Dritter Auftritt

[949] Amalia. Guelfo.


AMALIA. Guelfo! mein Sohn!

GUELFO. Mutter, dein Sohn?[949]

AMALIA. Bist du krank, mein Guelfo?

GUELFO. Nein! nicht!

AMALIA. Ich hörte, du hättest den Doktor kommen lassen, und lief ängstlich nach dir. Was ist dir?

GUELFO. Nichts! Nichts!

AMALIA. Wie, mein Sohn? Deiner Mutter keinen Liebesblick?

GUELFO. Ha, meine Mutter! Mutter! Mutter und meine Mutter! Ich hab der Liebesblicke keinen. Kennen Sie den Guelfo? – Oh! ich bitte, mit all dem Kosen und Streicheln lassen Sie mich! Meine Wangen sind der milden sanften Hand der Mutter ungewohnt.

AMALIA. So sollst du diesen Kuß haben! Sollst ihn aufgedrungen haben von der Mutter Lippen, mein wilder Sohn Guelfo! Wehr dich nicht, Guelfo! und diesen, und diesen, mit all der Liebe der Mutter!

GUELFO. Wie, Mutter? Sie irren sich. Meine Lippen sind nicht sanft, meine Stimme klingt nicht süß, ich bin nicht weise, bin der rauhe Ritter Guelfo.

AMALIA. Und auch der liebe Guelfo. O mein Guelfo, sieh freundlich, sieh gut, mach unsre Freude laut und vollkommen! Warum läßt du uns so unfreundlich? Faßt ihn an der Hand. Sieh, Guelfo, ich könnte dir itzt viele Vorwürfe machen, daß du uns fliehst, daß du immer außer Hause bist, und, wenn du zurückkömmst, dich einsperrst: und ich und dein Vater weinen über deine rauhe Gemütsart Tag und Nacht. Aber, ich will's nicht tun, mein Guelfo! will das all dulden, will's mütterlich dulden! Du wirst dich ändern. Nicht wahr, Guelfo? Du wirst milder?

GUELFO. Ja denn! ich werde milder! Lassen Sie mich! Noch einmal, Ihr Kosen ist meinen Wangen unbekannt.

AMALIA. Du stößt meine Hand weg! Guelfo! stößt deine Mutter weg!

GUELFO. Weine! weine! klage! taumle zu deinem Ferdinando! He, Mutter?


Faßt ihre Hand.


AMALIA. Drück mich hart, starker Guelfo! Deine Hand ist männlich, schone der weichen Hand der Mutter nicht, wenn's der Druck der Liebe ist.

GUELFO. Ja, der Druck der Liebe, und der Druck – Was nun, Guelfo?

AMALIA. Da fiel eine dicke, volle Träne herunter. Ha, Guelfo!

GUELFO. Es ist meine nicht.[950]

AMALIA. Lüge nicht, mein Guelfo! Laß sie dein sein! Ich sah sie auf deinem Auge zittern. Laß sie mich wegküssen! Wenn der Mann, wie du, weint, fühlt er tief. Nicht, mein Guelfo? Du liebst deine Mutter, die dich so sehr liebt, die Tag und Nacht seufzt, und betet, du möchtest gut sein, und Liebe erwidern? Mein starker Guelfo, laß mich an dir ruhen! Du hast mir viel Liebes getan die Stunde, hast mir viel Liebes getan dein Leben durch.

GUELFO. Mutter – was haben Sie mit mir vor?

AMALIA. Lieber Guelfo, wenn meine Liebe dich nicht schützte – o dein Herz schlägt stark! Schlägt's der Mutter?

GUELFO. Weiß ich das? wenn mich Ihre Liebe nicht schützte –? nun? –

AMALIA. Dein Vater wird jeden Tag mehr aufgebracht. Täglich kommen Klagen wegen deiner. Oft wollt er dich aufsuchen, dir's vorhalten im Grimm. Ich schlung mich um ihn, hielt ihn, log – heut erst noch –

GUELFO. Mag er kommen! Guelfo kennt sich und seinen Vater. Weib, du hättst mich nicht gebären sollen! Ich war kein Knabe für euch, bin kein Mann für euch! Erwürgen hättst du mich sollen! erdrücken in der Wiege, daß ich nicht aufgewachsen wäre, der Löwe Guelfo! Ich hab Mut, Feuer, Geist, Stärke – und habt mich niedergeschlagen bei der Geburt! Ha! bin ich aus dem Hause der Guelfen? – Nicht, Weib? Du gebarst den Ritter Guelfo, daß er Spott sei? Deine sanften Hände wären damals stark genug gewesen, mich zu würgen. Schling sie um mich! Du kannst Guelfos Nacken nicht umspannen; und doch, wenn du mir den Dienst tun willst, halt ich still.

AMALIA. Guelfo! mein Sohn! mein Sohn! erbarm dich deiner Mutter!

GUELFO. Und wer erbarmt sich meiner, der ich gefoltert werde von bösen Geistern innig? Wer erbarmte sich meiner von je? Mir? mir? des Guelfo?

AMALIA. Angst! Angst! – Dein Vater kömmt. Berg dich hinter die Liebe deiner Mutter, wenn er zürnt.

GUELFO. Still, Mutter![951]


Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 949-952.
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