Zweiter Auftritt.

[27] Seth. Eva.


SEHT ehe ihn Eva sieht. Verstumme, du blutender Schmerz, verstumme! Helft mir ihren Anblick, helft mir den aushalten, ihr Engel![27]

EVA. Da kömmt mein Sohn Seth! Mein Sohn Seth, ich bin die Glückseligste unter den Müttern! Wo ist Adam? Ach, ich bin die Glückseligste unter den Müttern!

SETH. Adam schläft, meine Mutter.

EVA. Wo ist er? Wo schläft er? daß ich ihn aufwecke und ihm alle meine Freuden sage!

SEH. Er ist nur erst eingeschlummert. Lass' ihn noch meine Mutter!

EVA. Laß mich hingehen, mein Sohn. Ich muß ihn aufwecken! Ach ich Glückselige!

SETH. Nein, thu' es noch nicht, meine Mutter. Er bittet dich, daß du ihn nicht aufweckst. Er hat mir's gesagt.

EVA. Er wird in der Nähe so vieler Freuden nicht lange schlafen können. Er wird von sich selbst aufwachen. Ach, mein Sohn Seth, ich habe den Knaben, deinen jüngsten Bruder, ich habe Sunim wieder gefunden! Da er zu den Hütten seiner Brüder gehn wollte, hat er sich in einer Einöde diese lange traurige Zeit verloren und ist wunderbar erhalten, wunderbar errettet worden! Doch er soll Dieß alles seinem Vater selbst erzählen. O, wie wird ihm sein Herz schlagen, dem armen Sunim, daß er noch nicht bei seinem Vater ist! Aber ich hab' ihn zurück gehalten. Er kömmt mit den drei Müttern. Ich wollt' es Adam erst sagen, damit ihn die Freude nicht zu sehr bewegte, wenn er den Knaben auf Einmal vor sich sähe! Er kömmt mit den Müttern. Die führen drei vollblühende Knaben. Und zu allen diesen Freuden kömmt noch diese, daß ich heut meinen Heman und meine Selima in die Brautlaube führe. Das dachtet ihr nicht, meine Kinder, daß euch Sunim die hochzeitliche Fackel tragen würde!

SETH. O du geliebte Mutter![28]

EVA. Warum siehst du mich so ernst an, mein Sohn? Freuest du dich nicht mit deiner Mutter?

SETH. So viel Freuden auf Einmal machen mich ernst!

EVA. Ich sehe die Mütter von ferne kommen! Ich muß gehn und Adam aufwecken.

SETH der die Hände zusammenschlägt und gen Himmel sieht, vor sich. O du unglückselige Mutter! Zu Eva. Dort ist Adam nicht, wo du ihn suchst.

EVA. Wo ist er denn, mein Sohn, wenn er schläft?

SETH. Beim Altare.

EVA. Beim Altare schläft Adam?

SETH. Er hat sich dort ein Lager bereitet. Dort will er nun immer schlafen.


Quelle:
Friedrich Gottlieb Klopstock: Sämmtliche Werke. Band 6, Leipzig 1844, S. 27-29.
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Der Tod Adams
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