Erster Auftritt.

[40] Herr Wahrmund, Fräulein Wilhelmine.


WAHRMUND. Finden sie also gar kein Vergnügen in der Gesellschaft der beyden Herren Geistlichen, schönstes Fräulein?

WILHELMINE. In so fern es eine gewisse Art von Zufriedenheit erweckt, wenn man die Thorheiten der Menschen belacht, so muß einem freylich zwar der Umgang mit den abgeschmacktesten Personen zum Vergnügen dienen. Aber sie selbst werden mir zugestehen, daß sich bey dieser Lust, welche man[40] sich auf die Kosten solcher Thoren mach, allezeit ein billiges Misvergnügen mit einschleicht. Man murret unter der heimlichen Freude über den Schandfleck, welchen ein Muffel und ein Tempelstolz der ganzen menschlichen Natur anhängen. Der Stolz, der scheinheilige Betrug, und die schändliche Unwissenheit an ihnen, als an Lehrern des unbändigen Poebels, sind um so viel strafbarer, weil sie mehr Unglück in dem Staate anrichten, als die groben Verbrechen, welche mit dem Tode der Verbrecher ausgerottet werden.

WAHRMUND. Bald nöthigen sie mich, den Ausspruch zu thun, daß sie für ein Frauenzimmer viel zu scharfsinnig sind. Doch, nein, ich bin anietzt niht nur vollkommen mit mir selbst zufrieden, da ich sehe, daß meine wenige Lehrstunden sie so frey und richtig denken gelehrt, sondern ich kan es auch der Natur nicht genug verdanken, daß sie nicht alle Schönheiten nur für die Augen erschaffen hat. Es ist sonst ein allgemeiner Fehler der Schönen, daß sie ziemlich scharfsichtig die kleinsten Versehen der Mannspersonen einsehen, beurtheilen, und belachen, die grösten Fehler der Geistlichen aber mit einem ehrerbietigen Stillschweigen übergehen. Als ich mich neulich meiner Angelegenheiten wegen in B*** aufhalten muste, hatte ich eines Tages die Ehre in einer vornehmen Gesellschaft zu seyn. Nach[41] vielen aufgeweckten Discursen kamen wir auch auf einen Geistlichen zu reden, welcher uns Gelegenheit gab, über seinen fruchtlosen Eyfer für das äusserliche des Gottesdienstes zu lachen. Ein gewisses Frauenzimmer, welche in der Gesellschaft am hellesten gelacht hatte, wurde ganz schamroth un bestürzt, da sie hernachmals erfuhr, daß wir über ihren Beichtvater gelacht hatten. Nein, Schönste, sie urtheilen beherzter und beständiger, als jene.

WILHELMINE. Das müssen ja blöde Augen seyn, welche sich durch die schwarze Farbe der Geistlichen so leicht verblenden lassen. Ich werde das Laster bey einem Prediger niemals Tugend nennen, weil ihm von einem andern vielleicht ebenso lasterhaften die Hände unter einer andächtigen Verstellung auf das Haupt geleget worden, oder weil man ihn darum daß er 2 Jahr in Halle gewesen ist, mit uralten, hergebrachten Gebräuchen zum Priester eingesegnet hat. Ich fälle das Urtheil, daß diese Ceremonien so wenig im Stande sind, aus einem Taugenichts einen tugendhaften und gelehrten Mann zu machen, als die alberne Possen jenes lustigen Wirthes dem Don Quixott die wahre Tapferkeit eingeflößt haben.

WAHRMUND. Ich sage nicht zu viel, schönstes Fräulein, wenn ich behaupte, daß sie den Vorzug erlangt haben, von den geheimesten Vorurtheilen befreyet zu seyn. Hätte[42] mich nicht das Verlangen nach ihrer mir so werthen Gesellschaft, und das Vergnügen an des Herrn von Rosenecks weisen Gesprächen, so sehr gereitzet, so wäre ich dem leztern nimmermehr hieher gefolget. Denn ich muß es gestehen, kein Umgang ist verdrießlicher, als den man mit den Herren Geistlichen pfleget. Es ist nichts anders, als ob man mit Leuten aus einer andern Welt umgehet, wenn man mit den meisten unter ihnen zu thun hat. Sie haben sich weder auf eine gründliche, noch auf eine zierliche Gelehrsamkeit geleget, sie wissen weiter nichts, als wie sie die Postillen auf eine gelehrte Weise bestehlen sollen, und glauben nichts lieber, als daß die Concordanz einem Prediger ein unentbehrliches Buch ist. Mit gesitteten Leuten sind sie auch niemals umgangen, und sich um die grosse Welt bekümmern halten sie für eine Todsünde. Wollen sie eine Gesellschaft unterhalten, so führen sie die theologische Reden an, über welche dieser oder jene Bürger sanft und selig eingeschlafen, oder wann sie gelehrt heissen wollen, so loben sie die beste syrische oder arabische Grammatick. Ueberdem sind sie in ihrer Begierde andere zu bekehren so unverschämt, daß sie an Leute, mit welchen sie zum erstenmal sprechen, ihre erste Frage seyn lassen, ob sie, nach ihrer Art zu reden, schon zum geistlichen Durchbruche[43] gekommen. Die Dorfpriester sind mir aber vor allen andern unerträglich; wenn sie einem die Trauungen, Kindtaufen, und Begräbnisse aus ihrer Gemeine herrechnen, wenn sie vom wohlfeilsten Pflugschaar, und vom besten Pflugochsen, anfangen, so kan man ihnen vor Lachen, und aus Unwissenheit, nicht ein Wort auf ihr langweiliges Geschwätz antworten.

WILHELMINE. Ich habe ihre Lebensart seit der Zeit, daß ich wieder bey meiner Mama bin, genau kennen, und mich geduldig in dieselbe schicken gelernet. Sie statten fleissige Besuche bey uns ab, weil sie von meiner Mama allemal mit einem fetten Tische und mit einem alten Glase Wein gemästet werden. Ich habe sie aus diesem Umgange so genau kennen gelernet, daß ich ihnen einen neuen Begrif von ihnen geben kan. Sie sind gewisse der Welt schädliche Geschöpfe, welche, weil sie nichts anders gelernt haben, die Freyheit bekommen, sich beym Schneider einen Mantel, und bey der Näherin einen Kragen, zu bestellen, damit sie unter dieser Maske den Staat um ihren Unterhalt betrügen können.

WAHRMUND. So werden sie auch mit ihrer Frau Mama nicht ganz zufrieden seyn, daß sie dem Herrn Tempelstolz das Jawort auf den Antrag um ihre Person gegeben hat?[44]

WILHELMINE. Erinnern sie mich nicht an mein betrübtes Schicksal. Es ist traurig genug, daß mich der Himmel von einer Mutter gebohren werden lassen, welche in dem mir so schädlichen Irrthume stehet, daß ich nicht ehrlich und nicht glücklich leben könne, wo sie mich nicht an einen Geistlichen verheyrathe. Wenn doch einmahl derjenige, welcher mein Herz schon so lange besitzet, ohne von mir es erfahren zu haben, sein Eigentum erkennte und es mit mir zu beschützen trachtete, so sollte es ihm Herr Tempelstolz mit allen Geistlichen, und mit aller ihrer Politick, nicht entwenden können.

WAHRMUND für sich. Himmel! liebt sie einen andern? die Schamhaftigkeit, welche ich ihr als meiner Schülerin schuldig bin, verbindet mich zum Schweigen. Zu Wilhelmine. Darf ich nicht wissen, schönstes Fräulein, wer so glücklich ist, ihr Herz, ein so vollkommenes Eigenthum, zu besitzen?

WILHELMINE. Ach! warum fragen sie? ohngeachtet sie an meinem Geheimnisse grossen Theil nehmen würden, so verbietet mir dennoch die Ehrfurcht für sie als meinen Lehrer, ihnen den Nahmen meines Geliebten zu nennen.

WAHRMUND harte Gesetze, welche uns zwey zum Stillschweigen verbinden! sie die Ehrfurcht, mich die Schamhaftigkeit. Wenn[45] ich den Nahmen dieses beglückten Sterblichen nicht wissen darf, so überlassen sie mir wenigstens die Beobachtung seiner Pflichten. Erlauben sie mir, schönste Wilhelmine, daß ich mich ihres Herzens wieder Tempelstolzen so sehr annehme, als ob ich mein Eigenthum beschützen wollte.

WILHELMINE nein, er liebt mich nicht, wie wollte er sich sonst so gelassen hierzu erbieten. Wie großmüthig doch die Philosophen sind! so können sie einem Unbekannten seine Geliebte beständig machen, ohne an die Eyfersucht zu gedenken?

WAHRMUND für sich. Einen Unbekannten? ich habe mein Schicksal errathen. Nein, hier muß der Philosoph aufhören, ich will als ein beleidigter Liebhaber mit ihr reden. Doch nein, ich muß schweigen, sie ist ein Fräulein. Zu Wilhelmine. Ich bin freylich in diesem Stücke vielleicht zu mitleidig; aber ich bedaure einmal den glückseligen Unbekannten, daß er einen so kostbaren Schatz besitzet, ohne davon zu wissen, vielleicht darf er gar nicht darauf denken; vielleicht hält ihn sein Stand zurück; denn wie darf sich ein Bürgerlicher auf das Herz einer Fräulein Staat machen?

WILHELMINE. Woher wissen sie denn, daß mein Geliebter bürgerlichen Standes ist? vielleicht kennen sie ihn gar zu gut. Hätt ich mich aber nach der allgemeinen weiblichen Unbedachtsamkeit bereits verrathen,[46] so ist es ein Zeichen, daß ich sie allein würdig schätze, in mein Herz zu sehen. Wie kan sich aber mein Geliebter seines bürgerlichen Standes vor mir schämen? er kennt mein Herz bereits so gut, als ich es selbst kenne, er weiß, daß ich die Tugenden des Adels auch an einem Bürger ehre, und daß er alles Liebenswürdige hat, was ich liebenswürdig zu nennen pflege. Die Liebe ist nicht leicht ohne Argwohn, und ich muthmasse, daß er meine Liebe zwar merke, aber sie seiner Gegenliebe gar nicht würdig achte.

WAHRMUND. Ich weiß selbst nicht, was ich für einen geheimen Trieb fühle, für den beglückten Liebhaber das Wort zu führen. Vielleicht liebt er sie auf das allerzärtlichste, denn dazu verbinden ihn die Vollkommenheiten seiner Geliebten. Vielleicht schreibt ihm aber ein wichtiger Umstand das harte Gesetz vor: nur geheim zu lieben. Ich will es ihnen in einem Exempel deutliche machen. Erlauben sie mir, allerschönstes Fräulein, daß ich mich an seiner Stelle setze. Gesetzt, sie liebten mich – – ach! wenn sie mich liebten, – – so würde ich sie auf alle Weise wieder lieben, wie nur ein zärtlicher Liebhaber liebet, dessen Liebe auf den schönsten, auf den würdigsten Vollkommenheiten beruhet – – – ja von dieser Art ist meine Liebe – – würden sie vor Mitleiden wohl mit mir zürnen können,[47] wenn ich meine Liebe verschweigen müste? Würden sie nicht bey sich selbst sagen, er ist mein Lehrer gewesen, eine gewisse Art der Schamhaftigkeit verbindet ihn, behutsam mit mir, als seiner Schülerin, zu verfahren? Gestehen sie nicht, Schönste, daß sie eben den Augenblick, da sie mit mir zürnen wollten, Mitleiden mit mir haben müsten?

WILHELMINE. Ja ich habe Mitleiden mit ihnen.

WAHRMUND. Erklären sie sich deutliche, liebenswürdigste Wilhelmine; auf den Knien werde ich die schönen Worte erwarten, daß sie mich lieben. – – Habe ich fehlen, und ihnen meine Liebe entdecken müssen, so folgen sie mir in diesem angenehmen, und uns beyden nothwendigen Fehler. Setzen sie die Ehrfurcht an die Seite, und lassen sie ihr Herz reden.

WILHELMINE. Ja ich liebe sie.

WAHRMUND. Diese Worte machen mich lebendig. Ich bewundre dabey unser Schicksal, welches uns an einem so verdrießlichen Orte auf unsre ganze Lebenszeit glücklich und vergnügt macht. Doch, ich bedenke vor Freuden nicht, wie viel wir noch an unserm Glücke zu arbeiten haben. Das erste soll seyn, daß ich alle Kräfte anwenden will, ihrer Frau Mama die Vorurtheile für Tempelstolzen zu benehmen. – –

WILHELMINE. O! diese sind gar zu tief bey ihr eingewurzelt; sie würden daher in dieser[48] Bemühung nicht allzuglücklich seyn. Sie gelten im Gegentheil bey meinem Oheim, dem Herrn von Roseneck, viel, suchen sie vielmehr durch seine Vermittlung unsre Liebe glücklich zu machen.

WAHRMUND. Von dieser Seite wird mir es meinetwegen schwerer werden. Es scheint, als wollte sich Fräulein, Amalia, ihres Herrn Oheims Tochter, meine Liebe versprechen, ja es scheint, als ob er selbst die Leidenschaft seiner Tochter billige; sie wissen aber, wie sehr ich ihm verbunden bin, und daß ich durch seinen Vorspruch meinen Undank vergrössern würde. Er ist war so wenig eigennützig, als meine Liebe erkänntlich gewesen ist, darum dürfte ich vielleicht – – –

WILHELMINE. Dort kömmt er eben mit meiner Mama gegangen.


Quelle:
Johann Christian Krüger: Die Geistlichen auf dem Lande. Frankfurt und Leipzig 1743, S. 40-49.
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