14

[244] Selten wohl hat ein deutscher Hausknecht dem Fürsten Reichserbpostmeister in so kurzer Zeit soviel zu verdienen gegeben als der junge Schwabe, der in der ›Sonne‹ zu Sachsenhausen eingetreten war. In Ebersbach fragte man sich noch, ob er jetzt wohl sein Reiseziel erreicht haben werde, da kam schon ein Brief von ihm »An die ehrbare und bescheidene Jungfer Christina Müllerin, in beliebigen Händen zu eröffnen, in Ebersbach, cito, cito, franco.« Der Brief lautet so: »Gott zum Gruß und Jesum zum Beistand. Hertzgeliebter Schatz, ich muß Dich mit einem betrübten Hertzen beschreiben, und diese Zeilen werden Dich, wie ich in meinem Hertzen glaub, betrübet antreffen. So will ich Dein Hertz erleichtern und Dich mit ernsthaftem Hertzen berichten: Liebe Christina, glaube Du, daß mein Hertz nicht wanckhen wird und Dir noch jederzeit treu verbleiben, so lang noch Gott eine Ader in meinem Leib laßt. Wann Du andere Buben entlaßst und Dich ihrer entläßst, und ich erfahre, daß Du Dich so[244] haltst, wie es einem braven Menschen gehört, so soll mir keine Andere mehr an meine Seite kommen. Ich wollt Dir gern was schicken, ich forcht, Du möchtest in dem Eberspächer Markt zu dem Tanz gehen und Dich mit Einem einlassen; so will ich jetzt Dir noch nichts schicken, sondern auf Deine Aufführung warten. Wann Du Dich hältst, so will ich Deiner nicht vergessen und Dich auch nicht lassen. Solltest Du Dir Dein Leben verkürzen, wie Du gesagt hast, so schreibe ich mich aus der Schuld und gib es Dir und den Deinigen über. Was ich gesagt hab, das halt ich Dir und laß Dir Deinen Willen. Ich wünsche, daß Gott der Allmächtige Dein Hertz regiere, und führe Dich zu allem Guten, und gebe Dir Glück und Segen, und regiere Dein Hertz, daß es nicht fallen noch irr gehen kann. Das wünsch ich Dir aus getreuem Hertzen. Noch Eins: Ich verlange eine Nachricht von Dir. Ich will Dir die Überschrift sagen, wie Du an mich schreiben sollst. Weiter kann ich Dir nicht schreiben, als Du sollst mir nicht übel nehmen, weil ich so s–mäßig geschrieben hab. Die Nacht ist mir auf den Halß gekommen, und vor Betrübnus hats nicht sein können. Du und die Deinige seynd tausendmal gegrüßt und in den Schutz Gottes befohlen, und bleibe Dir getreu bis in den Tod. Joh. Fr. Schwan. – Dieser Brief zukomme an Joh. Friedrich Schwahn, Hausknecht bei der ›Sonne‹ in Sachsenhausen bei Frankfort a.M.«

Noch ehe Christine sich zu dem großen Unternehmen entschließen konnte, einen Brief von der Fils nach dem Main zu schreiben, der doch auch die Postgebühr[245] durch seine Länge rechtfertigen mußte, oder ehe sie vielleicht den Unmut ganz überwunden hatte, den ihr ohne Zweifel das fortgesetzte Mißtrauen in ihre Treue verursachte, schickte er einen zweiten Brief, zwar kürzer als der erste, aber dafür um so zärtlicher und leidenschaftlicher, auch obendrein von einem Geschenke begleitet, aus welchem sie bei einigem Nachdenken schließen konnte, daß er über ihre »Aufführung« an dem gefürchteten Markttage, den erst die nächste Woche brachte, schwerlich so unruhig war, als er sich gestellt hatte, um, freilich nicht eben unter einem feingewählten Vorwande, den bekannten Zustand seiner Barschaft zu verbergen, den er in seinem ersten Briefe einzugestehen sich geschämt hatte und der sich seitdem in etwas gebessert haben mochte.

In diesem zweiten Briefe schrieb er: »Gottes Segen zum Gruß und Jesum zum Beistand. Hertzgeliebter Schatz, hertzgeliebte Christina, ich kann es nicht unterlassen, vor lauter Sorgen und Bekümmernus und Gedanken Dich zu beschreiben, und ich kann Tag und Nacht nicht ruhen, bis ich eine Antwort von Dir hab. Bitte Dich um Gotteswillen, schreibe Du mir, wie es Dir geht und wie es mit Dir sey. Ich kann Tag und Nacht nicht ruhen vor lauter Seuftzen und Sorgen. Wann Du mir etwas zu melden hast, so schreib mir es gleich, ich will Dich nicht verlassen so lang ich leb. Übrigens schick ich Dir hier einen kleinen Gruß; wann Du mir schreiben tust, so will ich Dir ein Mehreres schicken. Ich hab nicht Zeit, Dir mein gantzes, mein gantzes Hertz[246] zu schreiben; ich will Dich berichten, wann Du mir wieder schreibst. Brich den Brief an Deinen Vater auf. Du bist tausendmal grüßt. Ich verbleibe Dein getreuer Schatz bis in den Tod.«

Der eingelegte Brief an den alten Hirschbauer, den sie lesen sollte, erhielt Versicherungen seiner unwandelbaren Gesinnung, wie folgt: »An meinen Vetter Müller. Ich kann nicht unterlassen, an Euch zu schreiben, weilen Er so viele Müh an sich genommen und unterschiedliche Sachen wegen Seiner Tochter Namens Christina mit mir geredt hat: so will ich Ihm redlich schreiben wie ichs gegen ihr meine, daß ich keine Andre mehr begehre als sie, und ich sobald ihrer nicht vergessen kann. Wann es seyn kann, wie Er mit mir geredt hat, daß Er mit dem H. Pfarrer und mit dem Chirurgus reden könnt, daß man uns zahmen (zusammen) lassen will, so bin ich gleich resolvirt, sie zu nehmen, denn so leicht kann ich Sie nicht lassen, und Sie mich nicht. Ich lasse auch mein Leben, eh ich sie entlassen oder verlassen will: so bitte ich Ihn nur herzlich, die Christina ein halb Jahr bei ihm zu behalten.«

Auch der Invalide erhielt einen Brief »in beliebigen Händen zu eröffnen«, welcher seine Zweifel wegen des Verhältnisses zu Christinen nicht sowohl widerlegen als einfach in folgenden Schlußworten niederschlagen sollte: »– So lang ich einen Blutstropfen im Leib hab, so will ich mich ihrer annehmen. Hiemit will ich beschließen und schließe Euch in die Vorsorg Gottes.«[247]

Der Hirschbauer sagte nach dem Empfang seines Briefes zu der glücklichen Christine: »Er hat doch ein beständiges Gemüt. Ich wollt's dir ja gern gönnen, daß ihr zusammen kämet, aber ich besorg mich eben, wenn er seinem Vater merken läßt, wie es ihm ums Herz ist, so läßt ihn der nicht zurück. Ich will jetzt doch einmal ins Pfarrhaus gehen, oder vielleicht noch lieber vorher zum Chirurgus. Ich weiß nicht, wo ich zuerst hin soll.« – Christine wußte es auch nicht. Ihre Gedanken waren allein darauf gerichtet, wie sie es angreifen solle, um einen recht großen Brief zu schreiben, mit dem ihr Schatz zufrieden sein müßte, obgleich sie ihn darin für seinen unmanierlichen Argwohn recht heruntermachen wollte. Sie dachte aber, sie wolle erst den Markttag vorübergehen lassen, um ihm dann schreiben zu können, daß sie nicht zum Tanze gegangen, sondern den ganzen Tag und Abend daheim geblieben sei.

Der Invalide schüttelte zu Friedrichs Beteuerungen hartnäckig den Kopf und sagte beim Wein zu der Bäckersfrau: »Wenn so ein junger Mensch verliebt ist, so meint er, es gebe in der Welt nichts als seinen Gegenstand, und wenn er einmal zehn Jahr und drüber verheiratet ist, so kann er oft gar nicht begreifen, warum er grad die genommen hat, da's doch soviel andere gegeben hätte.«

»Beständigkeit ist doch eine Tugend«, erwiderte die Bäckerin. »Aber arg ist mir's einmal, daß der erste Funke zu dem Brand in meinem Haus hat angehen müssen. Wenn ich das vorausgesehen hätt, so hätt ich mich lieber ohne mein Dötle beholfen, und dann[248] wär sie ihm vielleicht in Jahr und Tag nicht vors Aug kommen. Mir schwant's, das Ding geht zu keinem guten End.«

»Wider das Schicksal ist kein Kraut gewachsen«, versetzte der Invalide. »Das ist im Leben wie in der Schlacht: an einem fährt's vorüber, und den andern trifft's.«

Es kamen noch weitere Briefe von Friedrich, die sich alle um einen und denselben Angelpunkt drehten. Von seinem eigenen Ergehen schrieb er kein Wort, auch nicht von dem, was er im fremden Lande zu sehen und zu hören bekam. Dagegen zeigten seine Briefe die Merkwürdigkeit, daß er fortwährend mit der Jahreszahl auf gespanntem Fuße stand. Seine Hand schien einen unbezwinglichen Widerwillen gegen dieselbe zu empfinden. In allen diesen Briefen hatte er immer zuerst die falsche Zahl hingeschrieben, dann ausgestrichen und die richtige darübergesetzt; in einem war sogar das falsche Datum unberichtigt stehengeblieben. Allerdings ein unerheblicher Umstand für ein Mädchen, das kein andres Datum kannte als »diesen Tag«, an welchem sie ihrem Liebsten schrieb.[249]

Quelle:
Hermann Kurz: Der Sonnenwirt. Kirchheim / Teck 1980, S. 244-250.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Sonnenwirt
Der Sonnenwirt. Eine Schwäbische Volksgeschichte

Buchempfehlung

Wieland, Christoph Martin

Geschichte der Abderiten

Geschichte der Abderiten

Der satirische Roman von Christoph Martin Wieland erscheint 1774 in Fortsetzung in der Zeitschrift »Der Teutsche Merkur«. Wielands Spott zielt auf die kleinbürgerliche Einfalt seiner Zeit. Den Text habe er in einer Stunde des Unmuts geschrieben »wie ich von meinem Mansardenfenster herab die ganze Welt voll Koth und Unrath erblickte und mich an ihr zu rächen entschloß.«

270 Seiten, 9.60 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon