Zweite Szene


[895] Kaffeehaus.

Herr von Brand. Baron Blum Brett spielend.


VON BRAND. Laß es gut sein, Blum; das Spiel ist zu kalt für die Wallungen meines Bluts. Ich kann nicht begreifen, wie einer an dem Spiel sitzen kann. – – Sag mir was, zerstreu mich, jag mir die Bilder vor den Augen weg!

BLUM. Mit dir geht's so wunderbar, weiß der Teufel, wie's wieder mit dir steht! Immer im Taumel! was soll noch draus werden, ewiger Kreusel? Was jagt dich wieder? He Grillen, Grillen? zum Teufel mit, lieber Brand! Komm, wir wollen aufs Billard.

VON BRAND. Bei jedem Ball, den ich wegstieß, säh ich mich, wie ich herumgejagt werde. Ach, ich war immer ein ehrlicher Kerl. Mangel! Mangel! und ich mußte im Hause sein, sollt ich auch der unterste Bediente sein. Wo sie ist! – Leidenschaft! brennende Leidenschaft! ich möchte mir die Augen aus dem Kopf reißen. Blum, ich war immer ein ehrlicher Kerl. Besser, ich wäre betteln gegangen.

BLUM. Bist's noch, Brand. Warum sollst du keiner mehr sein? Narre du! Weil du bei der Gesandtin geschlafen hast etwa? Pfui, für einen Kavalier, der zweimal in Paris war, hält sich für keinen honetten Kerl, weil er beim schönsten Weibe gelegen.

VON BRAND. Ich möchte dir die Gurgel zudrücken, daß du's nie wieder sagen könntest. Mir war immer die Keuschheit das Heiligste am Weibe. Und ich ihr Zerstörer! Liebe! und immer mehr Liebe, und immer mehr Zerstörer! Mein einziger Wunsch und Begierde! Hör, lieber Blum, die ganze Familie kann zugrunde gehn, die Kerls am Hofe alle sind wider sie.

BLUM. Was tut dir das? Was verlierst du dabei?

VON BRAND. Hund, du bist doch aufgetrocknet bis auf den letzten Gran von – ich will nicht sagen Rechtschaffenheit, die war nie dein Teil, nur Menschlichkeit, kein Gran mehr übrig.

BLUM. Wo soll dies her? Ist nicht Seel und Geist schlaff? Mattigkeit der Glieder meine Folgerin? Krachen meine Beine nicht unter mir? Alles Mark ausgetrocknet und Krampf in den Knochen. Alles hin; Festigkeit, Kraft, Zufluß der Jugend. O das aufgeleckt, hol der Teufel das andre! Ich mag mich und keinen Menschen mehr ansehen. Es ist eine verfluchte[895] Existenz, euch Kerls zuzusehen, wie's in euch kocht und wallt.

VON BRAND. Recht, Wollüstling! O könnt ich die Sünde von meiner Seele abwaschen; könnt ich sie erst aus diesem Herzen reißen. Der arme Gesandte! ich kann nicht los.

BLUM. Fecht mir nicht so mit den Armen! lärm nicht! Mögst ein guter Akteur werden, den Gewissenhaften zu spielen. Wollen aufs Billard.

VON BRAND zieht die Uhr heraus. Sechs Uhr. Fällt ihm das Portrait in die Augen. Kommst du mir vor die Augen? So ein Weib, so ein Weib! Sie war ein Engel, ein hoher unbegreiflicher Engel, und durch mich niedergerissen, vom Thron herunter. Ach der Taumel! der Taumel! wen ein Weib gefangen hat! – Ein kleiner Funken in die reinste Brust sich eingeschlichen hat – Das Weib ist hin, das Weib ist hin! Du Engel! ich kann dich nicht wieder auf deine Höhe stellen, und könnt ich's, ich liebe brennend.

BLUM. Hör auf, Brand, um Gottes willen; es kommen Leute. Kommst du denn her, deine Geheimnisse auszurufen, Marktschreier?

VON BRAND. Wenn's so fortgeht – Malchen! Malchen!


Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 895-896.
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