Siebenter Auftritt

[72] EULALIA allein. Was ists, das mich so fürchterlich erschüttert hat? Mein Herz blutet; meine Tränen fließen. Schon war es mir gelungen, Herr über meinen Kummer zu scheinen, und mindestens jene frohe Laune zu erheucheln, die einst mir so eigen war. Ach! da schlägt der Anblick dieses Kindes mich tief, tief zu Boden. – Als die Gräfin den Namen Wilhelm nannte – ach! sie wußte nicht, daß sie mir einen glühenden Dolch durchs Herz stieß. – Ich habe auch einen Wilhelm! Er muß jetzt so groß sein, als dieser, wenn er noch lebt – ja, wenn er noch lebt! Wer weiß, ob er und meine kleine Amalia nicht schon lange vor Gottes Richterstuhl Wehe! über mich schreien! – Warum quälst du mich, marternde Phantasie? warum kreischest du mir ihr hülfloses Wimmern in die Ohren? warum malst du mir die armen Kleinen, kämpfend gegen Masern- und Blatterngift, lechzend mit dürrer Zunge nach einem Trunk, den die Hand eines Mietlings ihnen darreicht – vielleicht auch versagt. – Denn ach! Sie sind ja verlassen von ihrer unnatürlichen Mutter. – Bitterlich weinend. O ich bin ein elendes, verworfenes Geschöpf! Und daß eben heute dies ganze schreckliche Gefühl in mir rege werden mußte! eben heute, da mein Gesicht einer Larve so bedürftig war!


Quelle:
August von Kotzebue: Schauspiele. Frankfurt a.M. 1972, S. 72.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Menschenhaß und Reue
Menschenhaß und Reue