Erste Szene


[994] Paulas Wohnung.

Amante. Vor der Staffelei ein Portrait aufgestellt, Pinsel und Pallet in der Hand.


AMANTE. Ich darf sie nicht mehr ansehen! Ich gafft' mich rasend, rasend. Ah! so mal ich mich rasend. – Hab sie nur verstohlen angesehen, und ihr Bild fließt so lebendig aus meiner innersten Seele. Alle, alle Reize auf dem heiligen Gesicht; alle Schönheit von der Schönheit selbst eingehaucht. Ha! und dieser Busen! das Heben! Wallen und Leben! die blaue Adern, die sich so sanft durch die Weiße schlänglen! – – Ich muß ihn übermalen. Malt. So durch den leichten Flor durch! – Und doch möcht ich ihn wieder wegblasen; Madonna weiß, meine Seele ist gar rein bei ihrem Mädchen ... Grüß dich, meine reine Liebe, Holde! – Ach mein bißchen Verstand ist völlig hin! Bin ich ein Narr? Spricht sie? Und öffnet sie nicht die Lippen? »Amante du bist nicht Julio!« So gib meine Liebe, mir nur einen teilnehmenden Blick! und mir ist's gut. – – Die himmlische Augen! ach! das geht in meiner Seele so wonniglich auf! – – Die schwarze Äpfel! – siehst du, hin und her! Dann so schmachtend fromm und mehr Liebe in Amantes Herz, als in tausend liebenden Herzen. Laura! heilig keusche Laura! steht sie doch da! – – – Ach du Meisterstück der Natur und meiner Kunst! Amante! als wenn das Kunst wäre, wenn man so tausend Seelen und Herzen in den Fingerspitzen hat. – Sieh am Auge! den Pinsel angesetzt, und es ist wie in mir. Ein Gott arbeitet mit mir. Ja wohl ein Gott, du armer Amante! Ach Laura! Laura! will mich totlieben am Engelsbild. Laura! ich bin außer mir! Stier aufs Bild. Sei mir Gott gnädig, was überfällt mich! Nieder! Nieder meine Knie!

PAULO tritt auf, Amante vorm Bild liegend. Amante! In was für Zuckungen liegt der Junge wieder? Naht sich. Was hast[994] du für schwere Sünden begangen, daß du so innig betst? Hörst du nicht? Ha so komm zu dir! Schüttelt ihn.

AMANTE da er Paulo sieht, fährt er zusammen. Das Bild weg. Nach der Tür.

PAULO. Wohin? Steh! was hast du?

AMANTE. Herr!

PAULO. Was hast du?

AMANTE. Der Donna Solina Portrait wovon ich eine Kopie machen sollte. Ich besah's hier, weil's so dunkel im Saal ist. Es ist so erstaunend viel Charakter im Gesicht, und meine Kunst ist, wie Sie wissen, so gering, daß ich immer zittre. – –

PAULO. Plaudre! willst du denn Maler auf einen Tag werden? Fleiß und ein gutes Aug, da wird's schon gehen. Nu zeig mir das Portrait her, ich will doch sehen –

AMANTE. Um Gottes willen lassen Sie mich!

PAULO. Laß sehen! was ist dir?

AMANTE. Bester Herr! lassen Sie mich!

PAULO. Ist's nicht richtig mit dir? Was sturst du als wärst du von Sinnen? Zeig her! was hast du?

AMANTE. Nein! o ich bitte, nein!

PAULO. Nein? He nun will ich's sehen; eben darum will ich's sehen. Pfuscht du etwa hinter mir her?

AMANTE. Herr! – Ich hab gemalt –

PAULO. Was?

AMANTE reicht ihm das Portrait.

PAULO es unverwandt ansehend. Amante!

AMANTE. Liebster Herr!

PAULO. Hast du das gemalt?

AMANTE. Zürnen Sie nicht, ich tat's.

PAULO. Das hast du gemalt? In Ewigkeit nicht. Das kann kein Mensch. Red! red! wer hat das gemalt? Unmöglich. Ich muß wissen wie weit die Kunst geht. Das ist meine Tochter selbst, Geist und Körper hingezaubert; so malt kein Mensch.

AMANTE. Verzeihen Sie, bester Herr!

PAULO. Ist hier die Red von verzeihen? Ich will wissen, wer das gemalt hat, das, was über menschliche Malerei geht, das ich nicht sagen kann, was es ist. Lieber Amante! sag mir, wo ist der Künstler? Ich will ihm zu Füßen fallen, mein Leben keinen Pinsel mehr anrühren.

AMANTE. Lieber Herr! ich blieb einige Nächte auf, nahm alle Stunden des Tags dazu, da Sie außer Hause waren, und eben[995] ward ich fertig mit. O Paulo es malt sich leicht und schnell!

PAULO. Amante, es muß mehr in dir sein, als in allen Künstlern der Erde. Hat dir Laura gesessen?

AMANTE. Ach nein!

PAULO. So hast du – weiß der Teufel! gehext, gezaubert – ich kann's, kann's nicht begreifen.

AMANTE. Lieber Herr! seid mir nicht böse!

PAULO. Je mehr ich's anseh – – Hast du's gemalt, so ist alle Kunst zusammengetreten. Amante das gemalt, ohne gesessen zu haben! Wie geht das zu? Ein Jahr in der Werkstätte und so hinhauchen, hinzaubern, hin, hin, hin – wie sag ich's? es ist mehr als alles das. Laß dich küssen, liebster, bester Junge! Sag nur wie ist's zugegangen? wie's so aus deiner Seele, aus deinen Augen herausgesprungen ist?

AMANTE. Das ist gar nichts! Aber wenn ich so geh, das Mädchen bloß mit der Seele mal, es in der schnellsten, schnellsten Eil unsichtbar aufs Tuch werf; wenn Sie das mit mir sähen, und die Farben sähen, mit welchen meine Seele malt! Wie ich sie in mich trink, aus ihren reinen schwimmenden Augen, aus der Abendsonne, den Strahlen des Monds, und den flimmernden Liebessternen! Wie es atmet, und spricht, und die wehende Lüfte ihr Gewand beleben, die Windlein ihre braunen Locken heben, daß sie in Liebe fließen! Ha Signor, wie die ganze, weite Schöpfung rund um mich Aufenthalt und Widerhall der Liebe wird, wie sich alles in Liebe wandelt! Wo sie hinblickte, steigt ein Gemälde auf, ungesehen von allen, unausgesprochen von mir. Alles, alles wird in meinem Herzen zum süßen Laut der Liebe.

PAULO. Herrlicher Junge! herrlicher Junge!

AMANTE. In meiner Seele klingt der reine Sang der Liebe, und mir ist wohl: Und allen muß es wohl sein, deren Herz gestimmt ist, diesen Klang zu tönen; der mich selig macht, und alles um mich. Harmonisch! himmlisch! rein! Unaussprechlicher Klang, wie das Bild der Liebe in meinem Aug und Herz! Paulo! wer diesen Sang hört, wessen Seele von aller Welt abgerissen ist, und in dieser ewigen Melodie lebt – Wenn ich diesen Laut mit heller Stimme in meine Laute sänge, wie er in meinem Geist hallt, und der Liebesengel trüge diese Melodie zu den Ohren meiner Liebe, sie lauschte ihn, lauschte, wie dieser Klang in Amantes Seele hallt, wie in keines Menschen[996] Herz – Still mein Mund! währe fort! umschwirre mich seligmachende Harmonie! ich kann dich nicht mit Worten umkleiden, sowenig wie ich das aus dem Äther geküßte Liebesbild, mit heiliger Wahrheit umflossen, mit euren Farben umkleiden kann.

PAULO. Stille, große Seelenharmonie die ich in Raffaels Kopf blickte, dich seh ich wieder! O Raffael! o Gefühl! Amante, du bringst meine Jugend wieder, wo ich schwirrte, wie du in lieber warmer Phantasie. Du schleichst dich mit dem Zauber in das Herz des Graukopfs. Du gibst meinem Geist den Schwung der nie begriffenen Seele des Künstlers. Amante! Küßt ihn. Mehr! Laß mich mehr von diesem lieblich gebildeten Mund küssen, mehr aus diesem Angesicht des Engels lesen!

AMANTE. Wenn Ihnen je der Sang der Liebe geklungen hat, nur dann wissen Sie, daß er tönt, wohin Sie treten. Mich umsäuselt er, wenn ich die Windlein durch die Blumen wehen fühl, daß sie sich küssen. Wenn sie über Gras, Busch und Baum streichen, daß alles wallt und wiegt. Wenn sie sich an die Blüte der Bäume hängen und lisplen, das ist Sang der Liebe dem Liebenden. Wenn des Mädchens Gewand in dem Wind spielt, ihr Haar hochauffährt, und jeder Wind mit freudiger Eil herbei eilt, die rollenden Locken auf seinen Fittichen zu tragen. Wenn sie dahingeht mit sanfter Bewegung, das ist Sang der Liebe. Ach! wenn der Fluß hinfließt, die Sonnenstrahlen tanzen in den Fluten, am Ufer die Welle plätschert und der Ried lispert – wie klingt die Liebesharmonie durch die Nacht, wenn jedes Sternchen meiner Liebe Freund ist. Gesang der Liebe in allem, was sie umgibt, was mich umgibt. Wenn meine Tränen heiß aus meinem Herzen stürzen, über meine brennende Wangen jagen; wenn Sturm und Ungewitter braust, und ich klage durch die Nacht, klingt mir Liebe! – Ha! und in all dem Leiden, in all dem Drängen – laß mich so! laß mich so sterben!


Weint laut.


PAULO schließt ihn in die Arme. Siehst du Amante, du machst mich mitweinen. Ich dank dir's. Junge! Junge! du hast dies all in ein Herz gelegt, das dich begreift. Harre! und sieh das Mädchen ist krank und kummervoll, so harre! Willst du dich gedulden? Ich sag dir, ich begreif dich, so alt ich bin. Bewundre dich, als eine neue Erscheinung, die man wahren muß.

AMANTE. Ich bitt Sie, liebster Herr! ich hab mich vergessen. O wie das all mit mir hineilte! Ich weiß nicht –[997]

PAULO. Willst du dich gedulden, und dir treu bleiben?

AMANTE. Herr, mir? Herr, frei von allem Hoffen, Begehren und Fordern, steh ich liebeseliger Junge hier. Ich war aufrichtig. O lassen Sie mir das ohne Furcht, lassen Sie mir, was Sie mir nicht nehmen können!

PAULO. Sieh in mein Aug, Liebster!

AMANTE. O was meinem Herzen das ist, alter Vater!

PAULO. Alter Vater! Nun ja mein Sohn. Du gibst mir einen Blick, der mir noch aus keines Menschen Angesicht entgegenglänzte. Aus dem Schimmer deiner Augen sieht man, daß du den Himmel im Herzen hast. Sieht das Bild an. Ach Lieber! wie deine Wünsche malten! O daß es noch ganz so wäre! Sieh du verstecktest den Kummer, verbargst das kranke Mädchen. Und doch ist sie's, schwindet hin.

AMANTE. Diesen schwermütigen Zug malte der Schmerz, und meine Tränen netzten die Farben. Und ach! Paulo, das tiefe leidende Gefühl würde den Pinsel verführt haben, all das Kranke und Trauren in das himmlische Gesicht zu verteilen. Aber die siegende Liebe stahl sich mit Hoffnung aus meinem Herzen in die Fingerspitzen, und wandelte die kranke, tötende Schwermut in süße anziehende Melancholie. Und wird sich's nicht ändern?

PAULO. Amante, es soll! Du weißt, er stahl ihr Herz, und da er's hatte – Harre! er soll aus ihrem Herzen weichen.

AMANTE. Weichen? Und wer so liebt, würde sein bester Teil nicht mitscheiden und er mit? Ich merk dies zu sehr an mir. Laß sie! Er kann sie nicht lassen. O wer sich ihr einmal genaht hat!

PAULO. Sie erliegt mit ihrer zarten Seele, und mich wird's hinraffen.

AMANTE. Nein! Paulo, nein! Geben Sie mir mein Bild, ich will gehen. Nein!

PAULO. Dein Bild? Willst du's haben? Laß mir's nur einen Tag, eine Woche, Jahr! Was willst du mit machen?

AMANTE. Mit ihm reden, mit ihm weinen, und ihm meine Leiden klagen. Herr jagen Sie mich aus dem Haus, nur mein Bild! mein Bild!

PAULO. Du sollst's haben, und ich will bei dir malen lernen.

AMANTE. Du lieber Gott! Laura tritt auf. Schlag auf Schlag! still mein Herz!

PAULO. Wie mein krankes Mädchen schon wieder aus dem Bett?[998]

LAURA. Kein Ort der Ruhe, mein Vater!


Schmiegt sich an ihn.


PAULO. Liebes Kind!

LAURA. Wo ist er dann? Wo ist Julio? Es schlug zwei, und er ist nicht hier?

PAULO. Laß ihn! Sieh mein süßes Täubchen!


Zeigt ihr das Portrait.


LAURA. Wer ist das?

PAULO. Ei, ei Lauretchen kennst du dich nicht?

LAURA. Ach schon lange hin! Und Sie haben den Julio lange nicht gesehn?

PAULO. Vergiß! liebes Kind, vergiß! und erhalt dich mir!

LAURA. Nun ja, ich vergeß. Und tu ich's nicht? Soeben fuhr Donna Solina vorbei. Er war nicht bei ihr. Mich wundert, daß er nicht bei ihr war. Mag er nicht einmal an mir vorbeifahren? Es ist ein großes Weib, mein Vater. Ich sah sie in einem Blick, und meine Seele sagte: Donna Solina ist ein großes Weib, und Julio hat einen stolzen Geist. Wie klein und demütig kam ich mir vor, da mein Aug dem ihrigen begegnete, und sie dahinrollte. Ach! und wie ich in der Träumerei seine Blicke von ihrer Stirne küßte! – War's nicht ein unschuldiger Diebstahl, mein Vater? Ich weinte, aber nicht darüber, daß ich so klein und schwach bin; ich weinte, daß mein Herz so ist.

AMANTE will den Saum ihres Kleids küssen, fährt zurück. Für sich. Engel! diesen Mund küssen und sterben!

PAULO. Ich bitt dich, Kind, schließ dich an deinen Vater an, und laß den Gram! Willst du vergehen, und meine Augen fangen an, dunkel zu werden. Sieh wenn du lebst, leben meine Augen der Freude, ob sie schon dem Lichte sterben. Meine Tochter! und sieh diesen Jungen!

AMANTE. Ich? Herr, was ich?

LAURA. Amante willst du mir einen Dienst tun? Willst du mir zu Julio gehn, mir versprechen ihn mitzubringen?

AMANTE. In Tod, liebe Donna!

PAULO. Kind!

LAURA. Kommen Sie, ich will Ihnen spielen und singen.

AMANTE allein. Zu Julio! Nimm meine Seele in Schutz, Madonna! Liebe Laura! Du kannst mich das heißen? Julio! könnt ich einen Menschen hassen, wärst du's. Glücklicher Julio! Ihr Blick ist mir so heilig, ihre Gegenwart so himmlisch, und sie sieht mich doch nur, wie einen andern an. Julio! Du hast Blicke der Liebe, und konntest sie kränken? – Laura! – Nimm meine Seele in Schutz, Madonna![999]


Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 994-1000.
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