Achter Auftritt.

[23] Adam. Seth.


SETH. Ich habe Kain gefunden. Er lag auf der Erde ausgestreckt. Da er mich sah, stützt' er sich auf und rief mir zu: Ach, einen Trunk aus dieser Quelle, Seth, einen Trunk, daß ich nicht sterbe! Ich schöpfte und gab ihm, und er trank. Ich sagte ihm Alles, was du mir gebotst. Er richtete sich noch mehr auf und sah mich an. Es schien, als wenn er weinen wollte; aber er konnte nicht weinen. Zuletzt sagte er mir: Es ist mein Vater! Gott müsse ihm vergeben, wie er mir vergeben hat!

ADAM. Es ist genug! –

SETH. Du bist ja so ruhig, mein Vater!

ADAM. Ich bin's!

SETH. Was in mir vorgeht, weiß ich nicht. Ist es Betäubung? Ist es höhere Kraft, die mich stärkt? Ich bin auch auf Einmal ruhig geworden.

ADAM. Lass' uns sehn, ob unsre Ruhe in unserm Herzen sey oder nur leicht darüber schwebe? Hast du die Sonne gesehn, da du zurückkamst?

SETH. Sie war mit Wolken bedeckt, doch war sie nicht ganz dunkel eingehüllt. Wenn mich mein Auge nicht trügt, so war sie – weit herunter gestiegen!

ADAM. Weit herunter. – Siehe aus, mein Sohn, ob die Wolken nicht weg sind? und ob deine Mutter nicht kömmt? Angst, Todesangst hat mich wieder ringsum eingeschlossen! Jammer, wenn ich sie wieder sehe! Und, wenn ich sie nicht wieder sehe, Jammer! – Soll ich sie rufen? oder soll ich meine Hütte fest vor ihr verschließen?[24]

SETH. Die Wolken sind nicht weg, und Eva kömmt nicht.

ADAM. Was soll ich thun? – Ich will es Dem überlassen, der der Sonne ihren Lauf und dem Todesengel Gericht gab. Es geschehe, wie er es beschlossen hat! – Mein Sohn Seth, mein erstgeborner Sohn – denn Kain hat mir geflucht, und Abel ist nicht mehr – wenn du nun auch alt und grau geworden bist, und deiner Kinder Kinder, die Enkel meiner Enkel um dich versammelt sind und dich nach mir fragen, um dich hertreten und sprechen: Du hast unsern Vater Adam sterben gesehn; was sagte unser Vater Adam, da er starb? so antworte: – mein Herz will mir brechen; aber du mußt es ihnen sagen – antworte ihnen: An dem Abend, da er sterben wollte, lehnte er sich an mich, und sprach: Ach, meine Kinder, mein Fluch ist auch euer Fluch geworden! Ich hab' ihn über euch gebracht! Der mich zum Unsterblichen geschaffen hatte, legte mir Leben und Tod vor. Ich wollte noch mehr, als unsterblich seyn, und wählte den Tod! – Welch ein Weinen schallt von den Gebirgen! Welch stumme Angst sinkt in die Thäler nieder! Der Vater hat seine Tochter, die Mutter ihren Sohn, die Kinder haben ihre Mutter, die Wittwe, die Schwester den Bruder, der Freund den Freund, der Bräutigam hat die Braut begraben! Kehrt eure Blicke nicht von meinem Grabe, wenn ihr es seht, und flucht meinen Gebeinen nicht! Erbarmet euch meiner, meine Kinder, wenn ihr mein Grab seht, oder wenn ihr an mich denkt! Erbarmet euch meiner und flucht dem Todten nicht! – Sie werden sich meiner erbarmen! Denn Gott, der Mensch werden wird, die Hoffnung, die Wonne, der Retter des menschlichen Geschlechts hat sich meiner erbarmet! Sag' ihnen: Ohne ihn, der kommen wird,[25] wär' ich den Schrecken meines Todes ganz unterlegen, wär' ich vor Gott vergangen! –


Er setzt sich bei seinem Grabe auf den Altar, wo dieser ein wenig eingesunken ist.


SETH. Sein Haupt sinkt starrend hin. Ach! – stirbt er? Adam! mein Vater! mein Vater! lebst du, mein Vater?

ADAM. Laß mich! Es ist Linderung in der Todesangst. Es ist der letzte Schlummer, den ich schlummre.

SETH. Wie schnell er eingeschlafen ist! Wie sanft er schlummert! Ich will sein heiliges Haupt zudecken – Ach, ich will deinen Gebeinen nicht fluchen, du bester Vater! – Ach, so tief, so tief ist die Sonne herunter gestiegen! – Wer kömmt dort in der Ferne? Aber unsre Mutter kömmt ja sonst niemals allein, sie kömmt immer mit ihren Kindern – Sie ist es, sie ist es doch! O mein Herz, mein belastetes Herz, was wirst dn nun noch empfinden! Aber ich will weggehen und mich verbergen, daß ich mich fasse, daß ich ein Mann sey und diese letzte Angst aushalte!

Quelle:
Friedrich Gottlieb Klopstock: Sämmtliche Werke. Band 6, Leipzig 1844, S. 23-26.
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