Vierte Scene.

[72] SEGEST. Erhabner Priester Wodans, ich habe geglaubt zu einem Opfer zu kommen, denn der Sieg hat sich nun zu den Römern gewandt.

BRENNO. Ist Siegmar noch unter den Jünglingen, die er den Römern entgegenführte?

SEGEST. Er ist darunter, aber es schien gleichwohl, als ob sie sich zurückziehn wollten.

BRENNO. Sie scheinen sich zurück zu ziehn – um mit mehr Tode umzukehren, meinst du doch? Warum willst du bei dem Opfer seyn, Segest? und es nicht lieber von unten her aus der Schlacht sehn?

SEGEST. Ich nahm nicht viel Antheil an der Schlacht. Das Los hat meine kühnsten Jünglinge Siegmarn zugeführt. Ich fürchte, daß es ein Todeslos gewesen ist.

BRENNO. Sind denn deiner Hunderte so wenig?

SEGEST. Das sind sie nicht, aber es sind zu viel Alte darunter.

BRENNO. Ich kenne unsre benarbten Alten. Sie lieben die Schlacht! Und du .. Heut liebst du sie nicht.

SEGEST. Die Klugheit gebot mir, mich nicht weit vom Gebüsch zu entfernen.

BRENNO. Segest! gehört dein Herz deinem Vaterlande ganz zu?

SEGEST. Vielleicht ist mehr Vaterlandsliebe darin, als du glaubst, wenn ich immer gewünscht habe, daß wir Bundsgenossen der zu mächtigen Römer seyn möchten.

BRENNO. Bundsgenossen? Einen alten Mann und Wodans Priester unternimmst du durch Worte zu täuschen? Weichheit ist in diesem Wunsch' und zu heiße Lebensliebe.[73]

SEGEST. Ja, alt bist du und denkst wie unsre jungen Fürsten!

BRENNO. Unglück über mich, wenn ich nicht wie unser ganzes Volk, Jugend und Alter, dächte!

SEGEST. Wenn du so fortfährst, so habe ich nicht viel mehr mit dir zu reden.

BRENNO. So habe denn wenig mit mir zu reden.

KEDMON. Die Götter sind mit uns. Die Römer arbeiten vergebens, vorzudringen!

BRENNO. Geh zurück.

SEGEST. Aber, o Brenno, wenn du die Römer kennen lernen wolltest, wie ich sie kenne, so würdest du die Sicherheit des Friedens dem ungewissen Kriege vorziehn.

BRENNO. Dein ganzes Volk will Freiheit, und du willst Sklaverei! Laß mich keine harte Worte gegen dich aussprechen.

SEGEST. Was wüthest du denn? Ich ließ mich ja überreden und nahm Antheil an dem Kriege.

BRENNO. Ein Fürst, und hast nicht selbst überredet! Doch, es war Keiner da, der Deß bedurfte. Warum bist du nicht in der Schlacht? und zwar jetzt, da sich der Sieg wendet, wie du glaubst? Ich seh' es, du traust keiner der Anworten, die du mir geben möchtest. Ich will meine Frage noch kürzer und dir die Antwort entweder leichter oder schwerer machen. Bist du ein Verräther, Segest?

SEGEST. Wie kannst du jetzt so heftig seyn, da du sonst so gesetzt bist?

BRENNO. Kanu ich bleiben, wer ich bin, da ich einen Fürsten der Cherusker vor mir sehe, der zur Zeit der Entscheidung nicht in der Schlacht ist, und in dessen Herzen es vielleicht von dem Entschlusse, zu den Römern überzugehen,[74] eben jetzt, jetzt hier vor mir, kocht und schäumt? Geh' über und thu' es gleich, damit wir ganz und bald wissen, was du uns bist.

SEGEST. Du nennest mich einen Verräther; betrugen sich denn etwa die andern Fürsten weniger schmeichelhaft gegen die Römer, als ich? Durst' ich sie denn nicht mit einschläfern helfen?

BRENNO. Hilf ihnen auch das Blut dieser Tyrannen vergießen, und ich will dir mit Reu gestehn, daß ich ein ungerechter Beschuldiger bin.

SEGEST. Wie kannst du Den einen Tyrannen nennen, welcher seine Freunde belohnt und, die es nicht seyn wollen, mit Weisheit und sanfter Strenge beherrscht?

BRENNO. Ist hier kein Hauptmann, durch den ich seine alten Cherusker bei den Wunden ihrer Söhne anflehen kann, daß sie den Benarbtesten unter ihnen zum Führer machen und sich in die Legionen stürzen?

SEGEST. Du bist sehr kühn, Druide.

BRENNO. Und du sehr zaghaft, Fürst, wenn du kein Verräther bist! Bleib', ich bin besänftigt.

SEGEST. Warum bist du auf Einmal besänftigt?

BRENNO. Beantworte mir meine Frage erst, so will ich dir deine auch beantworten. Wenn ich dir denn zugestehen soll, daß du deßwegen nicht in der Schlacht bist, weil du zu viele Alte unter deinen Hunderten hast, warum kamst du gleichwohl hierher, da du weißt, daß wir an einem Tage nur sehr selten zweimal opfern?

SEGEST. Konnte ich denn nicht au einem solchen Tage wie der heutige ist, das seltne Opfer vermuthen?

BRENNO. Warte, ich habe dich noch mehr zu fragen. Bist du nicht gekommen, um zu sehn, ob hier noch Hinterhalte[75] sind? Du fandest keine. So geh denn und geneuß deiner Hoffnung, bald wieder vor Varus zu kriechen! Ich verlange keine Antwort von dir! Und nun will ich dir auf deine Frage Antwort geben. Ich ward auf Einmal besänftiget, weil ich dich verachtete! Barden, dieser Verräther hat uns zu lang gehindert, den Sieg zu beschleunigen!

SEGEST im Weggehen. Spätes Blut ist auch Blut.

BRENNO. Was sagte er?

EIN BARDE. Er sprach von Blute.

BRENNO. Er hat dafür gesorgt, daß seins nicht fließen kann. Laßt ihn den fürchterlichen Klang unsrer Lieder hören. Sie helfen seiner Freunde Blut vergießen.

ZWEI BARDEN.

Sie erkühnten sich und legten sie an,

Die friedliebende Toga,

In der Deutschen Hainen,

Die friedliebende Toga!


Sie floß auf unsre Flur und wallt' empor

Vom rauheren West!

Doch wehet' er ihnen den Waffenklang

Aus der Haine Schatten nicht zu.

EIN CHOR.

Ha, stolzes Beil, wir hörten deinen Klang,

Wenn dich mit den Stäben der Lictor niederwarf!

Du fordertest, stolzes Beil,

Zu Todestönen die Lanzen auf!


Sie tönen, die Lanzen, tönen nun die Todestöne

Im Thale der ernsten Schlacht!

Schon lange blinken die Lanzen nicht mehr,

Sie bluten.
[76]

Hell, wie der bildende Bach,

Wenn er über den grünlichen Kiesel herabfällt,

Blinken die Beile des Prätors

Und bluten nicht mehr!

ZWEI CHÖRE.

Ihr mußtet sie nehmen, sie nehmen,

Der Väter Bilder!

Das Auge der Väter sieht nun trauernd nieder

Auf eure Leichen.

ZWEI ANDRE CHÖRE.

Ihr mußtet sie nehmen, sie nehmen,

Die hohen Adler!

Jetzo schweben sie langsam fort

Ueber euren Leichen.

ALLE.

Viel anders breiten den Flug um der Eiche Wipfel

Die Adler Wodans!

Ihr Auge blicket glühend herab

Auf das Blut, das im Thale raucht!


Ihr schattender Flügel schlägt, ihr durstendes Geschrei ertönt

In dem Felsenhain.

Weit hallen die Klüfte des Wiederhalls

Von des Fluges Schlag und dem Todesgeschrei'!


Horcht herauf, ihr Fürsten!

Die Adler singen den Rachegesang,

Um der Eiche Wipfel, an den Klüften des Hains

Den lauten, schrecklichen Rachegesang!


Quelle:
Friedrich Gottlieb Klopstock: Sämmtliche Werke. Band 6, Leipzig 1844, S. 72-77.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Hermanns Schlacht
Die Hermanns Schlacht
Klopstocks Sämmtliche Werke: Bd. Der Tod Adams. Hermanns Schlacht (German Edition)

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Seltsame Leiden eines Theaterdirektors

Seltsame Leiden eines Theaterdirektors

»Ein ganz vergebliches Mühen würd' es sein, wenn du, o lieber Leser, es unternehmen solltest, zu den Bildern, die einer längst vergangenen Zeit entnommen, die Originale in der neuesten nächsten Umgebung ausspähen zu wollen. Alle Harmlosigkeit, auf die vorzüglich gerechnet, würde über diesem Mühen zugrunde gehen müssen.« E. T. A. Hoffmann im Oktober 1818

88 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon