Neunte Szene

[440] Bürgermeister – Frau Staar – Herr Staar – Frau Brendel – Frau Morgenroth.


FRAU BRENDEL. Da sind wir auf des Herrn Bürgermeisters Verlangen.

FRAU STAAR. Was begehrst du, mein Sohn?

HERR STAAR. Was will der Herr Bruder?

BÜRGERMEISTER. Es ist eine Familienangelegenheit zu beratschlagen;[440] da hab' ich denn die lieben Angehörigen versammeln wollen.

FRAU BRENDEL UND FRAU MORGENROTH. Ei was denn? Herr Vetter, was denn?

BÜRGERMEISTER. Etwas Nagelneues.

FRAU BRENDEL. Doch nicht wegen der neuen Frau Steuereinnehmerin, die der alten würdigen Frau Muhme beim heiligen Liebesmahl durchaus vortreten will?

FRAU STAAR. Sie soll sich nur unterstehen –

BÜRGERMEISTER. Nein, das ist es nicht.

FRAU MORGENROTH. Oder wegen Feldschers Christian, der ihren Gottlieb einen Strohkopf geschimpft hat?

BÜRGERMEISTER. Auch nicht. Die Sache ist jetzt vor einem Hochedeln Rat und kann unter zwei Jahren nicht beendigt werden.

FRAU STAAR. Nun so expliziere dich, mein Sohn.

BÜRGERMEISTER. Nehmen wir zuvor Platz, um in gehöriger Ordnung zu prozedieren. Die Frau Mutter, als Familienpräses, in der Mitte; die Stammhalter zu beiden Seiten. Die Frau Muhmen auf dem rechten und linken Flügel. So.

FRAU BRENDEL indem sie sich setzt. Ich sterbe vor Verlangen.

FRAU MORGENROTH ebenso. Ich platze vor Neubegier.

BÜRGERMEISTER räuspert sich. Es ist Ihnen allerseits wohl bewußt, welchergestalt meine älteste eheleibliche Tochter Sabina nunmehro die mannbaren Jahre erreicht hat.

FRAU STAAR. Freilich, sie soll ja heiraten.

FRAU BRENDEL. Etwas zu jung möchte sie allerdings noch sein.

FRAU MORGENROTH. Wenn sie nicht meine liebe Muhme wäre, so würde ich sagen, sie sei noch ein wenig naseweis.

HERR STAAR. Getroffen. Die Bücher aus meiner Lesebibliothek sind ihr alle nicht gut genug.

FRAU BRENDEL. Ein ziemliches Weltkind, das die neusten Moden aus der Residenz bekömmt.

FRAU MORGENROTH. Neulich spottete sie gar über unsere Manier uns zu verneigen.

FRAU BRENDEL. Unser alter Tanzmeister war zu seiner Zeit doch ein berühmter Mann.

FRAU MORGENROTH. Freilich wußte er nichts von dem neumodischen Hopsasa!

FRAU BRENDEL. Und litt auch nicht, daß man auf der Straße die Schleppe um sich wickelte wie einen nassen Lappen.

FRAU STAAR. Nun, nun, liebwerteste Frau Muhmen, der Jugend[441] muß man etwas zugute halten. Mein Sabinchen hat doch ein ehrliches Gemüt. Fahre fort, mein Sohn Niclas.

BÜRGERMEISTER. Obbesagte, meine Tochter Sabina gedenket nunmehro der Herr Bau- Berg- und Weginspektors-Substitut Sperling als sein eheliches Gemahl heimzuführen.

HERR STAAR. Ist zur Gnüge bekannt. Nur weiter.

BÜRGERMEISTER. Es findet sich aber, daß, ehe noch die sponsalia vollzogen worden, ein Mitbewerber auftritt, welcher gleichfalls christliche Absichten heget.

ALLE. Wer? wer?

BÜRGERMEISTER. Es ist solches der mir von Se. Exzellenz dem höchst zu verehrenden Herrn Minister auf das dringlichste empfohlene Herr Olmers.

FRAU STAAR. Der?

HERR STAAR. Hm!

FRAU BRENDEL. Ei!

FRAU MORGENROTH. Seht doch!

FRAU STAAR. Wirklich?

HERR STAAR. Kurios.

FRAU BRENDEL. In der Tat.

FRAU MORGENROTH. Unvermutet.

BÜRGERMEISTER. Was meinen nun die lieben Angehörigen nach reiflicher der Sache Erwägung?

FRAU STAAR. Je nun –

HERR STAAR. Ich meine –

FRAU BRENDEL. Was mich betrifft –

FRAU MORGENROTH. Ich habe so meine eigenen Gedanken.

FRAU BRENDEL. Die Heiraten nach der Residenz gedeihen nicht allzuwohl. Man hat Beispiele.

FRAU STAAR. Ganz recht Frau Muhme, die Stadtsekretärstochter.

FRAU BRENDEL. Das war ein Juchhe und eine Herrlichkeit, wie sie den Journalenschreiber heiratete.

FRAU MORGENROTH. Drei neue Kleider auf einmal wurden angeschafft.

FRAU STAAR. Aber es dauerte kein Jahr, so kam sie mit einem Würmchen zurück.

FRAU BRENDEL. Sitzt nun da und nagt am Hungertuche.

FRAU MORGENROTH. Die seidenen Fähnchen sind verkauft.

FRAU STAAR. Natürlich, wo soll es herkommen!

FRAU BRENDEL. Das Leben wird alle Tage teurer.

FRAU MORGENROTH. Jawohl, Frau Muhme, die Butter hat auf[442] dem letzten Markttage wieder einen Groschen mehr gekostet.

FRAU STAAR. Wo will das hinaus!

FRAU BRENDEL. Die Frau Rentkammerschreiberin Wittmann traktiert doch alle Tage.

FRAU MORGENROTH. Ich höre ja, sie hat gestern wieder Kuchen gebacken?

FRAU STAAR. Was Sie sagen!

FRAU BRENDEL. Ihr Mann ist doch nur Supernumerarius.

FRAU STAAR. Wo nehmen nur die Leute das Geld her?

FRAU MORGENROTH. Ja, wenn ich reden wollte –

FRAU STAAR UND FRAU BRENDEL. O reden Sie, liebe Frau Muhme, reden Sie.

BÜRGERMEISTER. Ein anders Mal, wenn ich unmaßgeblich bitten darf. Wiederum auf meine Sabina zu kommen –

HERR STAAR. Wo denkt der Herr Bruder hin? Der Mensch hat ja gar keine Familie.

FRAU BRENDEL. Man weiß ja nicht einmal, wie er geboren ist?

FRAU MORGENROTH. Ob man Hoch- oder Wohledel an ihn schreibt?

FRAU BRENDEL. Sie wissen, daß die Honoratioren unserer Stadt seit undenklichen Zeiten alle untereinander verwandt sind.

FRAU MORGENROTH. Der Familie wegen werden ja eben die Heiraten gestiftet.

HERR STAAR. Das hilft sich einander in den Hochweisen Rat.

FRAU BRENDEL. Der Herr Vetter wissen das selber am besten.

FRAU MORGENROTH. Ein Fremder ist eine Raubbiene in unserm netten Bienenkorbe.

HERR STAAR. Weiß nichts von unsern alten ehrwürdigen Gebräuchen –

FRAU BRENDEL. Macht sich lustig über unsere ehrbaren Sitten –

FRAU MORGENROTH. Vergiftet die liebe Jugend, die ohnehin täglich schlimmer wird –

FRAU STAAR. Jawohl Frau Muhme! zu unserer Zeit –

FRAU MORGENROTH. Ei jawohl! jawohl!

FRAU STAAR. Ich wundre mich nur, wie sie die Hauptsache vergessen können! Der Mensch ist ja gar nichts, nicht einmal ein Supernumerarius, oder so etwas dergleichen. – Seht doch! das gefällt mir nicht übel. Die Tochter eines Bürgermeisters auch Oberältesten! Die Enkelin eines Untersteuereinnehmers! Die Nase steht ihm hoch.[443]

BÜRGERMEISTER. Das Conclusum dieser Beratschlagung fiele also dahin aus –

FRAU STAAR. Nein, er bekömmt sie nicht.

BÜRGERMEISTER. Bene! optime! Das ist auch meine Meinung. Nur stehet annoch zu erörtern, wie man auf eine glimpfliche Weise ihm solches insinuieren möge? Denn aus schuldigem Respekt vor Sr. Exzellenz dem Herrn Minister muß solches mit besonderer Schonung traktieret werden.

FRAU STAAR. Wenn er alle Tage zu Gaste geladen wird, so kann er schon zufrieden sein.

BÜRGERMEISTER. Das wäre etwas.

FRAU BRENDEL. Der Herr Vetter können ihm ja von Rats wegen den Ehrenwein schenken.

BÜRGERMEISTER. Nein, Frau Muhme, das wäre zuviel.

FRAU MORGENROTH. Oder bei der nächsten Kindtaufe, welche in der Familie vorfällt, könnte man ihn zu Gevatter bitten.

BÜRGERMEISTER. Das läßt sich hören.

HERR STAAR. Wie wär' es – da es ihm doch hauptsächlich darauf ankömmt, sich hier in Krähwinkel zu etablieren – wenn man ihm eine andre Frau proponierte?

BÜRGERMEISTER. Da hat der Herr Bruder einen gesunden Einfall.

FRAU STAAR. Ja, aber wen?

HERR STAAR. Deine Ursula. Sie geht ins neunte Jahr. Er kann warten; kann unterdessen mit Hülfe des Ministers ein ordentlicher, honnetter Mensch werden; kann in unsern Gesellschaften Lebensart lernen; durch meine Lesebibliothek sich ausbilden, und dann wieder zufragen.

FRAU STAAR. Recht. Man bliebe dann noch immer Herr zu tun oder zu lassen.

BÜRGERMEISTER. Wenn er aber nicht so lange warten will? Denn ich kenne die jungen Herrn, wenn sie einmal das Heiraten anwandelt, so geht es über Hals und Kopf.

HERR STAAR. I nu, ich wollt' ihm auch wohl eine reife Schönheit vorschlagen.

ALLE. Wen denn?

HERR STAAR. Da, unsere Frau Muhme, die Frau Oberfloß- und Fischmeisterin.

FRAU BRENDEL verschämt. Ah! Sie spaßen.

HERR STAAR. Sie ist schon acht Monat Witwe.

FRAU BRENDEL. Bald neun Monat, Herr Vizekirchenvorsteher bald neun Monat.[444]

HERR STAAR. Sie hat Vermögen, kann ihm irgendeinen Titel kaufen, sie sind wohlfeil zu haben. Ein hübscher Mensch ist er doch nun einmal.

FRAU BRENDEL. Ja, hübsch ist er, das muß man gestehn.

HERR STAAR. So käm' er denn doch in die Familie.

FRAU STAAR. Und darum scheint es ihm besonders zu tun.

BÜRGERMEISTER. Ja wie wär' es, Frau Muhme?

FRAU BRENDEL sich hinter dem Fächer versteckend. Ach lassen Sie doch den lieben Gott walten.


Quelle:
August von Kotzebue: Schauspiele. Frankfurt a.M. 1972, S. 440-445.
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