[160] Hasemann. Albertine.
ALBERTINE aufatmend. Jetzt reißt mir aber die Geduld! Du scheinst von deinen Herren Schwiegersöhnen lernen zu wollen, wie man seine Frau pöbelhaft behandelt. Wenn du[160] aber glaubst, daß ich mir ein solches Regiment gefallen lasse, dann irrst du dich. Du kennst mich, dächte ich, lange genug, um zu wissen, daß ich nicht die Frau bin, die sich auch nur das Mindeste von ihren Rechten nehmen läßt.
HASEMANN. Wir werden ja sehen. Vor allen Dingen bitte ich dich, dein aufgeregtes Organ zu besänftigen. – Du siehst, ich bin auch sehr ruhig, und ich möchte nicht, daß die Kinder drinnen viel von dem hören, was wir zu besprechen haben.
ALBERTINE. Was haben wir denn zu besprechen?
HASEMANN. Na, es ist doch mancherlei.
ALBERTINE. Also?
HASEMANN. Also zuerst das Unglück, welches Rosa betroffen hat.
ALBERTINE achselzuckend. Das Unglück! Ob es gerade ein Unglück ist, das ist noch die Frage.
HASEMANN. So? Ich sage dir, wenn es wirklich zur Trennung käme, dann wäre das Unglück für Rosa groß, sehr groß; denn sie liebt ihren Mann.
ALBERTINE. Rosa?! Wie kommst du denn auf die korrupte Idee?
HASEMANN. Na, so korrupt ist doch die Idee am Ende nicht, wenn eine Frau ihren Mann liebt! Uebrigens kannst du dich beruhigen, sie hat es mir selber unter heißen Tränen gestanden.
ALBERTINE. Und ich sage dir, es ist unmöglich. Du siehst es ja, sie kehrt in das elterliche Haus zurück, weil sie es unter ihrer Würde hält, ferner mit einem solchen Mann unter einem Dache zu leben.
HASEMANN. Da irrst du dich wieder. Sie hat die halbe Nacht jammernd vor der Tür seines Zimmers zugebracht. Er aber hat ihr nicht einmal Antwort gegeben.
ALBERTINE. Das ist ja empörend!
HASEMANN. Bitte, laß mich ausreden. Er hat auch mich nicht zu sich gelassen, obgleich ich mich ziemlich deutlich bemerkbar gemacht habe. Und weil ich den Jammer nicht mehr mit ansehen konnte und wollte, daß Rosa endlich ein wenig zur Ruhe kommt, darum habe ich sie – halb mit Gewalt – hierher gebracht.
ALBERTINE. Und du willst dir eine solche Behandlungsweise von dem Herrn Körner gefallen lassen?[161]
HASEMANN. Ich habe ihm ein paar Zeilen geschrieben und unter jeder Bedingung eine Unterredung verlangt.
ALBERTINE. Du wirst ihm hoffentlich seinen Standpunkt klar machen?
HASEMANN. So weit es sich tun läßt, ja. Das Schlimmste bei der Sache ist, daß ich ihm nicht so ganz unrecht geben kann.
ALBERTINE. Mann! Anton! ich glaube, du bist von Sinnen?
HASEMANN. Was hat er denn gewollt, als er Rosa heiratete? Doch eine Frau, die ihn liebt. Na, und daß Rosa ihn nicht deshalb genommen, sondern nur, weil er eine sogenannte gute Partie war, darüber brauchen wir beide uns doch nichts vorzumachen.
ALBERTINE. Na, und wenn es so gewesen, wäre es denn ein so großes Verbrechen?!
HASEMANN. Ja. Wenn ich Harlemer Tulpen kaufe und bezahle, und es schmiert mir einer spanische Zwiebeln dafür an, so ist das eben eine Betrügerei; und dabei habe ich noch den Vorteil, daß ich sehen kann, was ich kaufe. Wer aber will sehen, daß das Herz falsch ist, wenn Auge und Mund treuherzig ja sagen? Den Betrug merkt man leider zu spät. Ich habe mit angehört, was Körner Rosa gesagt hat, ich habe keines seiner Worte vergessen, und sein Schmerz hat mir wehe getan, doppelt wehe, weil ich nicht bloß einen guten Freund leiden sah, sondern weil es meine eigene Tochter ist, welche ihm das Leid zugefügt hat. Und weißt du, wer die Schuld trägt dafür, daß es so weit kommen konnte? Du!
ALBERTINE. Ich?!
HASEMANN. Ja, du. Rosa hat jedenfalls viel Talent und Anlagen – ich weiß nicht, ob sie die von mir hat, aber sie hat sie, das ist nicht zu leugnen – und in der Eitelkeit, deine Tochter um jeden Preis glänzen zu sehen, hast du sie verzogen. Körner kopierend. »Dir genügte das einfach bürgerliche Haus nicht, du wolltest für ihre Hand mindestens einen hochklingenden Titel, ein Wappen eintauschen.«
ALBERTINE. Aber –
HASEMANN. Laß mich ausreden. »Wenn sie jetzt ihren Mann unglücklich macht, so muß man einen Teil ihrer Schuld[162] auf diejenigen abwälzen, welche ihre Jugend so schlecht bewacht haben.« Und das bist du.
ALBERTINE. Wirst du mich nun zu Worte kommen lassen?
HASEMANN. Laß mich ausreden. Wenn du aber jetzt noch sagst, das Unglück ist nicht so groß, sie soll sich scheiden lassen und damit basta, »dann raubst du mir sogar den Trost, dich beklagen zu dürfen. Wenn du deine Tochter überreden wolltest, dieses Leben der Lüge und Heuchelei fortzusetzen, dann hätte ich nichts für dich als – Verachtung!«
ALBERTINE. Wahrhaftig, Anton, ich glaube, du bist übergeschnappt!
HASEMANN. Nun könntest du allerdings sagen: Warum hast du dich denn nicht selber um die Erziehung deiner Tochter bekümmert, du bist ja der Vater? Und darin hast du recht.
ALBERTINE. O, ich bitte –
HASEMANN. Du könntest ferner sagen: Wenn ich, die Mutter, zu schwach, zu nachsichtig, zu eitel, zu hochmütig war, warum hast du, der Vater, meiner Unvernunft nicht gesteuert und mir mit deinem überlegenen Verstand nicht hilfreich zur Seite gestanden? Und darin hast du wieder recht.
ALBERTINE. Nein, durchaus nicht, ich –
HASEMANN. Ja, du hast recht. Und du könntest schließlich sagen: Wenn du deinen Fehler einsiehst, so mache jetzt wenigstens gut, was noch gut zu machen ist. Von deinem Vierteldutzend ist noch ein lediger Sprößling übrig; allerdings auch schon im Begriff, zu verkrüppeln und abzufallen von dem Baume der Erkenntnis, aber noch ist es Zeit, den Zweig zu stützen und zu binden, damit er wieder gesundes Mark gewinnt und gute Früchte trägt. Zeige also deine Kunst als Gärtner, tue deine Schuldigkeit als Vater und belehre deine verblendete Lebensgefährtin und Gärtnersgehilfin, daß es durchaus nicht gleichgiltig ist, wenn du eine Pflanze, die Wärme braucht, an den Ofen bringst, anstatt an die liebe, freie Sonne. Und darin hast du ganz gewiß recht.
ALBERTINE gereizt. Nein, sage ich dir, ich –
HASEMANN stark. Ja, du hast recht, sage ich. Und weil du recht hast, will ich deinen Ermahnungen folgen und von heute ab die Oberaufsicht nicht bloß unten im Garten, sondern auch hier oben im Treibhaus übernehmen. Ich werde vor allem die Erziehung unserer Fränze bewachen und nötigenfalls korrigieren, damit, wenn für sie auch einmal die Stunde[163] schlägt, sich ihren eigenen häuslichen Herd zu gründen, sie ihrem Zukünftigen nicht bloß einen schön zugestutzten Kopf voll Schulweisheit und eitler Narrheit, sondern vor allen Dingen ein gesundes Herz voll Bescheidenheit und Wahrheit zubringt. So, das habe ich in dieser Nacht reiflich überlegt und beschlossen; so ist es, so bleibt es, und daran ist nichts zu ändern. Und nun rede du, wenn du willst.
ALBERTINE weinerlich. Das ist ja recht hübsch, fange nur in deinen alten Tagen an, den Haustyrannen zu spielen, mir den Respekt vor meinen Kindern zu nehmen und mich in meinem eigenen Hause zur Dienstmagd herabzudrücken. Ein recht edles Ziel, was du dir da gesteckt hast!
HASEMANN wieder ruhig. Du irrst dich, ich will gar nicht den Haustyrannen spielen, ebenso wie du dich irrst, wenn du geglaubt hast, ich wäre bis jetzt ein Pantoffelbruder gewesen. Ich habe den Schlendrian nur so gehen lassen, weil ich – zu meiner Schande muß ich es eingestehen – bis jetzt nicht so die richtige Freude an meinen Kindern hatte. Aber wenn man eins verlieren soll, oder leiden sieht, dann merkt man erst, wie sie einem ans Herz gewachsen sind. Ich bin eigentlich erst gestern Abend richtig Vater geworden. – Nicht wahr, Tine, du hast doch die Fränze auch lieb?
ALBERTINE schmollend. Das ist 'ne Frage!
HASEMANN. Na also! Willst du denn nun, daß sie eben so schlimme Erfahrungen machen soll, wie Rosa, oder willst du lieber mit mir zusammen dafür sorgen, daß sie nicht bloß eine kluge, sondern auch eine praktische, gute Frau wird, so wie du – im Grunde genommen – eine bist?
ALBERTINE. Ach geh, jetzt willst du den Wermut bloß überzuckern.
HASEMANN. Na und wenn? er rutscht dann besser, und gesund ist ein so kräftiger Bitterer jedenfalls. Sieh' mal, Tine Umhalst Albertine. als uns beide der große Gärtner da oben in einen Topf pflanzte, da wollte er nicht, daß der eine links und der andere rechts auswächst, er schnitt uns aus Pflicht, Gewohnheit und Liebe einen Gartenstock, an dem wir uns beide aufranken sollten. Und wenn uns auch der Wind manchmal ein wenig geschüttelt und auseinander gezerrt hat, der Wegweiser, welcher uns die Richtung vorschreibt, steht noch; und wir werden doch die Kunst des großen Obergärtners nicht zu schanden machen und wild auseinander schießen, anstatt nebeneinander in die Höhe zu streben? Und[164] wenn der Eigensinn des einen auch wollte, es geht nicht. Die beiden Pflanzen haben zusammen Wurzel geschlagen, und ehe nicht die eine abgestorben ist, müssen sie zusammen weiter. Also seien wir ein paar verträgliche Pflanzen und bleiben bei einander, so lange der Lebenstopf, in den wir doch einmal zusammengesperrt sind, noch aushält. Wer weiß, wie bald er in Scherben fällt. Nicht wahr, Alte, auf den letzten Rest noch gute Freundschaft? Hält ihr die Hand hin.
ALBERTINE reicht ihm die Hand. Da.
HASEMANN vergnügt. So, jetzt fällt mir ein Stein vom Herzen! Stein – Krems – Graz – österreichische Südbahn 8 Uhr 40 vormittags. Und nun geh' hinein zu unserer Rosa; in der Stimmung, in der du jetzt bist, sprich mit ihr, es wird ihr wohltun.
ALBERTINE will gehen, kehrt aber um. Anton –
HASEMANN. Na?
ALBERTINE. Vielleicht wäre es gut gewesen, wenn –
HASEMANN. Wenn ich schon früher eingesehen, daß du – daß du recht hast? Das ist wohl möglich. Aber immer besser spät, als gar nicht. Und nun auf Wiedersehen, Alte, ich will noch einmal zu Körner.
ALBERTINE geht links ab.
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