Fünfter Auftritt

[966] Das Zimmer des ersten Aufzuges.

Camilla. Ritter Guelfo.


GUELFO vor der Tür. Ich muß sie sehn! muß sie allein sehn! Tritt herein.

CAMILLA. Ritter Guelfo, noch einmal willkommen, so finster Sie mich auch vorhin ansahen, als Sie bei uns vorbeieilten, und sich kaum halten ließen. – Was machen Sie?

GUELFO kniet. Legen Sie Ihre willkommne Hand auf mein Haupt, und den Liebessegen! o allen Segen in diesem! Ich steh nicht auf, Camilla. Segen von dieser Hand dem armen Ritter[966] Guelfo! Ihre Hand auf mein Haupt, an mein Herz, an meine Lippen, und mit meinen Lippen versiegelt den Liebessegen!

CAMILLA. Ritter!

GUELFO. Wenden Sie sich nicht von mir! O Camilla! Camilla! diesen Trost dem verfluchten, beraubten Guelfo! Sehn Sie mich an! Mit einem Blick von der Marter mich loszuwinden, wie wenig kostet das!

CAMILLA. Guelfo, was ist Ihnen? Sie sehn verstört –

GUELFO. Mir ist nichts, gar nichts – und wenn ich diese Hand habe, und wenn ich diese liebe Hand auf mein geängstetes Herz lege, gar nichts – Willkommen, meine Schwester! Tausendmal willkommen, meine Schwester! Meiner Liebe willkommen, meine Camilla! O so schwebe vor mir! so mache mich lebendig! – Laß mich fühlen in diesem Kuß alles Entzücken der Liebe, und alle Marter! – Willkommen, meine Schwester!

CAMILLA. Sehr willkommen, Ritter! Ich bitte Sie, sehn Sie anders. Kommen Sie, erzählen Sie mir etwas. Ich habe Sie so lange nicht gesehen, und gewiß, ich verlangte nach Ihnen.

GUELFO. Ich möchte das glauben, und mit diesem Glauben mich gegen die Feinde stellen! – Ist's so, meine Schwester?

CAMILLA. Gewiß! Da ich Sie das letztemal sah, machten Sie mir viele Sorgen.

GUELFO. Guelfo, hörst du das? Und es rief mir eine Stimme zu: Habe Glauben! und es rief mir abermal eine Stimme zu: Habe keinen Glauben! Denn wenn du das glaubst – Guelfo, wo bist du? – Nun, Camilla, wie mir ist? – ich kann Ihnen sagen, Camilla – aber was ich sagen kann – Camilla, sehn Sie mich an – und was ich sagen könnte –

CAMILLA. Lassen Sie mich los!

GUELFO. Nicht, Camilla und meine Schwester! Ich soll Ihnen ja erzählen. Und, Camilla, wenn ich diese weiße Hand habe, und wenn ich diese Adern so blau sich schlängeln seh, diese Pulsschläge lausche, und Ihnen ins Gesicht seh, werd ich Ihnen viel erzählen können. Aber da ich so gar wenig reden kann, doch so viel zu reden habe – das letztemal, da ich Sie sah, war mir's freilich wunderlich. Denn, wenn ich mich noch recht besinne, schickten Sie mir Balsam für meine aufgerißnen Hände, die ich kriegte, als die Pferde scheu wurden, und mit meiner Camilla davonrennen wollten; das mir denn sehr ungerecht schien.[967] Ich fiel ihnen aber auch brav dafür in die Mähne, und hielt sie, daß sie stunden, wie Lämmer.

CAMILLA. Nein, damals war's nicht. Sie sind irre. Das letztemal sah ich Sie, als mein Ferdinando kam.

GUELFO. Ihr Ferdinando? – ja doch! Ich ritt nach, ohn es zu wissen, daß Ihr Ferdinando da war. Wie ich nun kam, und alles nur Ferdinando schien, alles um Ferdinando schwebte – Heida! sein Sie doch lustig! Ich weiß nicht, was das für ein Gespräch ist, daß wir zusammen führen. Ich sah Sie noch nicht einmal lächeln, und Sie stehlen einem doch das Herz weg, wenn Sie lächeln. Ich bin sehr lustig, lache mehr, als ich weine. Mich wundert nur, daß niemand mit mir lachen will. Ha, ha, ha! Daß Sie nun da sind! Ha, ha, ha! Daß ich Sie habe, diese Hand habe, diese liebe Camilla habe, und alles mich neidet! Ha, ha, ha! Lachen Sie doch!

CAMILLA. Sie sind fürchterlich mit Ihrem Lachen.

GUELFO. Das weiß ich längst. Sie wollen nicht einmal mit mir lachen? Nicht ein Lächeln? Tun Sie's doch! Zwingen Sie sich ein wenig! Um eines Kranken willen! Das Lachen soll ja so sympathetisch sein, daß gleich alle lachen, wenn einer lacht. Noch nicht, meine Camilla?

CAMILLA. Ja, Sie sind wirklich krank. Lassen Sie mich!

GUELFO. Sie stoßen den Kranken weg! Und wenn ich denn krank bin, einen Trost, meine Camilla! Ich sah Sie wohl weinen und besorgt sein, um eine Ihrer Kammerfräulein, die plötzlich krank ward; ja Sie warteten und pflegten sie. Ich will nur ein gutes Wörtchen. – Mir ziehen Sie unbarmherzig Ihre seidne Hand zurück; und wenn ich sie mit meinen Fingerspitzen berühre, fliehen doch alle Krankheiten, und ich steh da, als wär ich zur Unsterblichkeit geboren. – Wie, meine Camilla?

CAMILLA. Ihre Krankheit ist von einer Art – ich will Ihren Bruder rufen.

GUELFO. Ist er eifersüchtig? Ist er's? und ich will ihm – Nu meintwegen! rufen Sie Ihren Ferdinando! Vernichtet habt ihr mich doch alle! – Was willst du, Guelfo? – Schlägt sich vor die Stirne. Ist er nicht da? Ist der Bräutigam noch nicht da?

CAMILLA. Sein Sie gut, Ritter! sein Sie sanft! Sie begegnen Ihrem Bruder hart. Er weinte bitterlich, da Sie seine Hand wegstießen, und fiel schluchzend dem alten Guelfo in die Arme.

GUELFO. Das kann er, weinen kann er! Und erweint sich damit sehr viel. Seine Tränen – ha! wenn ich meine Tränen so verkaufen[968] könnte, wenn ich sie so verkaufen möchte – Also, er weinte, und da? –

CAMILLA. Ich bitte Sie um Gottes willen, sein Sie anders! Ich muß den Augenblick weg, wenn Sie nicht Mann sind.

GUELFO. Ha! was ruft? Was wallt in diesen zarten Adern auf? Was schreit diese Stimme, die sonst so weich und harmonisch klang? – Camilla, Verzeihung! Ich beuge meine Kniee vor dir, dem ersten Weib auf Erden – Verzeihung! Hast du sie gewährt, so blick noch einmal auf mich, der ich im Staube zertreten bin – ich gehe.

CAMILLA. Stehn Sie auf! Wir können uns unmöglich so wiederstehen, das ich doch wollte.

GUELFO. Das war Camilla! Da entquillt ihren Lippen Erquickung, daß sich Ritter Guelfo aufrichten kann! O Camilla kann einen aus Todesschlaf wecken, kann einen umwenden mit einem Blick! Nun ist mir doch gar wohl.

CAMILLA. Und Tränen im Auge?

GUELFO. Sehn Sie das? Pfui Guelfo! sei Mann! folg dem Bescheid!

CAMILLA. Kommen Sie ans Fenster! Es ist prächtig Abendrot; die Sonne geht herrlich unter. Freuen Sie sich doch mit mir!

GUELFO. Die letzten Sonnenstrahlen durch die Bäume her – Ich möchte mich in die Feuerhelle dort schwingen, auf jenen Wolken reiten mit vergoldetem Saume! – Camilla! Faßt sie an der Hand. Ach! und ich bin wieder so hin – ich möchte diese Feuerwolken zusammenpacken, Sturm und Wetter erregen, und mich zerschmettert in den Abgrund stürzen! – Camilla! Camilla! Camilla! Küßt sie heftig.

CAMILLA. Guelfo! Guelfo! Lassen Sie mich! Heda!

GUELFO. Schrei nicht! Und noch einen! und noch einen! – Ha! so der letzte Kampf! – Zu deinen Füßen gestreckt – bleib! bleib! ich geh! – Schrei nicht, Camilla! Ritter Guelfo heult; und wenn er heult, heult Lieb aus ihm.

CAMILLA nach der Tür.

GUELFO. Wie denn? warum denn?


Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 966-969.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Zwillinge
Die Zwillinge

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Anatol / Anatols Größenwahn

Anatol / Anatols Größenwahn

Anatol, ein »Hypochonder der Liebe«, diskutiert mit seinem Freund Max die Probleme mit seinen jeweiligen Liebschaften. Ist sie treu? Ist es wahre Liebe? Wer trägt Schuld an dem Scheitern? Max rät ihm zu einem Experiment unter Hypnose. »Anatols Größenwahn« ist eine später angehängte Schlußszene.

88 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon