Dritter Auftritt

[7] Adam. Seth.


ADAM. Sie hat eine schöne Seele! Wie sie es empfand, daß sie uns verlassen mußte. Mein Sohn! – – (Gott segne sie! Ich werde sie nicht wieder sehen! Sie ist wie Eva, da der Fluch noch nicht war! Gott segne sie!) Mein Sohn! Mein bester Sohn! Ich weiß, wie du den Unerschaffnen kennst, und wie tief du ihn anbetest! Du bist ein Mann mein Sohn! Ich kann dir Alles sagen! – Heut sterb' ich!

SETH vor sich. Mein Vater! – Adam! mein Vater!

ADAM. Er verstummt! Ich werde bald länger verstummen! Zu Seth. Mein ganzes Herz empört sich da ich dich leiden sehe! Aber du mußt mich hören! Viel fürchterlicher war die Stimme, da ich das erste Mal das[7] erstaunungsvolle Wort, Tod! vernahm. Unter allen meinen Kindern bist du der Einzige, der mich sterben sehen, der mir sterben helfen soll. So gewiß ich wußte, da ich geschaffen war, da ich mich empor hub und gen Himmel sah: so gewiß weiß ich, daß ich heut sterben werde! – Ich saß in der Vorhütte und überließ mich den Freuden über die Glückseligkeit meiner Kinder Heman und Selima ganz! Auf Einmal, so sehr auf Einmal, als je der schnellste Gedanke gedacht worden ist, er schütterte mich, kein Erstaunen, kein Schauer, keine Angst, der kommende Tod erschütterte mich und strömte durch alle meine Gebeine! Jetzt ist dieses mächtige Gefühl zur Betäubung geworden, sonst würde ich, wie du, verstummen, oder du würdest doch die Sprache meiner Angst nicht verstehn! Mein theurer Sohn! Mein Sohn Seth! Du Bruder Abels! Ich will nicht klagen! Wie dürft' ich klagen? Da ich diesen kommenden Tod empfand, da fuhr eben so schnell der Gedanke in meiner Seele auf, daß ich heut sterben würde! Tief grub er sich in mein Herz ein. Und noch denk' ich nur ihn! Da schwebt er vor meiner Stirne! Hier schlägt er in meinem Herzen! Und noch einer, den ich dir an dem Tage meines Todes nicht mehr verschweigen will, begleitet ihn und ist so gewaltig, wie er! Als ich gerichtet ward und nun von meiner Betäubung aufstand, trat ein Todesengel vor mich und sprach: Wenn du diesen Ausspruch verstehn wirst, den Tag, Adam, sollst du mich wieder sehen! Ich erwarte die Erscheinung, die furchtbare Erscheinung, so gewiß ich sie auch erwarte! doch würde sie noch furchtbarer seyn, wenn ich sie nicht erwartete. – Schau gen Himmel auf, mein Sohn! Der mich richtet, mischt Linderung in meine Todesangst! Aber Das fühl' ich von Neuem, daß sein großes Urtheil: Ich sollte des Todes sterben, noch nicht vollzogen und von viel tieferm Inhalt[8] ist, als ich jetzt noch verstehe. Du wirst meine Qual sehn! Ich fürchte ihn nicht, den Tod, zu dem ich mich Jahrhundert bereitet habe; aber fühlen werd' ich ihn!

SETH. Sage mir, ach! sage mir, mein Vater: Du willst sterben?

ADAM. Wie gern blieb' ich noch unter euch, meine Kinder!

SETH. Ach, bleib denn, mein Vater, bleib!

ADAM. Laß mich, mein Sohn! Meine Seele hängt an deiner Seele! Laß mich! Du bist mein sehr theurer Sohn! Aber, der das Todesurtheil über mich aussprach, ist anbetenswürdig!

SETH. Er ist es! Er ist es! – Aber könnte dich, mein Vater, die Liebe zu deinen Kindern nicht täuschen, daß du eine starke Erschütterung deiner männlichen Gesundheit, dieser Gesundheit, die Jahrhunderte gedauert hat, für den kommenden Tod hieltest?

ADAM. Wie kann ich dem geliebtesten meiner Söhne antworten, wenn er so redet? O, wenn es der Todesengel nur nicht zu schnell entscheidet! Wenn meines Sohnes Augen den Furchtbaren nur nicht selbst sehn! – Dort ist Abels Altar, Sohn! dort, wo er noch mit dem Blute deines Bruders bezeichnet ist! dort fass' ihn mit ringenden Händen! dort hebe sie empor! Geh! werd' erhört! Vielleicht, daß du noch einen Tag zu meinem Leben erflehst!

SETH. O Vater! – Adam, mein Vater! – Ich gehe.


Quelle:
Friedrich Gottlieb Klopstock: Sämmtliche Werke. Band 6, Leipzig 1844, S. 7-9.
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