[956] Ein Saal.
Guelfo. Grimaldi.
GUELFO. Ist dir's wieder besser, Grimaldi?
GRIMALDI. Wenn mir's am Körper fehlte, lieber Guelfo, scheut ich keine Feuerkur. Ablösen wollt ich mir das Glied lassen, wo mich's schmerzte, und verstümmelt standhaft leben. Aber, Guelfo, tief und peinlich und auch wonniglich liegt's in meiner Seele. Einen gebeugten von Menschen gekränkten Geist, ein verwundetes Herz mit sich herumzuschleppen, und so täglich dem öden Grabe mit gesenktem Haupte zuzuwallen – Sieh, Bruder! ich falle vom Fleisch, schmachte, seh bleich – und dieser morsche Körper blühte einst in lieblicher Jugend, ward bestaunt, geliebt. Trat ich auf, Guelfo, zischelten sich die Mädels in die Ohren, webten mit Blicken und Bewegungen Ketten und Netze, den Grimaldi zu bestricken. Das war Gedräng, Zunicken, Fächerrauschen und Anhängen. Wie viele Uneinigkeiten und kleine Zänkereien verursachte ich nicht unter Schwestern, Liebenden und Herzensfreundinnen! Wenn ich eine mit Wärme und mehrerer Teilnehmung ansah, stellte sich schnell ihre Nachbarin in Riß, und stahl wenigstens den Blick auf die Hälfte, den ich Höflichkeits wegen nicht kalt zurückziehen konnte. Ja-ja!
GUELFO. Red nur fort, Grimaldi; ich kann hören, und das denken – Ich seh nur nach der Straße, um meinen Bruder mit den Hengsten im Pomp anfahren zu sehn. Nu?
GRIMALDI. Wie das nun all liegt, Jugend und Vermögen! Ich senke meine Arme, senke mein Haupt – gefallen bin ich, der rasche Grimaldi! Und da ich fiel, durch Neid und Verfolgung von Schwachen, floh Schnellkraft, Zuversicht und Festigkeit. Ich zog mich ganz in mich in mein Trauren. Das gesellschaftliche Leben unter Menschen, alle heitere Empfindungen, alle[956] Teilnehmung an meinem und andrer Geschick, alle Sinne verwandelten sich in meiner gedrückten Brust in Haß und Widerwillen. Ich schwirre nun in Trauergedanken, fühl mich vergehen, fühl mich gerne vergehen – Denn was ist das Leben, mein lieber Guelfo, wenn einem das genommen ist, was einem Leben gibt, wenn einem noch dazu der Weg verlegt ist, den zu gehen man gemacht ist?
GUELFO. Man räumt's weg, Grimaldi!
GRIMALDI. Denn muß man auch das vorige Gefühl wieder in sich sammlen können. Aber, Guelfo, wenn das nun all niedergerissen ist, was uns damals trieb, wie den jungen Adler, der seine Schwingen stark fühlt, den Weg zur Sonne zu schweben – wenn das nun nicht mehr aufzuwecken ist – Lieber Guelfo, ich schein mir dem geblendeten Adler zu gleichen, der sein Leben in den Felsen austrauert. Was hülfe mir's nun auch, wenn ich mich wieder aufzutreiben suchte, einige Schritte taumelte, und mich doch nicht an der Sonne erquicken könnte, worauf es ankömmt!
GUELFO. Das kömmt all wieder. Man findt sich, und das andre findt sich auch.
Unverwandt durchs Fenster nach der Straße.
GRIMALDI. Ja, es kam einstens ein Sonnenblick! – Guelfo, du weißt doch auch, wer kam, und mir die Nacht vors goldne Strählchen feindlich stellte, daß ich weiter nichts erblickte, als Haß und bösen Genius in mir? – War das Erquickung für mein Herz, als mir die Lichtgestalt erschien! Ich hatt ein Liedchen, das ich damals oft sang –
GUELFO. Sing, Grimaldi.
GRIMALDI singt.
Heiter kehrest du, o Licht!
Und ein helles Strählchen bricht
Aus der dumpfen Nacht hervor,
Hebt mein leidend Herz empor.
Es erschien ein Engelskind,
Rührte meine Seele – schwind! –
Und die Trauer schwand dahin,
Selig, selig nun ich bin!
Selig, selig werd ich sein,
Wenn die Liebe mich wiegt ein,
Wenn die Lieb den Trauersinn
Wandelt mir in Freudensinn!
[957]
Glänze ferner durch die Nacht,
Liebe, süße Zaubermacht!
Hülle mich, o Zauber, ein!
Selig, selig werd ich sein!
O Guelfo, Guelfo! was waren das Stunden!
GUELFO. Und nun?
GRIMALDI. Guelfo, da wollte der schlafende Genius wieder aufwachen, wollte mich beleben, und ich ward angespornt – träumte glühende Träume, wie ich nun mit Riesenschritten gehen wollte als ein edler Kerl! Guelfo, ich ward auf die Waagschale gelegt, mein Adel zu leicht befunden; mein Wert fiel tief, Guelfo! Die süßen Augenblicke, die ich lebte, die mich zu allem gemacht hätten! Ward ich nicht in Finsternis zurückgestoßen, worin ich noch immer tappe?
GUELFO. Du hast recht, Grimaldi. Du warst damals in einem Gang, gingst so schnell nach dem Ziel, daß ich dir mit Wunder zusah.
GRIMALDI. Drum stieß mich Vetter Ferdinando unter; der alte Guelfo hätt sich des Grimaldi erbarmt. O der Seligkeit der Stunden! o der Seligkeit des Grimaldis! o der Verdammung des Grimaldis, die nun um ihn liegt!
GUELFO. Armer Narr! Hätt's an mir gelegen, du hättst sie haben sollen. Ich hatte dich auch gewogen, Grimaldi! aber ich fand dich bewährt. Was nutzte mein Reden all?
GRIMALDI. Ich dank dir noch, mein lieber Bruder. Ich will dich immer so nennen, und nach Oten schnappen, wenn ich's denk, und dich an meine Brust drücke. Umarmt ihn. O wenn ich's worden wär! und wenn ich's worden wär – ist sie nicht tot?
GUELFO. Das herrliche Mädchen!
GRIMALDI. Sie starb, sie starb! und da sie starb, starb Grimaldi! Alle Hoffnung und Leben entquoll meinem Herzen mit den blutigen Tränen. Bruder! Dir darf ich's sagen, daß mir jede Nacht ihre blasse Totengestalt erscheint, daß ich sie so kalt in meine Arme festdrücke, daß sie mir winkt, und daß sie mich nach sich zieht. O Juliette! Juliette!
GUELFO. Geh doch! laß mich!
GRIMALDI. Fühlt ich ihren Tod nicht so scharf! und würd ihn schärfer fühlen – Hab dich Gott, meine Liebe! Grimaldi wallt dir eine düstre Wallfahrt nach. Und gewiß wärst du noch hier; denn ich wollte dich gepflegt haben, wollte dich getragen haben,[958] auf den Fittichen der erquickenden Liebe! O Juliette, du wärst noch unter uns!
GUELFO. Ich bitt dich, Grimaldi, wieg mich nicht in diesen schwermütigen Ton. Ich brauch Stärke; und bin ich nicht im nämlichen Fall?
GRIMALDI. Armer Guelfo!
GUELFO. Wär Camilla nicht mein worden, und ich hätt in den Armen der Liebe den Löwen Guelfo abgelegt? wär still und friedlich geworden? – Sie hatte Guelfos ganze Seele.
GRIMALDI. Du sagtest's ihr?
GUELFO. Nein! nicht! Ich Bestohlner, der ich nichts als meinen Degen habe!
GRIMALDI. Und er hat sie nun, da er mit den schweren Titeln kam, mit den reichen Goldsäcken, von Herzogsglanz geführt! Da bückte sich die Liebe – ha! und bückte sich unter, und der tapfere Guelfo schwand aus ihrem Herzen. Sterben will ich, ohne an Juliette zu denken, wenn er nicht deine Liebe wußte.
GUELFO. Mag er! er hat sich weh mit getan; denn fordern will ich auch das von ihm im Grimm. Himmel und Erde! wenn ich der Wonne denk, in der ich schwebte, ihre Gestalt vor mir seh mit aller Glorie der Schönheit! Grimaldi, das war ein Leben! das waren Zückungen! – Ich kann dich versichern, ich allein kann das Weib an ihr finden, das an ihr ist, das Weib des tapferen Ritters, dem sie Siegskronen mit Liebe windet, kömmt er vom Feinde. Ihm ist sie nichts. Ich konnte den Schleier heben, und im Heiligtum der innern Schönheit ihrer Seele lesen. Ha! wie ich einst nach der Schlacht ihrem Schlosse zujagte, mit Blut der Feinde bespritzt! Sie lächelte himmlisch von dem Balkon herunter, warf mir ein weißes Tuch zu, rief: »Ritter, wisch das Blut weg! Du schreckst meine Gespielen.« Und ich tat's mit dem Tuch, legte es auf mein Herz – siehst du's! hier heilte es, und tat gut.
GRIMALDI. Und das Weib hat er?
GUELFO. Und das Weib hat er!
GRIMALDI. Vor deinen Augen seine Seligkeit, vor deinen Augen die herrliche Gestalt, vor deinen Augen den Himmel! Hölle in mir und dir! – Bruder, laß uns Einsiedler werden, laß uns der Welt absagen, und uns treu sterben! – Wie kann ich's, wie kannst du's ansehen? Eine härne Kutte wär des armen Grimaldis Sache.[959]
GUELFO. Guelfos eine stählerne Keule, zu zerbrechen damit das Haupt –
GRIMALDI. Gebär den Gedanken nicht! – Ha! dort kommen sie gefahren!
GUELFO. Will kein Donner nieder? will kein Donner nieder, die springenden bäumenden Hengste zu lähmen? Ha! wie die Pferde ausgreifen! was das hebt! Sieh den Herrn im roten Kleide mit Gold, wie herzoglich prächtig! Will kein Donner nieder? Siehst du sie? O Grimaldi, im weißen Kleide! Sie sieht heraus, streckt ihre Hand heraus, und wirft dem Bettler was zu – die Chaise wendet wieder – der Stern auf seiner Brust, wie er blinkt! Sie! – Teufel! Teufel!
GRIMALDI unverwandt zum Fenster hinaus. Wirfst du Seifenblasen hinaus? Sie zerplatzen, eh sie niederkommen, armer Narr!
GUELFO. Grimaldi! Grimaldi! Laß mich was tun! Ich will eine Pistole losschießen – ich muß so was hören! Mein Herz heischt's!
GRIMALDI. In die Luft doch?
GUELFO. Heida! – Wart! nach der Wasserseite – Schießt zum andern Fenster hinaus. Hi! Hi!
GRIMALDI. Rasch in Hof! Eins, zwei – sechs Diener nur – vier Läufer nur – zwei Heiducken nur – Es ist wenig und genug für einen Herzog.
GUELFO kniet nieder, spricht in sich und springt auf. Ausgesprochen, und geschehn! Fest in meinem Blut sitzt's! saust's an den Wänden her, und kräuselt sich's in der Luft! Bei Guelfos Herz! es soll nicht zergehen, wie Grimaldis Seifenblasen.
GRIMALDI. Was treibst du hinter mir.
GUELFO. Frag nicht! Was ich tu, tu ich!
GRIMALDI. Sie steigen aus – Vater – Mutter –
GUELFO. Kost ihn, liebt ihn, springt um ihn herum! So! drückt ihn noch fester ans Herz, und weint! Fluch mir! Fluch mir! Bei der Geburt bestohlen! Nun dann, bettelarm heute! – – Brav, Ferdinando! Wollte Gott, du machtest deine Sache anders; aber so – wieder? hu!
GRIMALDI. Das ist närrisch. Sieh, dort im Teich, wie der Mensch den Fisch angelt. Er zuckt sehr, zuckt sich los, fällt aufs Ufer, er hascht ihn –
GUELFO. Und er küßt sie! Ha! vor meinen Augen! denk! vor meinen Augen! saß so lang bei ihr, hat sie so lang, wird sie[960] haben, und vor meinen Augen! – Grimaldi, will er mich umbringen?
GRIMALDI. Wie der Kerl den Fisch zappeln ließ! Pfui!
GUELFO. Und wie ich zapple! Mit den Küssen angeln sie meine Seele, und ich blute. Camilla! Camilla! Ich häng an der Angel, zucke mich zu Tode! Sie sieht nach ihm, und Liebe zittert auf ihren Lippen – sieht herauf – was denn? Camilla, was denn? O weh mir!
GRIMALDI. Sie kommen herauf – Willst du sie erwarten?
GUELFO. An der Angel den Tod zu zappeln?
Beide ab.
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