18. Szene.

[118] Vorige. Zinnow.


ZINNOW eleganter junger Mann, kein Geck, durch die Mitte. Meine Damen, ich habe die Ehre, Sie zu begrüßen, und bitte um Entschuldigung, wenn ich noch so spät komme.

ALBERTINE. O, bitte, Herr Baron, Sie können nie zu spät kommen.

ZINNOW Albertine lächelnd die Hand küssend. Immer die liebenswürdige Hausfrau – charmant!

ALBERTINE. Erlauben Sie, Herr Baron, daß ich Ihnen den Herrn Fabrikant Körner vorstelle – ein Freund meines Mannes.

ZINNOW sich leicht verneigend. Sehr erfreut, mein Herr.

KÖRNER. Gleichfalls.

ZINNOW begrüßt Rosa.

ALBERTINE. Aber wollen die Herrschaften nicht Platz nehmen? Bitte! Es wird übrigens schon schummrig – soll ich Licht bringen lassen?

ZINNOW. Nicht doch, es plaudert sich im Schummerstündchen gerade am angenehmsten. Oder noch besser, Fräulein Rosa präludiert ein wenig auf dem Klavier.

ALBERTINE. Ach ja, Röschen, präludiere uns was – vielleicht die neuesten Variationen aus dem Karneval von Venedig. Soll ich die Lichter anstecken?

ROSA. Es ist nicht nötig, Mutter.

ALBERTINE zu Körner. Sie spielt nämlich alles auswendig, das Kind – selbst die schwierigsten Stücke.


Albertine, Frau Klinkert, Emilie und Körner haben sich um den Tisch rechts gesetzt; Rosa setzt sich ans Klavier, Zinnow stellt sich neben sie.
[118]

EMILIE. Ist es nicht unrecht, Herr Körner, daß Rosa allein das Klavierspielen gelernt hat, und ich gar nichts, was zur feinen Erziehung gehört?

KÖRNER. Wer eine so gute Hausfrau und Gattin geworden ist, wie Sie, liebe Emilie, hat gewiß keine Ursache sich über seine Erziehung zu beklagen.

ALBERTINE, Still, Emilie, still – Röschen spielt schon.

ROSA präludiert in halbleisen Akkorden und spricht dabei mit dem neben ihr stehenden Baron. Warum sehen Sie mich so an, Herr von Zinnow?

ZINNOW. Ich möchte wissen, was Ihr Köpfchen für Gedanken brütet, wenn Ihre Finger dem Instrument so schwärmerisch süße Töne entlocken.

ROSA. Die Musik ist die Sprache des Herzens.

ZINNOW. So ist es Ihr Herz, welches so melodisch schwärmt?

ROSA. Schwärmt – phantasiert – träumt – ja träumt, von einem Glück, das ihm die Wirklichkeit wohl nie bieten wird.

ZINNOW. Das Glück des Mädchenherzens ist die Liebe, und was könnte Ihnen, der Mutter Natur eine so reiche Mitgift gegeben hat, die Liebe versagen?

ROSA. Alles, wenn sie von mir verlangt, daß ich mein Gefühl im Schatten der Heimlichkeit verkümmern lasse. Meine Liebe verlangt Sonne – ich will es vor den Augen der Welt nicht bergen müssen, daß ich liebe.

ZINNOW. Und dennoch singen alle Dichter von dem Glück heimlicher Liebe.

ROSA. So schelten Sie mich eine prosaische Natur, denn ich habe kein Verständnis für dieses Glück.

ZINNOW. Wenn aber Umstände, Verhältnisse gebieten –

ROSA. O, nicht doch! Mein Stolz würde mir niemals erlauben, mein Herz ohne meine Hand zu verschenken.

ZINNOW. Sie haben unrecht, liebe Rosa, sich eine prosaische Natur zu nennen – Sie sind eine praktische Natur. Er entfernt sich vom Klavier und tritt zu der Gruppe rechts.

ROSA. Er geht – er würdigt mich keiner Antwort – o, es ist klar, er treibt sein Spiel mit mir – es ist empörend! Bricht mit einem kräftigen Akkord das Spiel ab.

ALBERTINE. Ist das Stück aus, Röschen?

ROSA. Ja.

ALBERTINE. Was war es doch?[119]

ROSA. Nichts – eine Phantasie!

ANNA tritt mit einer brennenden Lampe ein und setzt dieselbe auf den Tisch rechts.

ALBERTINE. Ach, da bringt Anna die Lampe – hierher. Die Herrschaften essen doch ein Butterbrötchen? Natürlich. Vielleicht im Garten? Der Abend ist so schön. Anna, Sie können in der Laube decken – haben Sie gehört, Anna?

ANNA an der Mitteltür. Ja doch. Ab.

ALBERTINE geht zu Rosa, leise. Nun, wie weit bist du mit dem Baron?

ROSA. Es ist aus.

ALBERTINE erstaunt. Wie?

ROSA. Er macht sich lustig über mich.

ALBERTINE. Ach warum nicht gar? Verlaß dich darauf, er liebt dich.

ROSA Albertine an der Hand zu sich ziehend. Glaubst du, ich sei gut genug, mich von Jedem lieben zu lassen?

ALBERTINE. Aber, Kind, hast du denn an dem Baron auch was auszusetzen?

ROSA. Mehr als das – ich verachte ihn.

ALBERTINE. Willst du denn mit aller Gewalt eine alte Jungfer werden?

ROSA erregt. Ich bitte dich, laß mich.

ALBERTINE. Nun ja, ja. Beiseite. Das ist doch aber ärgerlich – ich habe der Klinkert schon durch die Blume zu verstehen gegeben, daß wir wahrscheinlich Verlobung feiern würden, nun ist's wieder nichts. Geht wieder nach dem Tisch rechts.

KÖRNER welcher inzwischen in den Büchern, welche auf dem Mitteltisch liegen, geblättert hat, tritt zu Rosa – halbleise. Liebe Rosa.

ROSA aus ihren Gedanken auffahrend. Ach! – Herr Körner?

KÖRNER. Haben Sie mir nichts zu sagen?

ROSA verlegen. Ich –

KÖRNER. Ich stehe vor Ihnen wie ein Schulknabe, der ein Unrecht begangen und ängstlich der Strafe wartet, die ihm werden soll. Machen Sie's kurz, wenn Sie den Toren auslachen wollen. Oder – was noch schlimmer wäre – müßte der Schulknabe sich selber anklagen, hätte Ihr Vater Ihnen mein Geständnis nicht überbracht?

ROSA. Er hat mir alles gesagt.

KÖRNER. Aber die Antwort ist er mir schuldig geblieben. Soll ich daraus einen Schluß ziehen?[120]

ROSA. Und welchen?

KÖRNER. Daß Ihr Vater mir auswich, weil Niemand gern der Ueberbringer einer Hiobspost ist?

ROSA. Sie machen mich gar zu eitel, Herr Körner, wenn Sie mich glauben machen wollen, daß eine Ablehnung Ihres Antrages für Sie eine Hiobspost sei.

KÖRNER. Ich will Ihrer Eitelkeit nicht schmeicheln – fürchten Sie nicht, die meine zu verletzen. Ein rasches Nein, wenn es sein muß, und ich gehe. Mein Anblick soll Sie nie mehr an das Peinliche dieser Stunde erinnern.

ROSA. Das Peinliche dieser Stunde für mich liegt nur darin, daß Sie mich überreden wollen, ich brächte ein Opfer, wenn –

KÖRNER. O, warum halten Sie ein? Fürchten Sie schon zu viel gesagt zu haben? Liebste Rosa, wecken Sie keine Hoffnungen in mir, wenn Sie schließlich doch mit einem Nein endigen wollen; versuchen Sie nicht, mir ein Bündel Trostgründe mit auf den Weg zu geben – ich würde sie doch als eine lästige Bürde abschütteln, wenn Sie mich gehen heißen. Aber ich bleibe nur, wenn Sie mir alles sein wollen – Alles! Mein angebetetes Weib!

ROSA beiseite. Welch' eine andere Sprache! Ist es nicht Torheit, hier noch zu überlegen?

ZINNOW welcher mit Emilie geplaudert hat, lachend. Hahaha! Wahrhaftig? Nein, das ist zu komisch, hahaha!

ROSA beiseite. Ich bin entschlossen. Zu Körner. Herr Körner, ich habe nur den einen Wunsch, daß ich imstande sei, Ihnen das Glück zu gewähren, welches Sie an meiner Seite zu finden hoffen. Hier ist meine Hand.

KÖRNER Rosas Hand mit Küssen bedeckend, laut. Rosa, meine geliebte Rosa!


Die Gesellschaft an dem Tische rechts wird aufmerksam und erhebt sich.


ALBERTINE erstaunt. Was?

ZINNOW. Herr Körner scheint mit Fräulein Rosa in sehr lebhafter Unterhaltung begriffen zu sein.

FRAU KLINKERT. Ach, liebe Hasemann, Sie sprachen doch von einer Verlobung, die heute stattfinden sollte?

EMILIE. Wer soll sich verloben?

FRAU KLINKERT. Nun, da wir drei schon unser Teil haben, bliebe doch Niemand übrig als –

ROSA. Als ich. Meine Mutter hat Ihnen die Wahrheit gesagt. Auf Körner deutend. Hier steht mein Verlobter![121]

KÖRNER. Die Einwilligung Ihres Mannes habe ich, Frau Hasemann, werden Sie Nein sagen?

ALBERTINE zu Rosa. Aber Kind?


Man hört hinter der Szene das Mendelssohn'sche Quartett: »Wer hat dich, du schöner Wald« etc.


FRAU KLINKERT. Was ist das?

ZINNOW. Vielleicht gar ein Ständchen für die glücklichen Verlobten.

EMILIE am Fenster rechts. Das sind unsere Männer.

FRAU KLINKERT ebenfalls ans Fenster eilend. Wahrhaftig. Der meine auch – und der Provisor! Und wie sie aussehen? Emanuel! Er hat richtig bairisch Bier getrunken. Eilt an die Tür.

EMILIE. Ach Gott, sie scheinen alle einen Spitz zu haben.


Quelle:
Adolph L’Arronge: Gesamt-Ausgabe der dramatischen Werke. Berlin 1908, S. 118-122.
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