faust ungehört.

Trotz gegen Macht! – Ich reiße ihn hinunter!!

FAUST will sie umschlingen.

Dein Auge flammt der Liebe wildes Feuer!

HELENE heftig gegen ihn gekehrt.

Zurück von mir![115]

FAUST betrachtet sie erhitzt.

Wie dich der Zorn verschönt!

HELENE im Anscheine einer großen Leidenschaft.

Genügte dir er nicht, mich zu vernichten,

Daß du in meinem Schmerz noch schwelgen willst?

FAUST.

Was that ich dir?

HELENE kehrt sich von ihm ab.

Ha, fort – hinweg, du Heuchler!

FAUST heftig.

Nur sterbend laß ich dich!

HELENE zurücktretend und mit großer Betonung.

Du hast ein Weib!!

FAUST stürzt zurück.

Helene!! –

HELENE mit großem Schmerze.

Weh' – ein Weib! – und täuschtest mich!

FAUST außer sich.

O nimmer! nimmer!

HELENE rasch und feurig sich zu ihm wendend.

Hat man mich betrogen?

FAUST dringend.

Ich liebe dich allein![116]

HELENE wie vorher.

Du hast kein Weib?!

FAUST betäubt.

Weil ich dich liebe – keins!

HELENE.

Ha, Doppelzüngler!

Erst mußtest du mein ganzes Herz ergründen,

Und nun, zu spät, lern' ich das deine kennen! –

Wohlan – du hast gesiegt; – doch nichts errungen: –

Ich liebe dich –! – Allein ich weiß zu sterben;

Leb' wohl! – Dein Auge sieht mich nimmer wieder!


Sie will hinausfliehen.


FAUST zieht sie gewaltsam zurück.

Ha, wer entreißt dich mir? –

HELENE mit scharfer Betonung.

Sie – oder Ich!

FAUST entschlossen und heftig.

Ha, Sie denn – Sie!

HELENE mit einem heimlichen wilden Ausdrucke.

Du wolltest mir sie opfern?

FAUST wild.

Dem Feuer! – Dir!! –


Er umfaßt sie halb knieend und beugt sich auf ihre Hand.
[117]

HELENE mit einem zärtlichen Tone redend, indeß ihr Auge, von ihm nicht gesehen, wild und stechend auf ihn niederschaut, und sie die freie Hand, als wollte sie ihn damit niederschleudern, über seinem Haupte ausgestreckt hält.

O mein geliebter Faust!

FAUST reißt sich entschlossen in die Höhe.

Ich trenne unser Band!

HELENE langsam und bedeutend.

Du trennst es – sicher?

FAUST wüst.

Und was verliert sie auch an meiner Hand!

Sie hat mich nie erfühlt, nie aufgefunden

In meines Herzens Tiefen! –


Nachdenkender.


Freilich war sie

So redlich treu – die Käthe – fromm – und gut –!


Rascher.


Das ist vorbei! – Auch will ich's ihr vergelten,

Und sie soll reich und ohne Sorgen leben!

Ja –

HELENE mit einem tiefen Tone einfallend.

Leben?[118]

FAUST mit wildem Ausdrucke.

Hat sie's doch um mich verdient,

Mit mancher Angst und Müh' – bei Nacht und Tage! –

Sie ist recht gut! –

HELENE mit wilder Leidenschaft.

Fort denn! Ich bin verloren!

FAUST ergreift ihre Hand mit ängstlicher Hast.

Helene!

HELENE wie vorher.

Fort! – Hinweg, Entsetzlicher!

FAUST.

Ich will sie nimmer, nimmer wiedersehen!

HELENE.

Ha, lebt sie doch! Das ist mir schon genug!

Selbst wenn ihr Schatten nur noch für dich glühte,

Ich trüg' es nicht in wilder Eifersucht! –


Heftiger.


Ha, triumphire denn – du kennst mein Herz!

Ich liebe dich – allein ich weiß zu sterben;

Denn ungetheilt wie in mir mein Verlangen,

Muß ich auch ungetheilt dich selbst empfangen,[119]

Was dich begehrt, ward mir zum Haß geboren –

Sie lebt und liebt – ich bin für dich verloren!


Sie stürzt fort.


Quelle:
Klingemann, August: Faust. Ein Trauerspiel in fünf Acten. Leipzig und Altenburg 1815 [Nachdruck Wildberg 1996], S. 108-120.
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