2. Das Leben am seidenen Faden.

Mündlich aus Swinemünde.

[321] Mal gruben zwei Mädchen in einem Garten, als die eine von ihnen plötzlich eine dicke unförmliche Kröte herausgrub; vor der entsetzte sie sich so, daß sie ihr sogleich mit ihrem Spaten den Kopf abstoßen wollte; die andre aber war ein mitleidiges Geschöpf und sagte »laß doch das arme Thier leben, das hat unser Herrgott auch geschaffen, und der ihm das Leben verliehen hat, soll es auch allein wieder nehmen.« Die erste aber war ein gottloses Ding und verlachte sie, aber die andre ließ nicht nach mit Zureden und Bitten, bis jene endlich nachgab und das Thier leben ließ. Nicht lange danach kam eines Tages ein kleines Männchen zu den beiden Mädchen in die Küche, das trug einen braunen Rock mit großen Thalerknöpfen und einen Hut mit einer breiten Krämpe; als es sich freundlich verneigt hatte, gab[321] es ihnen einen Gevatterbrief, in welchem sie zum Kindtaufen bei den Unterirdischen eingeladen wurden; es sagte ihnen zugleich, hier unter dem Feuerheerde sei eine Oeffnung, die würde sich am nächsten Sonntage aufthun, da sollten sie nur hinuntersteigen, und als es das gesagt hatte, war es verschwunden. Nun wußten die beiden Mädchen nicht, sollten sie gehn oder bleiben, und gingen darauf zum Pastor, um sich von dem Rath zu erbitten. Dieser fand durchaus nichts Bedenkliches dabei, ermahnte sie im Gegentheil, einen solchen Liebesdienst niemandem zu verweigern. Da kam denn der Sonntag heran und als es zwölf Uhr schlug, öffnete sich eine Thür unter dem Feuerheerd, die Mädchen traten in ihrem Sonntagsputz mit schönen weißen Schürzen hinein und wurden sogleich von zwei braunen Männchen empfangen, mit welchen sie eine prächtige breite Treppe hinabstiegen. Endlich gelangten sie in einen großen, hell erleuchteten Saal, in welchem die Unterirdischen bereits alle versammelt waren, und als sie alle begrüßt hatten, trat der Pastor hervor und vollzog an dem neugebornen Kinde, das kaum eine Hand groß war, die Taufe. Darauf ging man zum Mahle und alle nahmen an der reich besetzten Tafel Platz, den beiden Mädchen aber wurde ihr Platz neben der Wöchnerin angewiesen, und da ließen sie sich's denn auch recht wohl schmecken. Als sie aber eine Weile so geseßen hatten, schlug die Gottlose so von ungefähr die Augen auf und bemerkte zu ihrem nicht geringen Schrecken, daß grade über ihrem Haupte ein Mühlstein an einem seidenen Faden hing. Da sprang sie auf und wollte davoneilen, die Wöchnerin hieß sie aber wieder niedersitzen und sagte: »Fürchte dich nicht, dir soll kein Leid geschehen! Siehe als du neulich im Garten mich mit dem Spaten tödten wolltest, da hing mein Leben an einem seidenen Faden, und so hängt auch das deine jetzt daran; aber da[322] du mir das Leben gelaßen, so soll dir auch jetzt ein gleiches geschehen und der Mühlstein soll dich nicht tödten!« So beruhigte sie das Mädchen und sie aßen und tranken fröhlich weiter und eine Schüßel nach der andern kam auf den Tisch. Endlich ganz zuletzt, brachte noch ein kleines Männchen eine verdeckte Schüßel, welche es vor die Mädchen hinsetzte, und einer der Unterirdischen forderte sie auf, den Deckel aufzuheben. Da fürchteten sie sich erst ein wenig und wollten es nicht gerne thun, aber die Unterirdischen redeten ihnen zu und versicherten, daß sie keinen Schaden davon haben würden, und da nahmen sie denn den Deckel auf, und sahen, daß die Schüßel ganz mit Läusen angefüllt war. Als sie vor Ekel das Gesicht abwandten, sagte einer der Unterirdischen: »Seht, das sind die Läuse, die ihr Donnerstags aus euren Haaren herabkämmt, die fallen uns hier unten alle in die Schüßeln. Darum möchten wir euch freundlich bitten, thut das fürderhin nicht, und wirkt, daß auch die übrigen Menschen es nicht thun!« Das versprachen die Mädchen und bald danach erhob man sich von der Tafel. Als sie nun von den Unterirdischen Abschied nahmen, dankte ihnen die Wöchnerin und ihr Mann für die Liebe, die sie ihnen erwiesen hätten, und die Frau gab noch jedem der Mädchen ein Paar Hände voll Hobelspäne, sagend, die sollten sie sorgsam bewahren. Darauf gingen sie und die beiden braunen Männchen brachten sie auf derselben prächtigen Treppe wieder hinauf, auf der sie hinabgestiegen waren. Als sie aber oben waren in der Küche, warf die Gottlose sogleich die empfangenen Hobelspäne in's Feuer, indem sie sagte: »wenn mir die Unterirdischen kein beßeres Andenken von ihrem Kindtaufen geben wollten, so hätten's sie's nur immerhin behalten sollen!« Unten hatte sie das aber nicht sagen mögen, weil sie sich noch immer vor dem Mühlstein gefürchtet[323] hatte; die andre aber sagte: »sie haben uns doch gesagt, wir sollen sie bewahren, und wer weiß, wozu es gut ist;« ging zu ihrer Lade und schüttete dort die Hobelspäne aus. Als beide darauf ihren Kindtaufsputz ablegten, fiel auf einmal der Gottlosen etwas klingend zur Erde, da sahe sie zu und fand ein blankes Goldstück. »Das sind die Hobelspäne,« sagte die Mitleidige, ging schnell zu ihrer Lade und fand einen großen Schatz; da war sie auf einmal aus einer armen Magd ein reiches Mädchen geworden und hat gefreit und ihr lebenlang keine Noth gehabt, die Gottlose aber hat es nie zu etwas rechtem bringen können.

Quelle:
Adalbert Kuhn / W. Schwartz: Norddeutsche Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg, Pommern, der Mark, Sachsen, Thüringen, Braunschweig, Hannover, Oldenburg und Westfalen. Leipzig 1848, S. 321-324.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Norddeutsche Sagen, Märchen und Gebräuche
Norddeutsche Sagen, Märchen und Gebräuche: aus Meklenburg, Pommern, der Mark, Sachsen, Thüringen, Braunschweig, Hannover, Oldenburg und Westfalen.
Norddeutsche Sagen, Märchen und Gebräuche
Norddeutsche Sagen, Märchen und Gebräuche