Der 5. Absatz.

Von der Ameissen.

[535] Diesen gegenwärtigen III. Theil oder materiam de animalibus hab ich von dem starckmüthigen Löwen /und großmächtigen Elephanten angefangen / mit den kleinwintzigen Immlein und Ameissen aber thue ich es endigen / um zuzeigen / wie daß die göttliche Weißheit und Allmacht nichtweniger in diesen klein-und schwachen Thierlein / als in den grösten und ansehnlichsten Thieren zubewundern seye.

Die Ameissen seynd / wie bekant / kleine schwartz-braune vilfüßige hurtige Thierlein: und wann man sie durch ein Microscopium, oder Vergrösserungs-Glaß besichtiget / da wird man finden / daß sie vor dem Maul ein Schnäbelein / und in dem Maul ein Zünglein haben / hintenher aber an dem Leib ein Stachel / und anstatt der Augen zwey kleine herfürgehende Anhänglein / als wie zwey Hörnlein / wann sie aber Flügelein bekommen / ist es ein Zeichen / daß sie alt seyen /und bald sterben werden.62 Sie halten sich auf in den zusammen getragnen Erd-Häuffen unter den hartzigen Bäumen / und lieben den säuerlechten Hartz-Geruch /und nehmen solchen selber an sich.

Die Nutzbarkeit der Ameissen in der Artzney ist nicht gering; dann sie erwärmen und trucknen den Leib / ihr säuerlechter Geschmack aber erquicket die Lebens-Geister. Die Ameissen-Hauffen werden samt allen darinn befindlichen Eyern und Ameissen zu den Bäderen gebraucht / auch in den Gichter- und Glieder-Lämungen sehr gut befunden. Der Ameissen Spiritus dienet wider die Wasser-Sucht / wider den Scharbock und übles Gehör etc. das Oel aber von Ameissen wird äusserlich / und sonderbar für die Augen gebraucht etc.

Die Ameissen wird auf lateinisch Formica genannt / quasi ferens micas, weilen sie im Sommer die Getrait-Körnlein einzutragen beschäfftiget ist.

Es scheint zwar die Ameiß ein sehlechtes unachtsames Thierlein zu seyn: aber nein / sie ist wegen ihren sonderbaren Eigenschafften gar wohl betrachtens- und verwunderungs-würdig. Ja GOTT selbsten durch den Mund des weisen Manns weiset uns austrücklich zu den Ameissen / die Klugheit und Emsigkeit von[535] ihnen zu erlernen: Vade O piger ad formicam, & considera vias ejus, & disce sapientiam etc.63 sagt der weise Salomon. Gehe hin du fauler zur Ameissen / sihe ihre Weeg an / und lerne Weißheit.64 Die Weißheit und Emsigkeit aber der Ameissen bestehet absonderlich in deme / daß sie im Sommer zur Erndt-Zeit befliessen seynd / die Korn-Körnlein häuffig und unermüdet in ihre Löcher oder Höhlen einzutragen / und unter der Erden zu vergraben / auf daß sie den Winter hindurch etwas zu essen und zu leben haben: ja sie seynd so witzig / daß sie das Getraidt anbeissen /damit es ihnen nicht ausschlagen oder auswachsen thue / und wann es zu groß ist / daß sie es nicht können fortbringen / da zertheilen sie es / ist es aber naß /so trucknen sie es zuvor.

Sie arbeiten zugleich und ruhen zugleich an bestimmten Zeit- und Orten. Es ist die Ameiß respectivè, das ist / nach Beschaffenheit ihres klein-wintzigen Leibleins / das allerstärckiste Thier / massen sie offt ein Last oder Bürde daher tragt / oder schleiffet /der grösser und schwerer ist als sie selber. Da heist es warhafftig:


Virtus in exiguo Corpore magna latet.


Ein grosse Krafft in kleinen Dingen /

Kan offt vil zuwegen bringen.


Aber Considera vias ejus: was haben wir von ihren Weeg- und Stegen insonderheit gutes zu lernen? gewißlich vil merckwürdiges: dann erstlich wie Aristoteles l. 9. c. 39. anmercket / so gehen die Ameissen beständig einen / und zwar allzeit den besten kürtzisten und geradisten Weeg / also / daß sie endlichen mit vilem hin- und wiederlauffen auch auf einem harten Felsen ein sichtbarliche kleine Straß / wie ein eingeschnidne Linie machen. Aus diesem hat der Mensch zu lernen / wie daß er in seinem Lebens-Lauf allzeit auf dem sichersten / geradist- und kürtzisten Weeg des Heyls fortwandlen / und von selbem niemahl abweichen solle.

Den grossen Fleiß und Emsigkeit der Ameissen belangend / so ist selbe recht verwunderlich groß / von Morgen frühe biß Abend spat im heissen Sommer lauffen sie ohnermüdet hin und her / ihr Nahrung aufzusuchen / und in ihre Behältnussen einzutragen: doch also / daß unter einer solchen Menge der Ameissen keine die ander im gerigsten hindert / sondern vilmehr Hülf leistet / wann eine Anstoß leidet / oder der Bürde unterliegen will: die todte aber thun sie begraben / Parat in æstate cibum sibi, & congregat in messe, quod comedat. Sie bereitet ihr Speiß im Sommer / und sammlet in der Ernd / daß sie zu essen habe in dem Winter.65

Sie erkennen nemlich aus Eingebung der Natur /daß es nicht allzeit Sommer bleiben werde / sondern ein kalter unfruchtbarer Winter hierauf folgen / der ihnen alle Päß mit Schnee und Eiß verlegen werde /und sie alsdann nichts zu beissen und zu nagen haben wurden / wann sie nicht jetzt in Zeiten einen guten Vorrath machen.

Daß ist abermal ein schöner Unterricht für uns Menschen: zur Sommers-Zeit / das ist / zu Lebs-Zeiten / zur Zeit der Gnaden sollen wir uns sorgfältig und unermüdet befleissen ein guten Vorrath von geistlichen Lebens-Mittlen zu machen / das ist / Verdienst und gute Werck einsammlen / auf daß wir selbige zur Winters-Zeit zu geniessen haben. Dann Veniet nox, quando nemo poterit operari: es wird die Nacht einfallen / da niemand mehr wird arbeiten / das ist /etwas guts und verdienstliches würcken können.

Es ist zwar nur ein Fabel-Gedicht / daß ein Grill bey harter Winters-Zeit zu einer Ameissen kommen seye / dieser ihre Noth geklagt / und um etwas zu essen ersucht habe / mit vermelden / daß sie gar keine Lebens-Mittel habe / und bey noch lang anhaltendem Winter nothwendig Hunger sterben müsse / wann sie ihr nicht etwas Nahrung mittheilte.66 Die Ameiß gab ihr zur Antwort / mein! wie hast du dich[536] so übel versaumt / was hast du dann den gantzen Sommer hindurch gethan / daß du dir keinen Vorrath gemacht /und dich auf den Winter mit nothwendigen Lebens-Mittel versehen hast? ach sagte die Grill / ich hab nicht auf den Winter hinaus gedacht / sondern gleichwohl mich lustig gemacht / und die annehmliche Sommers-Zeit mit singen und pfeiffen zugebracht. So / widersetzte die Ameiß / hast du im Sommer an statt des Arbeitens gesungen und gepfiffen / so magst du gleichwohl jetzund im Winter anstatt des Essens springen und dantzen / packe dich fort / ich hab nichts für dich: und also muste gleichwohl die unbehutsame Grill mit hungerigem Bauch wiederum abziehen.

Dieses ist zwar ein Gedicht / aber nur gar zu wahr ist es / daß es unter den Menschen unzahlbar vil solche unachtsame und sorglose Grillen abgebe / die den gantzen Sommer mit singen und pfeiffen / ich will sagen / das gantze Leben mit Müßiggang und Wollüsten zubringen / hernach aber zur Winters-Zeit / das ist / zur Sterbens-Zeit aller Verdiensten und guten Wercken entblöset / Noth und Mangel leiden / wie die 5. thorrechte Jungfrauen mit ihrem ewigen Schaden nur gar zu wohl erfahren haben. Darum heist es: kaufft in der Zeit / so habt ihr in der Noth. Durch dieses aber / daß die Ameissenin solcher Menge einander gar nicht verhinderen / sondern vilmehr beförderen und helffen / werden wir der Friedsamkeit / der brüderchen Lieb / und der Wercken der Barmhertzigkeit erinneret.

Ubrigens ist die Lebens-Art und das Regiment der Ameissen nicht Monarchicum, daß sie ein Oberhaupt / einen König oder Anführer haben / dem sie unterthan oder gehorsam seyen: sondern es ist regimen populare, ein freye Republique, es weiß ein jede für sich selber / was sie zu thun hat / oder zu lassen.67 Sie halten die Communität / seynd gar nicht eigennützig /keine hat was besonders / sondern ihr gantze Habschafft gehört allen insgemein / und dieses ist der Grund ihres Friedens und Ruhe-Stands. Es wohnen vil Tausend gantz eng beysammen so einig und friedsam ohne allen Streit und Zanck / daß sie niemal einen Schid-Mann oder Richter brauchen. Also daß man billich einem zanckischen und unruhigen Menschen sagen kunte: Vade ad formicam O litigiose, & disce Concordiam. Gehe zur Ameissen O du zanckischer Fretter / und lerne von ihr die Friedsamkeit.

Nicht wenig verwunderlich ist die Bau-Kunst / mit welcher diese Thierlein ihre Ameissen-Hauffen zurichten: dann obwohl sie nicht leicht jemand lassen zuschauen / wie es innerhalb bey ihnen zugehe / so haben doch die Naturalisten durch fleißiges Nachforschen so vil verkundschafftet / daß auf der einen Seiten die Männlein und auf der anderen die Weiblein ihre Quartier oder Wohnungen haben: in der Mitten aber seynd ihre Eyerlein / und das Proviant, die Speiß aufbehalten: ja es ist in dem Gebäu oder Ameissen-Haufen / der von unterschidlichen Materialien zusammen getragen ist / alles so net und ordentlich angestelt und eingericht / daß sie von grosser Kälte / Regen und Schnee bewahret seynd.68 Sie haben auch vilerley Gäng darin / die sie auch in der Finstere alle richtig passiren.

Nicht geringer ist ihre Vorsichtigkeit und Behutsamkeit / die sie anwenden / daß Proviant oder die Nahrung so sie mühesam gesammlet haben / zu erhalten / damit es ihnen nicht verderbe oder verfaule: bey schönem warmen Wetter tragen sie es heraus / und legens an die Sonnen / auf daß es fein trucken werde /und hernach tragen sie wiederum ein.69 Das gute oder schlimme Wetter aber sehen sie richtig vor.

Fernens wann sie etwann ein todten Aas oder Krot / oder Ater finden / so essen sie zwar darvon / aber wohl nicht was gifftig daran ist / und ihnen[537] schaden kunte. Wann sie aber über ein rinnendes Wässerlein setzen wollen / da hencken sie sich Puschenweiß aneinander / und wann sie darüber seynd / gehen sie wiederum auseinander. Noch mehr anderes wäre von den Ameissen zu melden und zu bewunderen: ich lasse es aber bey der Anweisung / die uns GOtt selber gegeben hat / geruhen / nemlich: Vade ad formicam, & disce sapientiam: Gehe hin zu der Ameiß / und lerne von diesem kleinwintzigen Thierlein die Weißheit / lerne den Fleiß oder Embsichkeit / lerne die Friedsamkeit / gute Haußhaltung / und Fürsichtigkeit etc.

Ja lerne auch von unterschidlichen anderen / sowohl wilden als zahmen Thieren / von welchen ich bißhero gemeldet habe / vil gute und löbliche Eigenschafften und Anmuthungen / absonderlich die Danckbarkeit gegen die Gutthäteren welche öffters auch die grimmige Löwen und Elephanten erwiesen haben: von anderen aber die Liebe / Treu und Sorgfalt gegen denen Anvertrauten und Angehörigen: wiederum von anderen die Mäßigkeit / Sanfftmuth / und Gehorsam etc. massen sich ja billich ein Mensch von Hertzen schämen soll / wann er sich in diesen oder andern guten Eigenschafften von den unvernünfftigen Thieren lasset übertreffen.[538]

Fußnoten

1 Die Schlang ist kein schlechtes Thier.


2 Gen. c. 3. v. 14.


3 Num. c. 21. v. 6. & 8.

Psal. 146. v. 10.


4 Der Schlangen vielerley Arten.


5 Wundersame Grösse der Schlangen.


6 Der Schlangen Beschaffenheit.


7 Schädliches Zungen-Gifft.


8 Psal. 56. v. 5.


9 Schlangen-König wie er bestriten werde.


10 Scytale und Cerastes betrügerisch- und gefährliche Schlangen.


11 Der Durst-Schlang / und Brand-Schlang schädliche Entzündungen.


12 Die Aspis-Schlang und der Coluber.


13 Haß und Feindschafft zwischen den Menschen und der Schlangen.


14 Gen. c. 3. v. 15.


15 Ephes. c. 4. v. 27.


16 Unterschiedliche Anmerckungen von den Schlangen.


17 Auch aus dem Bösen kan vil Gutes gezogen werden.


18 Rom. 8. v. 28.


19 Matth. c. 7. v. 14.


20 Ephes. c. 4. v. 23.


21 Des Crocodills Beschaffenheit.


22 Fernere Eigenschafft des Crocodills.


23 Der höllische Feind wird durch das Crocodill beditten.


24 Job. c. 40. v. 16.


25 Apoc. c. 12. v. 4.


26 Wie das Crocodill gefangen und übermeisteret werde.


27 Wie man das höllische Crocodill überwinden möge.


28 Wie die Schild-Krotten gestaltet und beschaffen seyen.


29 Wie sie gefangen werden.


30 Unbeständigkeit und Betrug des Glücks.


31 Die Schild-Krot lehret die Behutsamkeit.


32 Der Seiden-Würm Art und Beschaffenheit.


33 Die Seiden-Würm seynd ein Entwurff des menschlichen Lebens.


34 Geitzige seynd gleich den Seiden-Würmen.


35 Luc. c. 12. v. 21.


36 Der Seiden-Wurm ein Sinn-Bild der Auferstehung.


37 Seiden und seidene Kleider wem sie anständig seyen.


38 Exod. c. 28. v. 8.


39 Ubermäßiger Kleider-Pracht wird getadlet.


40 Das Spinnen-Geweb ist mühesam und künstlich /aber unnutzlich.


41 Es ist ein Sinnbild der menschlichen Eitelkeit.


42 Sap. c. 3. v. 11.


43 Ps. 89. v. 9.


44 Der Teufel wird mit einer Spinnen verglichen.


45 Tim. c. 16.


46 Geschicht.


47 Matt. c. 19. v. 25.


48 Wucherer und Ungerechte seynd den Spinnen gleich.


49 Zu was das Spinnenweb gut seye.


50 Bre. 14. Jan.


51 Der Immen oder Bienen Art und Beschaffenheit.


52 Eccli. c. 11. v. 3.


53 Verwunderliche Arbeit der Immen.


54 Fernere Eigenschafften der Immen mit sittlicher Application


55 Die Ordens-Geistliche mit den Immen verglichen.


56 Gutes Regiment und Policey ist von denen Immen zu erlernen.


57 2. Cor. c. 11.


58 H.A.c. 20. v. 33.


59 Psal. 127, v. 2.


60 Gute Hauß-Wirthschafft der Immen.


61 Der Immen-König ist ein Für-Bild eines guten Regenten.


62 Wie die Ameissen gestaltet / und so nutzlich seyen.


63 Prov. c. 6. v. 6.


64 Die Ameiß ist ein Lehrmeisterin des Fleißes und der Klugheit.


65 Prov. c. 6. v. 6.


66 Gedicht.

Arbeiten schaffts Brod / feyren bringt Noth.


67 Fried und Einigkeit der Ameissen.


68 Verwunderliche Bau-Kunst dieser Thierlein.


69 Vorsichtigkeit wegen der Nahrung / und Meidung der Gefahren.


Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Jean Paul

Die wunderbare Gesellschaft in der Neujahrsnacht / Des Feldpredigers Schmelzle Reise nach Flätz. Zwei Erzählungen

Die wunderbare Gesellschaft in der Neujahrsnacht / Des Feldpredigers Schmelzle Reise nach Flätz. Zwei Erzählungen

Zwei satirische Erzählungen über menschliche Schwächen.

76 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon