Zweiter Auftritt


[46] Der Unbekannte – Franz – Peter.

Unbekannter mit verschränkten Armen und niederhängendem Kopfe. Als er Peter erblickt, bleibt er stehn und betrachtet ihn mißtrauisch.

Peter steht ihm gegenüber und sperrt das Maul auf. Endlich zieht er den Hut ab, macht eine linke Verbeugung und geht in die Hütte.


UNBEKANNTER. Wer ist der Mensch?

FRANZ. Der Sohn des Verwalters.

UNBEKANNTER. Auf dem Schlosse?

FRANZ. Ja.

UNBEKANNTER nach einer Pause. Du sprachst gestern abend –

FRANZ. Von dem armen Bauer?

UNBEKANNTER. Ganz recht.

FRANZ. Sie antworteten mir nicht.

UNBEKANNTER. Sprich weiter!

FRANZ. Er ist arm.

UNBEKANNTER. Woher weißt du das?

FRANZ. Er sagt es.

UNBEKANNTER bitter. O sie sagen und klagen viel.

FRANZ. Und betrügen viel.

UNBEKANNTER. Richtig.

FRANZ. Dieser nicht.

UNBEKANNTER. Warum nicht?

FRANZ. Das fühlt sich besser, als es sich sagt.

UNBEKANNTER. Narr!

FRANZ. Ein gefühlvoller Narr ist mehr wert, als ein eiskalter Klügler.

UNBEKANNTER. Das ist wahr.

FRANZ. Wohltaten erzeugen Dank.

UNBEKANNTER. Das ist nicht wahr.

FRANZ. Und beglücken mehr den Geber als den Empfänger.

UNBEKANNTER. Das ist wahr.

FRANZ. Sie sind ein wohltätiger Herr.

UNBEKANNTER. Ich?

FRANZ. Ich bin hundertmal Zeuge davon gewesen.

UNBEKANNTER. Ein wohltätiger Mensch ist ein Tor.

FRANZ. O gewiß nicht.

UNBEKANNTER. Sie verdienens nicht.[46]

FRANZ. Die meisten, freilich nicht.

UNBEKANNTER. Sie heucheln.

FRANZ. Sie betrügen.

UNBEKANNTER. Sie weinen ins Angesicht.

FRANZ. Und lachen hinter dem Rücken.

UNBEKANNTER bitter. Menschenbrut!

FRANZ. Es gibt Ausnahmen.

UNBEKANNTER. Wo?

FRANZ. Dieser Bauer.

UNBEKANNTER. Hat er dir sein Unglück geklagt?

FRANZ. Ja.

UNBEKANNTER. Ein wahrhaftig Unglücklicher klagt nicht. Nach einer Pause. Aber so erzähle!

FRANZ. Man nahm ihm seinen einzigen Sohn.

UNBEKANNTER. Der Fürst?

FRANZ. Ja. Zum Soldaten.

UNBEKANNTER. Pfui!

FRANZ. Der Alte darbt.

UNBEKANNTER. Schändlich!

FRANZ. Ist krank und verlassen.

UNBEKANNTER. Da kann ich nicht helfen.

FRANZ. Doch.

UNBEKANNTER. Wodurch?

FRANZ. Durch Geld. Er kauft seinen Sohn los.

UNBEKANNTER. Ich will den Alten selbst sehn.

FRANZ. Tun Sie das!

UNBEKANNTER. Aber wenn er lügt – –

FRANZ. Er lügt nicht.

UNBEKANNTER. O die Menschen sind geborne Lügner.

FRANZ. Leider.

UNBEKANNTER. Dort in der Hütte?

FRANZ. Dort in der Hütte.


Unbekannter geht in die Hütte.


Quelle:
August von Kotzebue: Schauspiele. Frankfurt a.M. 1972, S. 46-47.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Menschenhaß und Reue
Menschenhaß und Reue

Buchempfehlung

Jean Paul

Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch

Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch

Als »Komischer Anhang« 1801 seinem Roman »Titan« beigegeben, beschreibt Jean Paul die vierzehn Fahrten seines Luftschiffers Giannozzos, die er mit folgenden Worten einleitet: »Trefft ihr einen Schwarzkopf in grünem Mantel einmal auf der Erde, und zwar so, daß er den Hals gebrochen: so tragt ihn in eure Kirchenbücher unter dem Namen Giannozzo ein; und gebt dieses Luft-Schiffs-Journal von ihm unter dem Titel ›Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten‹ heraus.«

72 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon