Erster Auftritt.

[15] Adam. Seth.


ADAM der, an den Altar gelehnt, bei seinem Grabe steht. Es ist fürchterlich, Sohn! Zwar diese kühle Erde, in der auch die duftende Rose und die schadende Ceder wächst, ist es nicht! Aber hier soll ich verwesen! Ich, der unter der bildenden Hand des Allmächtigen aufsprang, den keine Sterbliche geboren hat. Und schon kündigt sich die Verwesung bei mir, so fern nicht mehr, an. Mein Auge wird dunkler! Mein Arm bebt oder starret! Ich athme die Lebensluft schwer ein. In meine innersten Nerven hat sich der Tod tief eingegraben. Ich fühl' es wohl, hier in meinem Herzen voll kalter Angst fühl' ich es, daß ich des Todes sterbe und nicht entschlummre! Mein Auge wird immer dunkler. Komm, Sohn! Eh sich ihm die Schöpfung ganz verschließt, will ich noch einmal hingehen und einen freiern Raum meines mütterlichen Landes, als dieses Grab, überschaun. Thu' unsere Hütte gegen Eden wert auf, daß ich dort hinaus sehe und lebendige Luft athme.[15]

SETH. Dort liegt Edens Gebirge.

ADAM. Ich sehe kein Gebirge mehr! Ist die Sonne mit Wolken ganz bedeckt, Sohn?

SETH. Es sind noch viel Wolken da, aber die Sonne ist nicht ganz bedeckt.

ADAM. Ist sie noch weit vom Cedernwalde? Doch sage mir's nicht, ich will dich hernach wieder fragen.

SETH. Jetzt bedecken sie die Wolken wieder. Schwarze Wolken bedecken sie.

ADAM. So seh' ich sie nicht mehr, wenn sie auch hernach wieder hervorkömmt! denn, sobald ich zu meinem Grabe zurück gegangen bin, so geh' ich nicht wieder davon weg. Komm, mein Sohn, daß ich mich an dich lehne.

SETH. Mein Vater! –

ADAM. Ihr schöne Gefilde! Ihr hohe quellvolle Berge! Ihr schattende kühle Thäler, und ihr Kinder der Berge und der Thäler! die ihr euch unter dem Fuße des Wandrers biegt oder eure Wipfel über die hohe Wolke emporhebt! ihr segenvolle Gefilde, wo ich gewandelt, wo ich Leben und Freude eingeathmet, wo ich so lange, wo ich so oft glückselig gewesen bin, wo ich alle meine Kinder, so viele Lebendige um mich gesehen habe! und du vor allen, o Eden – doch ich kann deine Wonne nicht nennen, ich müßte Thränen unter die Wonne mischen, und ich will dich durch Thränen nicht entweihen – von euch nehm' ich heut feierlich Abschied, da ich aufhöre, ein Sterblicher zu seyn! Doch ihr hört nicht auf, die Folgen des Fluchs zu tragen, der mit meiner Sterblichkeit über euch kam. – Ich will mich wegwenden, mein Sohn, denn ich kann den Strom kaum mehr von der Ebne unterscheiden. Wie wird mir seyn, wenn ich nun bald den besten meiner Söhne nicht mehr kennen werde! Vor sich. Er bebt![16] Ich muß mich ermannen! Zu Seth. Ich bin wegen Selima besorgt, daß sie zu uns komme. O, wie würde ich die Wehmuth dieser zarten Unschuld aushalten können.

SETH. Nun kann ich's dir nicht mehr verschweigen, mein Vater. Es kömmt mir vor, als wenn ich Selima schon einige Zeit ängstlich hin und her gehen höre. Sie geht schneller gegen die Thüre zu, als sie zurück geht.

ADAM. Sage mir, mein Sohn, würd' ich's ihr verbergen können? Oder fängt der Tod schon an, sich auf meinem Wangen zu verbreiten? Du wendest dich von mir?

SETH. Ach, jedes Wort aus deinem Munde geht mir durch die Seele! Du bist fürchterlich bleich, mein Vater! Ich habe Abel nicht gesehen, aber ich habe einen Jüngling gesehen, der in seiner Blüthe starb, und dessen Tod sie dir verborgen haben.

ADAM. Also treff' ich bei Abel noch meiner Kinder an? Ach, sie haben vielleicht mir und auch dir noch vieler andern Tod verborgen! Er fürchtete den Allmächtigen doch, der Jüngling?

SETH. Er hatte eine schöne Seele. Ueber ihn vergaß ich die finstre Seite des Todes lange. Denn er starb mit dem Lächeln eines Engels. Aber ich konnte seinen Anblick nicht aushalten, da er todt war. Doch Selima kömmt.

ADAM. Ach, Sunim, mein jüngster Sohn, Sunim auch noch nicht wieder gefunden!


Quelle:
Friedrich Gottlieb Klopstock: Sämmtliche Werke. Band 6, Leipzig 1844, S. 15-17.
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