1. Szene.

[138] Rosa allein.


ROSA in Gesellschaftstoilette, eine Coiffüre von Rosen im Haar und ein Rosenbouquet an der Brust, hält einen geöffneten Brief in der Hand. Es ist empörend! Den Brief lesend. »Verehrte Frau! Also Sie lieben Ihren Mann? Sie drohen mir sogar, Schutz bei ihm suchen zu wollen, wenn ich meine Bemühungen fortsetze? Ganz einfach: ich glaube Ihnen nicht und halte Ihre pikante Drohung für die letzte Notwehr eines zitternden Herzens, welches – so hoffe ich – schon lange mir gehört. Mut, teure Rosa! Jeder Mensch hat das Recht, glücklich zu sein. Wir sehen uns heute Abend in der Soiree, Sie werden, wie immer, ohne Ihren Mann erscheinen, und ich will Ihre Lieblingsblumen, die Veilchen an Ihrer Brust, für ein Zeichen nehmen, daß Sie endlich aufhören wollen, in glühender Sehnsucht verschmachten zu lassen Ihren treuesten Verehrer Julius von Zinnow.« – O, welche Unverschämtheit! Wirft den Brief auf den Schreibtisch. Wer hat ihm das Recht gegeben, solche Sprache zu führen? Ich will meinem Manne alles sagen! – Nein, ich kann nicht. – »Jeder Mensch hat das Recht, glücklich zu sein!« – O ja, wenn er dieses Recht nicht verscherzt hat, wie ich. Aber was soll ich tun? Ich will ihm noch einmal schreiben – zum letzten Male – und diesmal soll er mir glauben. Sie setzt sich an den Schreibtisch. Während die Feder über das Papier fliegt, ertönt in dem ersten Zimmer links der Gesang einer weibliche Stimme.
[138]

Schlaf, Kindchen, schlaf.

Noch trübt kein Traum, kein Kummer

Des jungen Herzens Schlummer,

Dein Herz, so fromm, so gut und rein,

Bewachen Gottes Engelein.

Schlaf, Kindchen, schlaf!


ROSA während des Gesanges, unruhig. Ach, der Singsang stört mich. Pause. Wird sie denn nicht aufhören? Klingelt heftig. – Der Gesang hört auf, gleich darauf Marthe durch die erste Tür links ein.


Quelle:
Adolph L’Arronge: Gesamt-Ausgabe der dramatischen Werke. Berlin 1908, S. 138-139.
Lizenz:
Kategorien: