Friedrich Gottlieb Klopstock

Von der Darstellung

Werthing. Ihre Theorie von der Darstellung.


Selmer. Von der Darstellung des Prosaisten und des Dichters zugleich?


Werth. Nun von den letzten.


Selm. Aber ich werde mit wenigen Worten sagen, worüber andre bücherlang sein würden.


[1031] Werth. Nun Sie werden die Sache denn doch auseinandersetzen?


Selm. Nachdem Sie es nehmen. Ich werd' alles Überflüssige weglassen.


Werth. Was nennen Sie überflüssig?


Selm. Das meiste z.E. von den poetischen Theorien, die wir haben.


Werth. Wenn Sie nur nicht zu viel weglassen.


Selm. Ich werde dafür sorgen, daß nichts Wesentliches fehle.


Werth. Und wesentlich ist?


Selm. Was der gute Dichter anwendbar findet. Doch wir reden zu lange vor.

Von der Darstellung überhaupt sei dieses genung.

Es gibt wirkliche Dinge, und Vorstellungen, die wir uns davon machen. Die Vorstellungen von gewissen Dingen können so lebhaft werden, daß diese uns gegenwärtig, und beinah die Dinge selbst zu sein scheinen. Diese Vorstellungen nenn ich fastwirkliche Dinge. Es gibt also wirkliche Dinge, fastwirkliche, und bloße Vorstellungen. Die Gründe hierzu liegen tiefer, als es dem etwa scheinen möchte, der den Menschen nicht kennt, und nur Philosophie schwatzt.


Minna. Wie können Sie von der Darstellung, die mir als eine Zauberei vorkommt, so kalt, und so einteilend sprechen?


Selm. Man ist nicht immer kalt, wenn man es zu sein scheint. Wir glühen von dem Vorsatze, wahr von der Sache zu sprechen. Wenn wir es mit der Wärme täten, die Sie zu verlangen scheinen, so würden wir uns durch bildliche Redensarten blenden, und uns der Gefahr aussetzen diese Wechselbälge, denn das sind sie, wo es auf Untersuchung ankommt, der Wahrheit unterzuschieben.


Minna. Ich hatte unrecht. Denn ich kann das widrige Geschrei dieser Wechselbälge, das in unsern neuesten Büchern immer lauter wird, auch nicht ausstehn.


Selm. Wer sehr glücklich, oder sehr unglücklich, und lebhaft dabei ist, der wird wissen, daß ihm seine Vorstellungen oft zu fastwirklichen Dingen geworden sind. Wie dieser die Gegenstände sich selbst darstellt, so stellt sie der Dichter andern dar.[1032]

Der Zweck der Darstellung ist Täuschung. Zu dieser muß der Dichter den Zuhörer, sooft er kann, hinreißen, und nicht hinleiten. Wehe jenem, wenn er das letzte ohne Not tut.

Die Darstellung des Dichters ist täuschender, als des zeichnenden Künstlers seine. Der Sinn entscheidet bei der letzten, und dieser untersucht das Gesehene, weil er länger daran haftet, genauer, als der Geist das Gedachte, und kann daher leichter entdecken, daß er getäuscht wird.

So weit von der Darstellung überhaupt.

»Der Gegenstand muß darstellbar sein.«

Es gibt Gegenstände, die selbst große Dichter auch den fähigsten Lesern nicht darstellen können. Ihre Zahl ist nicht klein. Wer die unglückliche Wahl trifft, der bringt (er kann das nun nicht ändern) ein Gedicht hervor, dessen edelste Lebensteile schwach sind.

Der Gegenstand ist vornehmlich alsdann darstellbar, wenn er erhaben ist, und wenn er viel Handlung und Leidenschaft in sich begreift.

Handlung besteht in der Anwendung der Willenskraft zur Erreichung eines Zwecks. Es ist ein falscher Begriff, den man sich von ihr macht, wenn man sie vornehmlich in der äußerlichen Tat setzt. Die Handlung fängt mit dem gefaßten Entschlusse an, und geht in verschiednen Graden und Wendungen bis zu dem erreichten Zwecke fort.

Bekommen Handlung und Leidenschaft, jene dadurch, daß sie nicht nur groß, sondern zugleich gut, und diese, daß sie edel ist, auch sittliche Schönheit; so nimmt die Darstellbarkeit des Gegenstandes zu.

Auch alsdann nimmt sie zu, wenn, was keiner Handlung und Leidenschaft fähig ist, aber dadurch, daß es in Bewegung ist, sich der Handlung zu nähern scheint, auch sinnliche Schönheit hat. Wirklich handeln darf diese Gegenstände der Dichter nur dann lassen, wenn er glaubt, den Zuhörer durch das Vorhergehende schon so entflammt zu haben, daß er sich an dieser Kühnheit nicht stoßen werde. Gleichwohl dürfen sie niemals lange handeln. Denn man bekömmt sonst Zeit sich zu besinnen; und die Täuschung hört auf.[1033]

Unvermutetes, scheinbare Unordnung, schnelles Abbrechen des Gedankens, erregte Erwartung, alles dies setzt die Seele in eine Bewegung, die sie für die Eindrücke empfänglicher macht.

Das Angeführte trägt das Seinige zur Darstellung bei; aber hervorgebracht wird sie durch folgendes, wovon, seiner Beschaffenheit und dem Inhalte gemäß, mehr oder weniger beieinander sein kann.

1. »Durch Zeigung des Lebens, welches der Gegenstand hat.«

Es ist viel mehr Leben in der Natur, als der, welcher nicht scharf sieht, bemerkt. Hat mans bemerkt; (die kleinste Lebendigkeit ist hier nicht ausgeschlossen) so kömmts dann vornehmlich darauf an, es recht zu fassen, und ganz zu nehmen, und ja nichts Lebloses darein zu mischen; dies letzte besonders alsdann nicht, wenn das Darzustellende nur ein wenig Lebendigkeit hat.

Daß man den Gegenstand in seinem Leben zeigen müsse, ist der erste Grundsatz der Darstellung. Denn gezeigtes Leben bringt uns vornehmlich dahin, daß wir die Vorstellung ins Fastwirkliche verwandeln.

Wenn, Schlag auf Schlag, Lebendiges Lebendigem folgt; so nimmt dadurch seine Kraft beinah so sehr zu, als die Schnelligkeit der fallenden Last durch den größeren Raum zunimmt.

Ganz was anders ist es übrigens, wenn der Dichter den angeführten Grundsatz mit einem Geiste anwendet, der es vermag; und wieder ganz was anders, wenn er sich bloß lebhaft anstellt. Diese Gebärdung verfehlt ihres Zweckes geradezu. Es ist eines der tollkühnsten Wagstücke, das ich kenne, Leben, das man nicht mitfühlt, ausdrücken zu wollen.

2. »Durch genau wahren Ausdruck der Leidenschaft.«


Minna. Ach meine Italiener!


Selm. Nur dies ist noch schwerer, als die planmäßige Wahl des Grades, den man der Leidenschaft zu geben hat.

Schwer ist jenes genau Wahre, weil der Dichter sich gefreut haben muß, wenn sich der Zuhörer freuen, und geweint, wenn er weinen soll.

3. »Durch Einfachheit und Stärke.«[1034]

Diese muß aber eine wahre, und nicht Anstrengung sein. Der Unterschied wird in seinen Wirkungen sehr auffallend.

Von der Einfachheit ist die Kürze niemals, und von der Stärke nur selten trennbar.


Werth. Durch Hülfe der Kürze denkt oder fühlt man schneller.


Selm. Und diese Schnelligkeit vergrößert den Eindruck des Dargestellten. Sie ist einer der wesentlichsten Punkte, worauf es ankömmt. Denken Sie sich den, der sehr glücklich oder sehr unglücklich sich selbst etwas darstellt, wie dann alles in seiner Seele fliegt!

Doch der Löwe wird nicht nur an der Klaue gekannt, sondern auch an der Mähne.

4. »Durch Zusammendrängung des Mannigfaltigen.«

Allein dies muß nicht Überfluß sein, und mit der möglichsten Sprachkürze ausgedrückt werden. Bei der Einfachheit und Stärke kommen Gedankenkürze und Sprachkürze zusammen; hier findet nur die letzte statt.

5. »Durch die Wahl kleiner, und doch vielbestimmender Umstände.«

6. »Durch eine Stellung der Gedanken, daß jeder da, wo er steht, den tiefsten Eindruck macht.«

7. »Durch Innerlichkeit, oder Heraushebung der eigentlichen innersten Beschaffenheit der Sache.«


Werth. Aber wenn nun der Zuhörer diese oft sehr tiefliegende Beschaffenheit nicht kennt?


Selm. So lernt er sie durch den Dichter kennen.

8. »Durch Ernst. Der Dichter hat eine solche Überzeugung von der Wahrheit und Wichtigkeit seiner Gegenstände, daß man sieht, er rede vielmehr um ihrent willen, als aus Neigung zu gefallen.«

Hierdurch entsteht gleicher Ernst der Zuhörer, und der macht, daß der Inhalt ganz auf sie wirkt.

9. »Durch herzlichen Anteil des Dichters an dem, was er sagt.«

Dies reizt zu gleicher Teilnehmung. Wer kennt die Folgen der Teilnehmung nicht?

Dies ist es, wodurch die Darstellung hervorgebracht wird.[1035]

Wenn der Dichter die Sache besser gedacht hat, als er sie sagt; so hilft ihm dies bessere Denken zu nichts. Denn auf die Zuhörer wirkt nur das, was gesagt wird. Wenn er sie durch Darstellung täuschen will: so muß er reden; und nicht lallen, oder stammeln.

Hier kommt vornehmlich zweierlei in Betrachtung: Der genau gekannte Bedeutungsumfang der Worte; und die sorgfältige Wahl der edlen.

Zwischen einem eben nicht unedlen Worte, und einem guten ist schon ein großer Unterschied; aber welcher Abstand ist zwischen den unedlen, und den edlen. Die Griechen, die Griechen, wenn wir sie anders verstehn!


Werth. Nicht auch die Römer?


Selm. Auch sie.


Minna. Und die Engländer?


Selm. Die Täuschung ist eine so zarte Blume, daß sie von jedem zu kühlen Lüftchen hinwelkt. Ein solches Lüftchen ist z.E. jedes unedle, unschickliche, oder auch nur übelgestellte Wort.

Der Wohlklang, und noch mehr das bedeutende Silbenmaß, diese ψυχαι φωνητικαι (beseelte Töne, Minna) haben viel Ausdruck; wenn sie zu dem Inhalte passen: und unterbrechen die Täuschung; wenn sie nicht dazu passen. Auch hier kann so manches welkmachende Lüftchen leicht zum Wehen kommen.

Der Dichter kann diejenigen Empfindungen, für welche die Sprache keine Worte hat, oder vielmehr nur (ich sage dies in Beziehung auf den Reichtum unsrer Sprache) die Nebenausbildungen solcher Empfindungen, er kann sie, durch die Stärke und die Stellung der völlig ausgedrückten ähnlichen, mit ausdrücken.


Werth. Oder auch wohl nur darauf deuten.


Selm. Freilich, wenn die ähnlichen nicht stark genung sind, und nicht an der rechten Stelle stehn; wenn beides nicht so beschaffen ist, daß es das Feuer in der Seele weiter ausbreitet.

Mich deucht, daß auch das Silbenmaß hier und da etwas mitausdrücken könne.

Überhaupt wandelt das Wortlose in einem guten Gedicht[1036] umher, wie in Homers Schlachten die nur von wenigen gesehnen Götter.

Von der Darstellung scherzhafter Gegenstände (meine Sätze berühren nur wenig davon, und sie hat viel feinere Regeln, als ausgeübt werden) merk' ich in Vorbeigehn an, daß sie ihre Eindrücke bloß auf die Einbildungskraft macht. Die Darstellung des Ernsthaften macht die ihrigen auf die ganze bewegte Seele.

Wenn man Handlung, Leidenschaft, und sittliche Schönheit jede besonders betrachtet; (im Gedichte sind sie beisammen, und wirken zugleich) so wird, nach dieser Art die Sache anzusehen, die durch die ersten schon bewegte Seele durch die letzte nur noch mehr bewegt. Aber dieses Mehr ist von großer Bedeutung, weil schon so vieles da ist. Es trägt nicht wenig dazu bei, daß die Geliebte aufhört marmorn zu sein, und lebendig wird.

Nur noch zwei Bemerkungen; und alles, was Gegründetes und Anwendbares zu sagen war, ist gesagt.

1. Auch die beste Darstellung in diesem und jenem Teile eines Gedichts verliert etwas, manchmal nicht wenig von ihrem Eindrucke, wenn das Ganze nicht durch Wahrscheinlichkeit, Ebenmaß, Abstechendes, gehaltnen Hauptton, und Zwecke, die auch Zwecke sind, ein schönes Ganzes ist. Ein solches Ganzes stimmt die Seele für die Wirkungen des dargestellten Einzelnen, und erhält sie in dieser Stimmung.

2. Wenn der Dichter, die Waagschal in der Hand, und mit reinem Gefühle des Eindrucks, den er hervorbringen will, von dem Angeführten immer so viel, und dies, in so genauen Abstufungen, vereint, als der jedesmaligen Beschaffenheit der Gegenstände gemäß ist; so erhebt er seine Darstellung bis zum Vollendeten. Allein je näher er diesem, oder dem völlig richtigen Umrisse der Darstellung, gekommen ist, und eben dadurch zu großen Foderungen berechtigt hat, desto lebhafter fällt auch dem Zuhörer ein wenig Unerreichtes, oder gar Verfehltes auf. Gute Richter sind gelinde: allein hier wissen sie nichts von Gelindigkeit. Denn nun verlohnt es sich ihnen der Mühe streng zu sein. Ebenso verfahren sie, wenn sie einen[1037] Sänger hören, der bis zum höchsten Ausdrucke der Leidenschaft gestiegen war; aber nun der so gereizten Erwartung einmal nicht völlig genung tut, oder den wahren leidenschaftlichen Ton auch nur um einen Hauch verfehlt.

Nur müssen sich die nicht unter die Beurteiler drängen, und über jenen Umriß mitsprechen wollen, vor denen es überhaupt dämmert. Denn was haben sie mit dem Vollendeten zu schaffen?[1038]

Quelle:
Friedrich Gottlieb Klopstock: Ausgewählte Werke. München 1962, S. 1031-1039.
Erstdruck in: Fragmente über Sprache und Dichtkunst, Hamburg (Heroldsche Buchhandlung) 1779.
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