Scena III.

[90] Christophorus, Christianus, Nestor, Vincentius.


CHRISTOPHORUS.

Ich danke dir in ewigkeit,

mein Got, das ich erlebt die zeit,

do dein göttliches wort mit macht

ist wider an den tag gebracht,

wird auch geleret hell und klar,

in unsern kirchen offenbar,

und uns der rechte weg geweist;

dafür seistu, mein Got, gepreist,

von nu an bis in ewigkeit.

hilf, reicher Got, wie fern und weit

han wir gesucht dein göttlichs wort,

jedoch gefunden an keinem ort;

han dich gesucht, da du nicht bist,

welchs nur gemacht der antichrist,

mit seim beschornen ganzen haufen

uns heißen gen S. Jacob laufen,

do man uns schlecht ein mess gelesen,

darvon wir seind so klug gewesen,

als weren wir dahin nie kommen.

das gelt han sie von uns genommen

und nichts gesagt von deinem wort,

welchs wir allein gesuchet dort

zu unser armen selen heil.

nur butter brief sie hatten feil[90]

und machten aus deim wort ein kram,

betrogen uns damit zusam,

welchs nun ist kommen an den tag,

und wir errett von solcher plag,

auch haben deines worts verstant.

dein will uns worden ist bekant.

ach reicher Got im höchsten tron,

durch Jesum Christ, dein lieben son,

erbarme dich der armen leut,

die leben in der finstern zeit

und wißen nur von menschen ler,

verleugnen dich, mein Got und herr.

gib inen deines worts verstant,

und mach in Jesum Christ bekant,

das sie nicht ewig mügen sterben

und in der finsternis verderben.

erleucht sie durch den heiligen geist,

das sie dich eren allermeist,

verlaßen menschen gsetz und sein

erlöset von der hellen pein.

nim von uns nicht dein göttlichs wort,

welchs uns weist zu der himelpfort.

bleib bei uns biß am letzten end

und deinen geist stets zu uns send,

der uns lert halten dein gebot,

und wir entfliehn dem ewign tot.

komt her, ir liebsten kinder mein,

und singet mir ein liedelein.

bitt Got, das er laß scheinen fort

bei uns sein heilig göttlichs wort.


Zwei kinder singen.


Erhalt uns, herr, bei deinem wort

und steur des bapsts und türken mort etc.

VINCENTIUS.

Hört, was ist das für ein gesang?

der muß nicht sein gewesen lang.[91]

NESTOR.

Get bald herzu und laßt uns fragn;

die kinder werdens uns ja sagn.

ir kinderlein, was singt ir do?

CHRISTIANUS.

Wir habens beid gelernt also

von unserm liebsten vater singen.

NESTOR.

Huit noch ein mal! wie wirds doch klingen?


Die kinder singen.


Erhalt uns, herr, bei deinem wort

und steur des bapsts und türken mort etc.

VINCENTIUS.

Ir kinderlein, das ist nicht recht;

so singen all des teufels knecht.

CHRISTIANUS.

Singt dann der teufel auch von Got?

NESTOR.

Ein schelm, ders euch geheißen hat!

CHRISTIANUS.

Kein schelm, der vater hats befoln,

das wir hie solches singen soln.

VINCENTIUS.

Wie heißt dein vater, wer ist er?

CHRISTIANUS.

Da komt er wider gangen her.

NESTOR.

Hört doch ein wenig, lieber man,

wir han euch was zu zeigen an.[92]

CHRISTOPHORUS.

Ja, was ir wolt, möcht ir wol sagn.

NESTOR.

Wir beide müßen euch hie fragn,

woher habt ir doch immermer

bekommen dise ketzrisch ler?

verfüret dadurch euer kind,

die sonsten gar gottsfürchtig sind,

dadurch sie lebendig auf erden

des teufels genzlich eigen werden.

CHRISTOPHORUS.

Die ler, so ich hab angenommen,

ist von Got aus dem himmel kommen.

VINCENTIUS.

Der teufel hat sie selbst erdacht,

und neulich her auf erden bracht.

stet ab, ir werdet sonst verdammt.

CHRISTOPHORUS.

Ir seid verfüret allesamt.

packt euch von mir! ich weiß selbst wol,

was ich tun oder laßen sol.

NESTOR.

Das lied, so euer kinder sungen,

ist nur vom teufel her entsprungen.

VINCENTIUS.

Welchen hat dann der bapst ermordt?

CHRISTOPHORUS.

Er hat verdrucket Gottes wort,

darzu verfelscht, und menschen tand

geleret; ist das nicht ein schand,

dadurch vil tausent selen sein

gefüret in die hell hinein?[93]

we euch, des bapsts rottgesellen!

der teufel wird euch in der hellen

dafur auch geben euern lon.

VINCENTIUS.

Der bapst hat unrecht nie getan,

kans auch nicht tun, ob er schon wolt.

darumb ir eben wißen solt:

die sünd wird euch bei euerm lebn

auf erden nimmermer vergebn.

dann sie ist in den heilign geist,

das ir den bapst hie liegen heißt,

und er sitzet an Christi stat.

CHRISTOPHORUS.

Wo stets geschribn, das Christus hat

befolen im und seinem hauf,

die ablaß briefe gebn zu kauf

und weisen uns auf menschen tant,

dadurch bescheißen volk und lant?

den ir hie sucht, den findt ir nicht.

Got hat mich schon wol unterricht,

was er von uns wil han getan.

ir kinder, singet wider an:

erhalt uns herr bei deinem wort, etc.


Quelle:
Schauspiele aus dem sechzehnten Jahrhundert. Leipzig 1868, S. 90-94.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Der Waldsteig

Der Waldsteig

Der neurotische Tiberius Kneigt, ein Freund des Erzählers, begegnet auf einem Waldspaziergang einem Mädchen mit einem Korb voller Erdbeeren, die sie ihm nicht verkaufen will, ihm aber »einen ganz kleinen Teil derselben« schenkt. Die idyllische Liebesgeschichte schildert die Gesundung eines an Zwangsvorstellungen leidenden »Narren«, als dessen sexuelle Hemmungen sich lösen.

52 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon