[5] »Das mag possirlich aussehn, Herr Pastor!« sagte der Amtmann Waumann zu dem geistlichen Herrn, der, mit dem andern Zeitungsblatte in der Hand, ihm gegenüber saß. »Das mag possirlich aussehn, wenn so ein Mann in der Luft herumfährt und einen Ball unter dem Hintern hat.« »Nicht unter dem salva venia Hintern, excusiren Sie!« erwiederte der Pastor Schottenius, »der Musjö Blanchard sitzt in einem Schiffchen, welches an dem, mit künstlicher Luft gefüllten großen Ballon befestigt ist.« »Was Teufel!« fiel ihm hier der Förster Dornbusch in die Rede, »wie macht es aber der Hexenkerl, daß er damit herumkutschirt? Das kann nicht mit rechten Dingen zugehn.« Nun ließ sich Ehren Schottenius auf eine weitläufige Beschreibung der Luft-Kutschier-Maschinen ein, und bewies zuerst, daß es auf keine Weise sündlich sey, Versuche von der Art zu machen, wie wohl manche abergläubische Leute meinen mögten. Vielmehr diene die Erforschung der Natur und deren Kräfte zur Verherrlichung des Schöpfers »wie ich dies« fügte er hinzu »in meinen, nun bald im Drucke erscheinenden Predigten, zum öftern bewiesen habe.« Dies war der Refrain, welchen er, in der gewöhnlichen Unterhaltung, jedem Satze, den er vortrug, anzuknüpfen pflegte. Er hatte nämlich eine Sammlung von 57, schreibe sieben und funfzig Stück Predigten fertig liegen, die er herauszugeben längst beschlossen hatte, und es gab wenig Gegenstände unter dem Monde und wenig Wahrheiten und Vermuthungen, über welche er nicht in diesen Kanzel-Reden Gelegenheit genommen hätte, seine unmaßgebliche Meinung zu sagen. Ehren Schottenius war in der That ein aufgeklärter Geistlicher – Es giebt böse Menschen, welche behaupten, das sey eine contradictio in adjecto, oder vielmehr, ein Prediger handle sehr inconsequent, wenn er die Aufklärung befördre; allein unser Herr Pastor wiederlegte durch sein Beyspiel diese Ketzerey. Nur müssen wir uns über den richtigen Begriff des Worts Aufklärung verstehn. Er war kein Mann, der das Gegentheil von dem glaubte und lehrte, als worauf[5] er geschworen hatte und wofür er sich besolden ließ. Er nahm nicht das Lämpchen der Aufklärung in die Hand, um in dem Alterthums-Cabinette speculativer Raritäten und dogmatischer Geheimnisse aufzuräumen; sondern er verwaltete die ihm über diesen Schatz anvertrauete Aufsicht, nach Anweisung seiner Obern und so, wie die mehrsten Bibliothekare in und außer Klöstern die Aufsicht über die Sammlungen seltner Handschriften zu führen pflegen; denn er bewahrte sie vor nagenden Mäusen und vor verbleichenden Sonnenstrahlen, rührte jedoch nicht anders daran, als wenn er an hohen Festtagen einmal den Staub davon abkehren mußte, damit man doch den besuchenden Fremden zeigen könnte, daß sie noch da wären. Seine Aufklärung aber bestand darinn, daß er nicht alle andren menschlichen Kenntnisse auf den einzigen Stamm der Orthodoxie propfen wollte, sondern mit Vergnügen von neuen Entdeckungen in allen Gebiethen der Wissenschaften und Künste reden hörte, ohne sich darum zu bekümmern, ob der Schlüssel dazu schon in den mosaischen Geschichtsbüchern zu finden wäre, oder nicht. Er empfahl in seinen Predigten, neben der reinsten christlichen Moral, eine edle Wißbegierde und Empfänglichkeit für alles nützliche Gute und rief oft mit Paulus aus: »prüfet alles, und das Gute behaltet!« Diese vernünftige Stimmung hatte er dadurch erlangt, daß er einige Jahre in dem Hause eines Edelmannes in Halberstadt als Kinderlehrer zugebracht, und dort Gelegenheit gehabt hatte, mit Männern von großen Einsichten umzugehn. Freylich hatte er sich nachher auf dem Lande wieder, wie man zu sagen pflegt, ein wenig verlegen; aber immer noch unterschied er sich vortheilhaft unter seinen Amtsbrüdern weit umher. Allein die innere Überzeugung dieses Vorzugs gab ihm auch wohl zuweilen eine etwas zu hohe Meinung von sich selber, so daß er niemand lieber reden hörte, als den Pastor Schottenius; und man hätte versucht werden mögen, zu glauben, er habe nur den seinem Stande sonst vorgeworfenen geistlichen Hochmuth gegen eine Art gelehrtem Stolze vertauscht. Diese Meinung könnte uns nun bewegen, einige scharfsinnige Bemerkungen über die Quellen mancher menschlichen Tugenden zu machen. Wir würden dann zum Beyspiel finden, daß, wenn mancher große Mann durch seine Popularität und Herablassung gegen kleine Leute sich beliebt macht, er eigentlich nur deswegen sich so wenig herausnimmt, damit er die überwiegende Stimme des Volks vor sich gewinne; daß also seine Ruhmsucht sich hinter dieser angenommenen Demuth versteckt, oder daß er stolz genug ist, zu glauben, er könne sich nie etwas[6] vergeben durch Herablassung gegen Leute, denen es nicht einfallen dürfte, mit ihm verglichen zu werden; wir würden ferner finden, daß man einen bescheidnen Gelehrten nicht ärger anführen kann, als wenn man ihm nicht lebhaft genug wiederspricht, sobald er von dem geringen Werthe seiner Schriften redet; wir würden endlich finden, daß mancher Edelmann nur deswegen der Abschaffung des Adels, womit man in Frankreich den Anfang gemacht hat, das Wort redet, weil er sich bewußt zu seyn meint, seine unleugbaren innern Verdienste würden ihn noch immer über Andre erheben, wenn auch alle äußere Rücksichten von Stand und Geburth wegfielen. Allein wir, der Autor, haben uns nun einmal vorgenommen, die scharfsinnigen Bemerkungen in unserm Büchlein eben nicht zu häufen, sondern dieselben dem geehrten Leser selber zu überlassen, so sehr wir auch ratione honorarii dabey gewinnen könnten. Also fahren wir in der Erzählung dessen fort, was in des Herrn Amtmanns Waumann Hause in Biesterberg vorgieng.
Hier war es nämlich, wo die drey Herrn, welche wir redend eingeführt haben, den 6ten August 1788, Nachmittags, mit einem geselligen Pfeifchen im Munde, versammelt saßen und die eben angekommnen Zeitungsblätter durchliefen. Folgender Artickel veranlaßte das obige Gespräch:
Braunschweig, den 2ten August, 1788. Den zehnten dieses Monats wird der berühmte Luftschiffer, Herr Blanchard mit einem großen und schönen Ballon aus unsrer Stadt in die Höhe fahren. Der Zusammenfluß der Fremden, welche dieses bewundernswürdige Schauspiel herbeylockt, wird an diesem Tage außerordentlich seyn, indem schon jetzt in denen, mit Meßleuten angefüllten Gasthöfen fast kein Zimmer mehr leer ist.
Nachdem der Pastor Schottenius nun deutlich auseinandergesetzt hatte, was für eine Bewandtniß es mit solchen Luft-Fuhrwerken hätte, erschallte aus einer Ecke des Zimmers eine Stimme, welche rief: »o Papa! lassen Sie uns doch hinreisen, nach Braunschweig und das Ding mit ansehn!« Diese Stimme kam von sonst niemand, als dem jungen Herrn Valentin Waumann, dem eheleiblichen Sohne des Herrn Amtmanns her. Dieser liebenswürdige Jüngling hatte damals sein Alter gebracht auf circa drey und zwanzig Jahre, war ein breitschultriger Junggeselle, in der christlichen Religion auferzogen und nachher der edeln Landwirthschaft zugethan und gewidmet, welcher er sich auch so eifrig ergab,[7] daß sein Herr Vater die Absicht hegte, ihm ein benachbartes Vorwerk, das er mit gepachtet hatte, nebst dem Inventario an Kühen, Schweinen, Pferden, instrumentis rusticis und einer für ihn ausgesuchten Gattinn, nächstens zu übergeben. Musjö Valentin war nie über die Grenzen des Amts Biesterberg hinausgekommen, obgleich der Amtmann oft versprochen hatte, einmal, bevor der junge Herr sich in den Stand der heiligen Ehe begäbe, mit ihm eine Fahrt von einigen Tagereisen zu machen, um in Hildesheim, Braunschweig, Hannover und andern schönen Städten in der Nachbarschaft, die Welt mit ihren Merkwürdigkeiten zu sehn. Als der junge Herr nun, wie gesagt, in der Ecke saß, wo er sich beschäftigte, neue Kerbhölzer für die Dienstleute zu schnitzeln und er dort von den Zeichen und Wundern hörte, welche in Braunschweig in wenigen Tagen geschehn sollten, erinnerte er seinen Papa an das Versprechen der Reise. Die Frau Amtmanninn deren Liebling dies einzige Söhnchen war, unterstützte sein Gesuch; und so wurde dann kurz und gut beschlossen, am nächstkünftigen Sonnabende, als dem Tage vor der großen Luft-Begebenheit, die Reise nach Braunschweig, geliebt' es Gott, zu unternehmen.
»Potz Element«, rief der Förster aus, »Herr Amtmann! da reise ich mit; ja! so thue ich, und von da fahre ich auf dem Rückwege die Paar Meilen weiter über Goßlar, wo ich doch hin muß, um meine Grete aus der Penschon abzuholen. Sie verstehen mir Herr Amtmann! und darüber wird denn Müsche Valentin auch nicht böse werden, denke ich so, ha, ha! Und unser Herr Pastor muß auch mit, und muß uns seine halbe Schäse thun, denn weil ich sonst mant immer reite; so habe ich keine eigne Carrethe, und so aber, so fahren wir in zwey Kutschen; und was der Herr Pastor verzehrt, das bezahle ich, ja! das thue ich.«
Ehren Schottenius war leicht zu bereden, diesen Vorschlag anzunehmen; der Candidat Krebs aus Möllenthal hatte sich ohnehin die Erlaubniß erbeten, am nächsten Sonntage in Biesterberg predigen zu dürfen, und außer dem Vergnügen der Reise gab diese kostenfreye Lustfarth dem Pastor noch Gelegenheit, einen längst gehegten Vorsatz auszuführen, nämlich den, sich in Braunschweig nach einem Verleger für seine sieben und funfzig Predigten umzusehn. Es kam nur noch auf eine Kleinigkeit an, auf die Einwilligung der Frau Pastorinn; da indessen diese selbst gegenwärtig war und, neben der Frau Amtmanninn sitzend, eben die fünfte Tasse Caffee, auf vielfältiges Bitten, sich hatte wohlschmecken lassen; so ließ sich die Sache bald auf's Reine bringen. »Ja!was meinst Du zu dem Vorschlage, mein Schatz;« sprach der Pastor und sah nach den kleinen schwarzen Äuglein seiner Gebietherinn, ob sie zürnten, oder lächelten. »I nun; da Du mit so guter Gelegenheit umsonst hinkömmst; warum nicht?« – So war's denn richtig; alles wurde gehörig verabredet, und bald nachher trennte sich die Gesellschaft.[10]
Buchempfehlung
Pan Tadeusz erzählt die Geschichte des Dorfes Soplicowo im 1811 zwischen Russland, Preußen und Österreich geteilten Polen. Im Streit um ein Schloß verfeinden sich zwei Adelsgeschlechter und Pan Tadeusz verliebt sich in Zosia. Das Nationalepos von Pan Tadeusz ist Pflichtlektüre in Polens Schulen und gilt nach der Bibel noch heute als meistgelesenes Buch.
266 Seiten, 14.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.
432 Seiten, 19.80 Euro