7.

Schriftlich von Herrn Assessor Ernst.

[113] Auf den Camernschen und Stöllenschen Bergen wohnte Frau Harke oder Frau Harfe, eine gewaltige Riesin. Es war ihr nur ein Schritt von diesen zu jenen Bergen; dort hat sie auch eine Höhle gehabt, die ist jetzt verschüttet. In dieser Höhle hat sie wilde Schweine, Hirsche, Rehe, Hasen und andere Thiere gehabt, die hat sie des Nachts hinein und Morgens hinaus auf die Weide getrieben und dann hat sie sich große Bäume aus der Erde gerissen und sich damit gegen die Schürze geschlagen, um sie zusammenzuhalten. Man hat oft gehört, wie sie gelockt hat: »Pickel, Pickel!« und wenn Jäger gekommen sind, ist sie mit den sThieren bei ihnen vorbeigehuscht wie eine wilde Jagd. Niemand konnte Nachts Wild schießen, weil sie es immer in ihrer Höhle hatte, und nur bei Tage konnten somit die Jäger auf die Jagd gehn.[113]

Einst hatte einer einen Hasen mit einem Klumpfuß geschoßen, da hat man gehört, wie sie am Abend beim Eintreiben ihres Wildes rief: »Se sind nich all, se sind nich all, klûtfôt fehlt noch.«

Einmal stand Frau Harfe mit einem Bein auf den Camernschen, mit dem andern auf den Rhinowschen Bergen und wollte mit einem gewaltigen Stein nach dem Havelberger Dom werfen, er entglitt aber ihren Händen und fiel vor ihr auf die Erde, doch blieben die Spuren der fünf Finger deutlich darauf zu sehen. Vor Wuth pißte sie auf den Stein und ihr Waßer ließ lange Streifen auf demselben zurück; der Stein hat noch lange dagelegen, jetzt aber ist er verschwunden. Andre sagen, sie habe nach dem Dom zu Stendal werfen wollen, der Stein sei aber auf dem Arneburger Galgenberge niedergefallen und habe noch lange dort gelegen. Wieder andre sagen, der Stein sei ihr seitwärts nach den Stöllenschen Bergen hin entglitten, wo er noch liege und auch Friedrich dem Großen gezeigt worden sei. Wo der Stein ursprünglich gelegen hat, da ist der Frau Harfengrund, dabei der Frau Harfenberg und die Frau Harfengrube, ein sehr tiefer langer Abgrund. Auch wächst dort der Frau Harfenbart, auch Flunkerbart oder Straußgras genannt.

Quelle:
Adalbert Kuhn / W. Schwartz: Norddeutsche Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg, Pommern, der Mark, Sachsen, Thüringen, Braunschweig, Hannover, Oldenburg und Westfalen. Leipzig 1848, S. 113-114.
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