Dritte Szene

[424] Frau Staar – Frau Brendel – Frau Morgenroth.


FRAU STAAR. Nun! was sagen Sie, liebwerteste Frau Muhmen?

FRAU BRENDEL. Mich hat er kaum angesehn.

FRAU MORGENROTH. Mit mir hat er kein Wort gesprochen.

FRAU STAAR. Und mich hat er gar eine Madam genannt! Seht doch! Madam! ich bin mit Gott und Ehren Frau Untersteuereinnehmerin und keine Madam.

FRAU BRENDEL. Er hätte doch fragen können, ob mein Mann schon lange tot wäre? oder so etwas dergleichen.

FRAU MORGENROTH. Wenn er sich doch nur nach meinen Kindern erkundigt hätte.

FRAU STAAR. Mein Sohn hat ihm deutlich genug gesagt: Frau Untersteuereinnehmerin; und dennoch hat er mich recht unverschämterweise zur Madam, gemacht.

FRAU MORGENROTH. Was Lebensart heißt, muß er erst in Krähwinkel lernen.

FRAU BRENDEL. Ein hübscher Mann ist er.

FRAU STAAR. Ja, aber gar nicht ein bißchen steif. Tat er nicht als ob er hier zu Hause wäre?

FRAU MORGENROTH. Recht, Frau Muhme, es mangelte ihm ganz die volle Verlegenheit.

FRAU BRENDEL. Feine Wäsche trägt er.

FRAU STAAR. Aber keine Manschetten.

FRAU MORGENROTH. Das Haar mag auch wohl vor acht Tagen zum letzten Mal gepudert worden sein.

FRAU STAAR. Der Mensch kömmt mir so bekannt vor. Es ist mir immer als hätte ich ihn schon irgendwo gesehn. – Sich plötzlich besinnend, und sehr heftig erschrocken. Ah! Ah! mein Schwindel! ich falle in Ohnmacht!

FRAU BRENDEL UND FRAU MORGENROTH eilen ihr zu Hülfe. Was ists Frau Muhme?

FRAU STAAR. Da, in meiner Tasche –

FRAU BRENDEL. Das Riechfläschchen?

FRAU STAAR. Nein – nein – ein Bild – ein Bild –

FRAU BRENDEL hat unterdessen in ihrer Tasche gesucht. Nun ja, da ist eins. Ei seht doch, das ist wahrhaftig der Fremde.

FRAU STAAR. Zeigen Sie her. – So wahr ich eine arme Sünderin bin! er ists! ich bin des Todes!

FRAU BRENDEL. Wer denn?

FRAU MORGENROTH. Ich will nicht hoffen –[424]

FRAU STAAR. Ich kann nicht zu Atem kommen –

FRAU BRENDEL. Doch kein entsprungener Delinquent?

FRAU MORGENROTH. Wohl möglich. Man wird das Bild zu dem Steckbriefe gelegt haben.

FRAU STAAR. Es ist der König! es ist der König!

BEIDE schreien laut auf. Der König!

FRAU STAAR. Se. allerglorreichste Majestät!

FRAU BRENDEL. Frau Gevatterin, mir wird schlimm –


Sie sinkt auf einen andern Stuhl.


FRAU MORGENROTH ebenso. Auch mir, teuerste Frau Gevatterin. Alle drei stöhnen.

FRAU STAAR. Nein, das überleb' ich nicht – die hohe Ehre – die hohe Gnade – und die Vorhänge nicht gewaschen –

FRAU BRENDEL. Weiß es denn noch niemand in der Stadt?

FRAU STAAR. Keine Christenseele.

FRAU BRENDEL. Ah! da muß ich ja eilen! Kommen Sie, Frau Gevatterin!

FRAU MORGENROTH. Ja doch, ja! es ist mir zwar wie Blei in die Füße gesunken – aber der König – die Vaterlandsliebe – kommen Sie! kommen Sie! Beide ab.


Quelle:
August von Kotzebue: Schauspiele. Frankfurt a.M. 1972, S. 424-425.
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