Nicht ohne Mistrauen wage ich die öffentliche Bekanntmachung dieser Schrift, welche die Untersuchung einiger Gegenstände der Sittenlehre zum Zwecke hat. Der größte Theil des heutigen Publicums pflegt keinen Geschmack an ernsthaften Abhandlungen von der Art zu finden, sondern wenigstens zu verlangen, daß die moralischen Lehren in das gefällige Gewand eines Romans gehüllt, oder sonst hinter irgend einer reizenden Bekleidung versteckt, erscheinen sollen. Mehr als Eine Ursache aber hat mich diesmal abgehalten, eine andre Form, als die der ungeschmückten Darstellung, zu wählen. Es ist unmöglich, Leser, die ohne Unterlaß Neuheit in Materie und Einkleidung fordern, zu allen Zeiten zu befriedigen. Nicht jeder Stoff verträgt eine solche Bearbeitung, ohne an seiner Würde zu verliehren und in einem gewissen Alter fehlt auch oft dem Schriftsteller diejenige Geschmeidigkeit und Lebhaftigkeit, die erfordert wird, um sich nach allen Umwandlungen der Mode zu richten und von der Phantasie eine günstige Aufnahme für das, was die Vernunft hergiebt, zu gewinnen. Neue Entdeckungen in dem Gebiethe der Sittenlehre zu machen, ist wohl unsern Zeiten nicht mehr vorbehalten; daß aber manche moralische Vorschriften noch nicht zu oft sind in Erinnerung gebracht worden, beweiset leider! die schlechte Befolgung dieser Vorschriften. Eigennutz und Undank sind Laster, über die man, bey dem mit dem Luxus zugleich einreißenden Sittenverderbnisse, häufig klagen hört. Habe ich diese Gegenstände nicht so behandeln können, daß ich auf den Beyfall aller Leser rechnen darf; so läßt mich doch die gute Aufnahme meines Buchs über den Umgang mit Menschen, das in derselben Manier geschrieben ist, hoffen, nicht allgemein zu misfallen.
Bremen,
im September, 1795.
Knigge.
Ausgewählte Ausgaben von
Ueber Eigennutz und Undank
|