Zehnte Szene

[461] Herr Staar im Nachthabit – Vorige.


HERR STAAR. Nun? was gibt es denn?

BÜRGERMEISTER. Schöne Dinge hat der Herr Bruder angerichtet, kostbare Dinge.

HERR STAAR. Wer? ich?

BÜRGERMEISTER. Mit Seinen verdammten Büchern!

HERR STAAR. Verdammt? sie haben alle die Zensur passiert.

BÜRGERMEISTER. Wer hat dem Herrn Bruder von Obrigkeits wegen erlaubt, einer Delinquentin die Zeit zu vertreiben?

HERR STAAR. Du lieber Gott! es will ja doch heutzutage alles lesen. Delinquenten haben so gut Langeweile als vornehme Leute. Aus Barmherzigkeit hab' ich ihr dann und wann einen Banditen oder so ein Ungetüm zugesteckt.

BÜRGERMEISTER. Vortrefflich!

HERR STAAR. Auch wohl ein neues geistliches Lied nach Jakob Böhm, da hat sie sich erbaut.

BÜRGERMEISTER. Eine herrliche Erbauung! Zum Teufel ist sie gegangen.

HERR STAAR. Was?[461]

BÜRGERMEISTER. Durch die Mauer hat sie gebrochen.

KLAUS. Meine Schinken hat sie gestohlen.

BÜRGERMEISTER. Und bedankt sich bei dem Herrn Bruder.

HERR STAAR. Bei mir?

BÜRGERMEISTER. Da! da! nehme der Herr Bruder die Laterne und lese.


Herr Staar tut es.


SPERLING am Fenster. Was murmelt? was flüstert? was brummt? was zischelt?

BÜRGERMEISTER der Sperling gewahr wird. Da haben wirs! Alle Narren in ganz Krähwinkel werden noch aufwachen.

SPERLING. Was seh' ich? was hör' ich? was vermut' ich?

BÜRGERMEISTER. Ist der Herr flink auf den Beinen, so komm' Er herunter, und setze ihr nach.

SPERLING. Ist meine Braut davongelaufen? ich komme auf den Flügeln des Sturmwinds.


Er schlägt das Fenster zu.


BÜRGERMEISTER zu Staar. Nun? wie schmeckt es?

HERR STAAR. Der Herr Bruder sieht mich voller Erstaunen –

BÜRGERMEISTER. Was hilft mich das? ich kann Sein Erstaunen nicht an den Pranger stellen.


Quelle:
August von Kotzebue: Schauspiele. Frankfurt a.M. 1972, S. 461-462.
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