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[148] Ehemals schlug man zu Daßel den Osterball, und zwar geschah dies auf dem Ziegenanger; jetzt wird von Burschen und Mägden nur noch der Schäferreigen getanzt. Ein Bursch und ein Mädchen treten in den Kreis, die übrigen umtanzen dieselben, indem sie das folgende Lied singen:


Wo treff' ich einen Schäfer an,

Wo soll ich ihn denn finden?

Allwo ich mein Vergnügen hab',

Und mich mit ihm verbinde.


Wo soll ich ihn denn suchen?

Unter einem weißen Busch.

Unter einer Linden

Werd' ich ihn wol finden.


O Schäfersmann bleib stille stahn!

Ich gedacht', ich sollt' ihn kennen,

Warum will er denn von mir gahn

Und sich von mir abtrennen?
[148]

Doch ich will mich zu ihm wenden,

Faßen die schneeweißen Hände

Unter dieses gleichen (!)

Einen Kuß zu reichen. (Sie küßen sich.)


So tanzet nun und folget mir

Dem Schäfer aller Freuden,

Weil wir hier beisammen sein

Und unsere Schäfchen weiden.


Jetzt in den vergnügten Stunden

Hab' ich meinen Schatz gefunden,

Klatschet in die Hände,

Saget nun ein Ende!


Man erzählt, daß auf dem Ziegenanger, wo der Reigen ehemals4 getanzt wurde, einst ein Schäfer von einem Herrn von Ellensen erschlagen sei. Da nun die Schäfer damals noch Hauptpersonen in der Gemeinde waren, seien die Mädchen und Frauen von Daßel so erzürnt gewesen, daß sie dem Herrn von Ellensen aufgelauert und ihn erschlagen hätten; nach andern soll er nur mit einer Tracht Schläge und wohl zerkratzt nach Hause heimgeschickt worden sein. Zum Andenken hat man auf dem Ziegenanger ein Kreuz errichtet, welches noch das Schäferkreuz heißt, und den Schäferreigen eingerichtet; auch ist wohl zu bemerken, daß derselbe in der ganzen Umgegend um dieselbe Zeit getanzt wird.


Vgl. das Ballspiel, Norddeutsche Gebräuche, Nr. 16 mit der Anm.; ein Schäferlauf am St.-Annentage in Urach, Meier, Gebräuche, Nr. 139; am Bartholomäustage, ebendas., Nr. 143, 145; vgl. auch Norddeutsche Gebräuche, Nr. 68; am Michaelistage, ebendas., Nr. 172.

Quelle:
Adalbert Kuhn: Sagen, Gebräuche und Märchen aus Westfalen und einigen andern, besonders den angrenzenden Gegenden Norddeutschlands 1–2. Band 2, Leipzig 1859, S. 148-149.
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