An die Leser.

[5] Ich danke Ihnen zum letztenmal für die unverdiente gütige Aufnahme des dritten Theils dieses rapsodischen Werks. Der Beyfall, womit Sie dasselbe beehrt haben, wird mich anfeuern, die geringen Talente, welche mir die Natur in diesem Fache verliehen hat, sorgfältiger auszubauen, um Ihnen einst etwas Besseres, fleißiger Bearbeitetes, zu liefern. Denn, gewiß! ich fühle die vielfachen Fehler dieses Büchelchens sehr gut, und um Ihre Nachsicht nicht länger auf die Probe zu setzen, habe ich den Roman meines Lebens mit diesem Theile beschlossen.[5]

Wenn ich aber hier von unverdientem Beyfalle des Publicums rede; so urtheile ich, offenherzig gesagt, nach dem schnellen Verkaufe der doppelten Auflagen; denn die verbindlichen Lobeserhebungen meiner Freunde schreibe ich auf die Rechnung ihrer Partheylichkeit für meine geringen Producte; Was die hohen Herrschaften und armen Excellenzen dazu gesagt haben, ist mir sehr gleichgültig, und um Rezensentenlob und Tadel bekümmere ich mich nicht. Man weiß leider! wie es damit zugeht, und wie unsicher man fahren würde, wenn man hiernach auf die Güte eines Buchs schliessen wollte.

Weil wir indessen eben von Rezensenten reden; so muß ich doch eines Richterspruchs in dem acht und vierzigsten Bande der allgemeinen deutschen Bibliothek Erwehnung thun. Jeder unpartheyische Freund der Literatur wird den Werth dieser critischen Schrift erkennen, wird eingestehen,[6] welches Licht sie in unserm Vaterlande verbreitet hat, wird endlich dem vortreflichen Herausgeber in seinem Herzen danken, daß er, dessen Verdienste überhaupt über mein Lob, so wie über den Tadel seiner Neider erhaben sind, ein so mühsames, undankbares Werk, nun so viel Jahre hindurch, mit immer gleicher Stärke geführt hat.

Allein bey der ungeheuren Schreibseligkeit unserer lieben Landesleute bedarf Herr Nicolai auch einer Menge Mitarbeiter. Es ist nicht immer möglich dazu die gelehrtesten, mit andern Dingen beschäftigten Männer anzustellen. Auch kömmt eine so schreckliche Menge unwichtiger Schriften heraus, (man rechne immer die meinige mit darunter) daß es der Muhe nicht lohnt, darüber das Urtheil großer Männer zu hören.

Um also diesen Ballast von minder wichtigen Büchern rezensieren zu lassen,[7] setzt Herr Nicolai auch junge Gelehrten und Dilettanten in Bewegung – Männerchen, welche ihm hie und da von andern verdienstvollen Leuten empfohlen werden, oder sich selbst empfehlen. Da geschieht es denn zuweilen, daß ein Knäblein, in welchem ein bisgen Genie herumläuft, stolz auf die Ehre den Richterstuhl besteigen zu dürfen, ein sehr schiefes, jugendliches Urtheil publicirt, und diesen Fall glaube ich unter andern bey Beurtheilung des ersten Theils meines Romans erlebt zu haben.

Ich kann sehr gut Zurechtweisung vertragen, theils weil das Bücherschreiben gar nicht mein Handwerk, sondern der Gegenstand meiner Erholungsstunden von ernstern Geschäften ist, theils, weil ich mich überhaupt gar nicht für ohnfehlbar halte. Wenn daher der Herr quidam sagt, daß dies Werkgen nicht Zusammenhang genug habe; so hat er vielleicht Recht,[8] obgleich sich auch dagegen manches einwenden liesse. Denn eigentlich weiß ich doch nicht, warum grade ein Buch die Lebensbeschreibung Eines Mannes enthalten soll, warum man nicht die einzelnen, in einander verwebten Begebenheiten mehrerer Leute erzählen darf, ohne daß sich eben alles auf Einen Held bezieht – Doch darüber wollen wir nicht zanken – Wenn aber der junge Herr mich lehren will, was Hofton ist; so ist das gar lustig. Von meiner zartesten Jugend an habe ich leider! fast immer an Höfen gelebt, und es kostet mich Mühe, die unglücklichen Eindrücke davon, die so leicht angenommen werden, den Ton, den jeder auch noch so elende Mensch so bald lernt, wieder loszuwerden.

Ein Magisterlein, in seinem Dachstübchen, ein zierlicher Informator, oder irgend ein andres schöngeisterisches Geschöpf dieser Art, sollte es wahrlich nicht unternehmen über den Hofton zu urtheilen, den er[9] höchstens durch die dritte Hand, aus dem Umgange mit seinem hohen Gönner, dem fürstlichen Cammerdiener kennt.

Und was die Wahrheit der Begebenheiten betrifft, die der liebe Mann bestreitet; so wünschte ich herzlich, er mögte Recht haben. Zu mancher Menschen Ehre, und zu meiner eigenen Beruhigung mögte ich ganz gern das alles so erdacht haben. Liegt es aber an der Art der Darstellung, daß, was ich erzähle, nicht ganz den Anstrich der ungeschminkten Wahrheit hat; so bedenke man, daß ich gute Leute habe schonen wollen. Deswegen habe ich manche Annecdoten durch Zusätze unkenntlich gemacht. Wäre die Welt wie sie seyn sollte; so würde diese Vorsicht überflüßig seyn. Ich wenigstens verlange nicht besser zu scheinen als ich bin; fest überzeugt, daß ein feiner Menschenkenner dennoch durch meine Maske hindurch, meine Leidenschaften, und was diese etwa hervorbringen[10] können, erblicken und nicht deswegen glauben wird, daß ich nie vom graden Wege abgewichen bin, weil ich es ihm verschweige. Ich habe immer geglaubt, daß wer sich nicht vor sich selbst schämt, sich nicht vor Andren zu schämen Ursache habe. Kinder halten die Hände vor das Gesicht, wenn man sie nackend antrifft, aber nicht Männer. Ein offenherziges Geständniß seiner Fehler ist ein grosser Schritt zur Besserung, und man haßt deswegen den Mann nicht, weil man erfährt, daß er kein Engel, oder daß er sogar vielleicht einst tief gefallen war; ja! ich müßte den Menschen sehr verachten, den ich nicht werth hielte, daß man, durch Erzählung seiner Verirrungen, Andre auf seine guten Seiten aufmerksam machte.

Aber freilich gehn auch eine Menge Dinge in der Welt vor, von denen eine gewisse Classe von Leuten gar nichts erfährt, und die dem ganz unwahrscheinlich vorkommen,[11] der bey seinem Oellämpgen, vier Treppen hoch, nur mit Speditionshandel für Journale und Musenalmanachs sich beschäftigt, in einem kleinen Circul von unbärtigen Gelehrten lebt, und, ausser seinen Universitätsfreunden und einigen Mäcenaten, nie viel von der schönen Welt gesehen hat.

Das ist also zu verzeyhen. Vielleicht hat das Männchen, voll Hofnung auf eine künftige Versorgung, durch einen vornehmen Patron, der sich einbildete das Portrait seiner jämmerlichen Excellenz oder Hochwohlgebohrnheit in meinem Roman zu finden, sich bewegen lassen, ein bisgen auf mich zu schimpfen – Es ist auch wahrlich nicht erlaubt, daß ich mit so wenig Respect von Personen rede, die ihm so grosse Leute scheinen, die aber, in der Nähe betrachtet, gar kleine Menschen sind – Einen solchen Ketzer muß man verdächtig machen –[12] Unglücklicherweise lache ich aber herzlich Seiner und seiner Schutzherrn, werde künftig gar nicht mehr auf dergleichen antworten, und bitte das Publicum um Verzeyhung, daß ich so viel über einen so uninteressanten Gegenstand geplaudert habe.

Sollte übrigens irgend ein Herr oder eine Dame eine Erklärung von mir über etwas in meinem Roman Vorkommendes verlangen, der sey so gütig sich bey dem Herrn Verleger zu melden, woselbst er meinen Nahmen erfragen kann. Ein ehrlicher Mann, der Sultans, Sultaninnen, Vezirs, von der Bürste und von der Feder, und wie das Zeug heissen mag, flieht aber nicht scheuet, und sein eigenes Gewissen noch weniger zu scheuen braucht, bekennt sich gern zu jedem Worte, das er geschrieben hat. Auch leben wir gottlob! in einem Zeitalter, und unter einem Schutze, wo man frey Wahrheit denken, reden und schreiben darf, wo die Anbethung der kleinen[13] Götzen dieser Erde ziemlich aus der Mode kömmt, und nur ein Handwerk einiger kleinen, süssen, schalen Köpfgen bleibt, die, weil sie kein andres Mittel haben, die Aufmerksamkeit auf ihre poßierlichen Personen zu ziehen, sich mit fremden Strahlen und Sternschnupfe ausstaffieren. Es war einmal eine Zeit, wo man diese Sternschnupfe für würkliche Ausflüsse grösserer Weltkörper hielt; Jetzt weiß man, daß es Dünste sind, woraus nur ein deutscher Rosencreutzer eine kräftige Essenz ziehen kann.

Quelle:
Knigge, Adolph Freiherr von: Der Roman meines Lebens, in Briefen herausgegeben. 4 Teile, Teil 4, Riga 1781–1783, S. 5-14.
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