Der 5. Absatz.

Von dem Myrrhen- und Weyrauch-Baum.

[571] Die Myrrhen ist ein Art eines Gummi oder Hartzes /welches aus einem gewissen Baum / der in Arabien wachset / und nit über etliche Elen hoch ist / fliesset /oder heraus tropffet.40 Der Baum ist dornächtig und hart von Holtz / die Rinden ist glat / seine Blätter seynd des Oel-Baums seinigen gleich / doch rauher und spitziger: es wird die Rinden dises Baums im Jahr zweymahl beschnitten / aber der Safft oder die Myrrhen / die für sich selber fließt vor dem Schnitt /ist die bessere.

Wann die Myrrhen gut und gerecht ist / so muß sie grün / klar / durchsichtig / leicht und wohlriechend seyn: wann sie aber dunckel / schwartz und schwer ist am Gewicht / da ist sie nit vil guts. Mathiolus haltet darfür / daß die / so aus Egypten von Alexandria in Teutschland gebracht wird / selten gerecht / und nur ein anderes schlechteres Gummi seye / massen sie die Eigenschafften der rechten und guten Myrrhen nit habe.

Die gerechte Myrrhen ist gantz bitter / aber wohlriechend / sehr heylsam und kräfftig / sie wird vilfältig[571] Artzney-weiß gebraucht. Absonderlich dient sie die Wunden zu reinigen und zu heilen / und das Fleisch /die Todten-Cörper von der Verfaulung zu erhalten.

Es kan deßwegen füglich durch die Myrrhen die Pœnitenz, die Reu und Buß / und Abtödtung des eignen Willens der eignen Lieb und Begirden verstanden werden / als welche zwar bitter ist / den sinnlichen Menschen hart und saur ankommt / aber ein lieblichen Geruch von sich gibet / der biß in den Himmel aufsteiget / GOTT und seinen Englen ein grosse Freud und Wohlgefallen verursachet / nach Zeugnuß des Evangelii: Erit gaudium coram angelis DEI super uno peccatore pœnitentiam agente:41 Sie ist auch sehr kräfftig und nutzlich die tödtliche Wunden der Seelen zu heilen / und den Sünder von der Verfaulung / von dem ewigen Verderben zu erhalten. Die reumüthig und büssende Seel / sagt der Heil. Greg. M. in Cant. indem sie das Fleisch vor der Faulung der Sünden bewahrt; indem sie sich der zeitlichen Wollüsten entschlagt / thut sie den Verstorbnen von dem ewigen Verderben zu der Hoffnung des immerwährenden Lebens erhalten.

Mathiolus lib. 1. in Dioscoridem c. 68. erzehlt vil unterschidliche medicinalische Effect oder Würckungen der Myrrhen: unter anderen sagt er / sie thue erwärmen und auftrücknen / die Würm im Leib tödten /den Schröcken vertreiben / die dunckle Augen und heisere oder rauhe Stimm wieder hell machen / und das verletzte Gehör wieder herstellen etc. Dises alles præstirt und würcket auch im sittlichem Verstand die Buß und Mortification oder Abtödtung: sie erwärmet die in der Liebe gantz lau und erkaltete Hertzen: sie trücknet auf und verzehet die böse Feuchtigkeiten der unordentlichen Begird und Anmuthungen: sie tödtet den nagenden Wurm des bösen Gewissens / und vertreibet die unmäßige Forcht des göttlichen Zorns: sie schärpsset die Augen des Gemüths / das ist / den Verstand / zu erkennen die Häßlichkeit der Sünd / die Schönheit der Tugend: sie macht das Lob GOttes hell und freudig erklingen / und hingegen sein Stimm / das ist / sein Befehl und Willen begierig anhören und vollziehen.

Aber zu mercken ist / daß gleichwie derjenige Myrrhen-Safft der beste und kräfftigste ist / der für sich selbstē fließt oder abtropffnet / ehe daß man in den Myrrhen-Baum schneidet: also seynd auch diejenige Buß-Werck und Abtödtungen die beste / GOtt angenehmst- und verdienstlichste / die für sich selbsten zeitlich und freywillig vorgenommen werden / und nit aus Forcht des nächst bevorstehenden Tods / oder sonst von einem Widersacher oder Unglücks-Fall erzwungen werden; obwohlen es auch alsdann gut und löblich ist aus der Noth ein Tugend machen / und gedultg leiden / was man unvermeidentlich leiden muß.

Es kan auch das Leyden Christi durch die Myrrhen geistlicher Weiß verstanden / und der leydende Heyland ein Myrrhen-Büschelein genannt werden / nach den Worten der geistlichen Braut in den hohen Liederen: Fasciculus Myrrhæ dilectus meus mihi: Mein Geliebter ist mir ein Büschel Myrrhen: Intra ubera mea commorabitur.42 Er wird zwischen meinen Brüsten / das ist / in meinem steten mitleydigem Angedencken und Anmuthung verbleiben.

Ein Myrrhen-Büschelein / sag ich / ist das Leyden Christi / weilen es ein Versammlung lauter Bitterkeiten der allergrösten Peyn und Schmertzen ist; aber des besten Geruchs / oder höchsten ja unendlichen Verdiensts / und überaus heilsam / ein unfehlbares Mittel für alle auch tödtliche Kranckheit und Wunden der Seel.

Mit dem Weyrauch hat es schier eben ein solche Beschaffenheit / als wie mit der Myrrhen / er bestehet[572] stehet auch in einem Hartz oder Gummi / welches aus einem Arabischen Baum / Libanon genannt / Tropffen-weiß abfliesset: derselbe Baum wachset auf hohen Felsen ungepflantzet / an sandigen Orten / hat ein glatte Rinden / und bey grosser Sommer-Hitz laßt er den Safft / so man Weyrauch nennt / von sich.43 Man zerschneidet oder zerhackt die Rinden des Baums /unten herum aber auf der Erden werden Matten oder Tepich gelegt / damit der herabfallende Weyrauch sauber bleibe / der aber an dem Baum hangen bleibt /ist der beste. Aber wie wiederum Mathiolus anmercket / so kommt wenig gerechter und unverfälschter Weyrauch zu uns in Teutschland / der nit mit einem anderen Gummi oder Hartz gemischet ist. Der gute und gerechte Weyrauch hat klare / weisse / runde Körner / wann man ihn auf die Glut legt / macht er gleich eine Flamm / und gibt einen lieblichen Geruch von sich / welches andere Gummi oder hartzechtige Safft nit thun.

Der Weyrauch hat fast eben als wie die Myrrhen groß- und vilfältige medicinalische Krafft: unter andern / wie Mathiolus senensis Medicus de herbis f. 81. schreibt / thut er erwärmen / die Dunckle der Augen vertreiben / die Wunden heilen / das Blut stillen / den Schwindel benehmen / die Gedächtnuß stärcken / die Traurigkeit vertreiben / und das Hertz erfrischen / wann er auf seine gewisse Art præparirt und applicirt wird.

Eben dergleichen und noch vilmehr andere kräfftige Würckungen hat in sittlichem Verstand ein andächtiges Gebett / welches wie ein liebliches Rauch-Werck vor dem Angesicht GOttes aufsteiget: es erwärmet / ja entzündet die Hertzen mit der Liebe GOttes und des Nächsten: es erleuchtet die Augen des Gemüths / das ist / den Verstand zur Erkanntnuß der göttlichen Wahrheiten: es heilet die Wunden und Kranckheiten der Seelen / indem es genug thut für die begangene Sünden / und bewahret von den zukünfftigen: es benimbt die unmässige Traurigkeit / und macht frölich in dem HErrn: es stillet die Ungestümmigkeit der Begirden / und bringt die Gedächtnuß oder das Angedencken der ewigen Dingen.44 Zu geschweigen die allmögende Krafft wider die sichtbarlich- und unsichtbarliche Feind / wie auch die Krafft alles zu erhaltē was man von GOtt billich-mäßig verlangt. Der Weyrauch-Baum wachset gern auf den hohen Felsen /und das Gebett gehet bestens aus von der Höhe der Contemplation, oder des beschaulichen Lebens auf der Höhe der Tugend und Vollkommenheit. Aber gleichwie das Hartz dem Weyrauch zu Zeiten so gleich sihet / daß mans kaum voreinander kennen mag: Also ist ein unkräfftiges / laues und ausschweiffiges Gebett öffters dem äusserlichen Schein nach einem andächtigen kräfftigen Gebett so gleich / daß es kein Mensch / wohl aber GOtt / der in das Hertz sihet / voneinander unterscheiden kan. Ein solches nur scheinheiliges Gebett verrichten nur all diejenige /von welchen Christus im Evangelio sagt: Populus hic labiis me honorat, cor autem eorum longè est à me.45 Dises Volck ehret mich mit seinen Leffzen /sein Hertz aber ist weit von mir. Ich will sagen diejenige / welche zwar offt und vil in der Kirchen bey dem Gottesdienst sich einfinden / die Knye biegen /die Händ aufheben / entzwischen aber mit den eitlen Gedancken weiß nit wo überall umschweiffen / und nichts wenigers gedencken als was sie sagen.

Der gute Weyrauch kan gleichwohl probirt / und von dem Hartz erkennt werden / wann er in das Feur /oder auf die glüende Kohlen gelegt wird / dann da brinnt er / und rauchet geschwind mit einem lieblichen Geruch / der die böse Feuchtigkeiten vertreibt /und den bösen ungesunden Lufft reiniget: ist es[573] aber nur ein Hartz / so zerschmeltzt es / und gibt keinen Rauch von sich. Auf disen Schlag bedeutet abermahl der Weyrauch das andächtige Gebett eines gerecht-und tugendsamen Menschen / als welches von dem Feur der Liebe / des Eyfers und der Andacht entzündet ist / und einen lieblichen GOtt angenehmen Geruch von sich gibt: er vertreibt die böse Feuchtigkeit der unordentlichen Begirden / und reiniget das Hertz; das Hartz aber / das ist / das Gebett des Gleißners /oder Sünders / so bald es in das Feur der Trübsaal oder Widerwärtigkeit kommt / da zerfliesset oder vergeht es / ohne daß es gegen den Himmel aufsteigt /und einen guten Geruch von sich gebe.

Als ein gewisser grosser Fürst auf seiner Reiß bey einem sehr reichen Cavalier / von welchem er vormahls ein grosse Summa Gelds entlehnet hatte / logirte und einkehrte / da hat ihme diser neben anderer schuldigster Ehr-Beweisung auch ein sehr lieblichen und köstlichen Rauch von Spezereyen in das Zimmer gemacht / welchen jener grosse Fürst gerühmt hat / mit vermelden / daß er niemahl was lieblichers gerochen habe.46 Aber der Cavalier widersetzte / er wolle ihme noch einen andern Rauch machen / der ihm gewißlich noch vil besser geschmecken werde: er ließ ihme also ein Glut bringen / nahme die Obligation oder den Schuld-Brieff / in welchem ihme jener grosse Fürst wegen 100000 fl. eigenhändig verschriben ware / disen verbrannte er zu Aschen / und cassirte also / oder hebte die gantze Schuld auf. Ja ein solcher Rauch wurde / glaub ich wohl / einem jeden Schuldner trefflich wohl über Bisam und Balsam geschmecken: aber solches Rauchwerck findet man nit in den Apothecken und Kramladen / man verbrennt die Schuld-Brieff nit so leicht / sondern thut selbe vilmehr hinter siben Schlösser versperren / auf daß sie unversehrt erhalten werden. Doch aber können und sollen wir selbst die Schuld-Brieff / Krafft deren wir GOTT wegen unseren Sünden eine unendliche Summen zu bezahlen schuldig seynd / verbrennen und zernichten / durch das Feur der Liebe GOttes / durch das Feur der gedultig ausgestandenen Trübsal / durch das Feur eines eyfrigen / von einem demüthig- und zerknirschten Hertzen ausgehenden Gebetts / welches gleich einem lieblichen Rauchwerk biß in den Himmel / biß für den Thron GOttes aufsteiget / wie es der H. Evangelist Joannes in seiner himmlischen Offenbahrung gesehen hat. Ascendit fumus incensorum de orationibus sanctorum, de manu Angeli coram Deo. Der Rauch des angezündeten Rauchwerks von den Gebetten der Heiligen stige auf von der Hand des Engels vor GOtt. Weilen nemlich das Gebett der Gerechten GOTT vorgetragen wird.

Quelle:
Kobolt, Willibald: Die Groß- und Kleine Welt, Natürlich-Sittlich- und Politischer Weiß zum Lust und Nutzen vorgestellt [...]. Augsburg 1738, S. 571-574.
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